„London“ statt „Salzburg“

Oliver Matuschek ediert Stefan Zweigs Briefe an seine zweite Frau Lotte

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wo immer Stefan Zweig in seinen späten Briefen „wir“ schrieb, machte Friederike Zweig in den von ihr postum herausgegebenen Briefausgaben kurzerhand ein „ich“ daraus. Ich, Stefan Zweig, sollte das heißen, und eben nicht: Wir, Stefan und Lotte Zweig. Letztere war Zweigs zweite Gattin, Friederikes verhasste Nachfolgerin. Gemeinsam mit Lotte nahm sich der seinerzeit berühmteste Autor Österreichs am 23. Februar 1942 im brasilianischen Pétropolis angesichts der Zeitläufte das Leben. Wäre sie noch an seiner Seite gewesen, so suggerierte Friederike später in ihren Lebenserinnerungen,hätte sie Zweig von diesem Schritt abhalten können.

Bis heute konnte Lotte Zweig, geborene Altmann, in der Zweig-Forschung kein eigenes Profil gewinnen. Daran ändern auch die nun erstmals erschienenen Briefe des Autors an seine zweite Frau nebst bislang unbekannten Bildern nur wenig. Denn sämtliche ihrer Briefe an ihn gingen, mit einer Ausnahme, verloren. Und Zweigs Briefe an Lotte sind von einer befremdlichen Distanziertheit geprägt: Noch bis zu seiner Scheidung von Friederike im November 1938 redete er seine Geliebte mit „Fräulein Altmann“ und „Sie“ an. Eine Schutzmaßnahme gegenüber Außenstehenden oder Ausdruck seiner inneren Zerrissenheit?

Umso auffälliger die ungeschützte Emotionalität im einzigen erhalten gebliebenen Brief Lottes: „Mein Lieber, … ich möchte Dir noch einmal sagen… wie gerne ich Dich habe …“. Leider ist dieses Schreiben aber nur in einer Abschrift von Friederikes Hand überliefert und somit von zweifelhafter Authentizität. Eine vertrackte Dokumentenlage also. Zum besseren Verständnis bettet daher der Herausgeber und Zweig-Biograf Oliver Matuschek Zweigs Briefe an Lotte in einen fortlaufenden Kommentar ein, der den jeweiligen biografischen und werkgeschichtlichen Kontext erhellt.

Das gelingt so vorzüglich, dass ein kleiner Briefroman entsteht. Er beginnt mit der offenbar unvermeidlichen Friederike. Denn im März 1934, als Stefan Zweig dem austrofaschistischen Österreich den Rücken gekehrt hatte, half die Dichtergattin ihrem Mann, in seinem Interimsexil in London eine Sekretärin zu finden. Die 26-jährige Lotte Altmann erwies sich als eine Idealbesetzung. 1908 im oberschlesischen Kattowitz als Urenkelin des bedeutenden Rabbiners Samson Raphael Hirsch geboren, hatten die Nazis sie im Jahr zuvor gezwungen, ihr Sprachstudium in Frankfurt abzubrechen; kurz darauf war sie mit ihrer Familie nach England emigriert.

Lotte Altmann begleitete den damals 52-Jährigen auf einer Recherchereise nach Schottland für sein Buch über Maria Stuart. Anschließend schrieb ihr Stefan Zweig doppeldeutig: „Manchmal habe ich das Gefühl, als ob Ihnen Ihr eigenes Glück nicht wichtig genug wäre, als ob Sie nur nehmen wollten, was Ihnen zufällt, ohne ihm einen Schritt entgegenzugehen, als ob Sie nicht genug Mut hätten, glücklich sein zu wollen. Wenn ich Ihnen da doch helfen könnte und ein Beispiel geben.“

In den folgenden Monaten hielten Briefe den Kontakt zwischen dem durch Europa reisenden Autor und seiner neuen Sekretärin aufrecht, doch hatte Zweigs Botschaft offenbar eine ermutigende Wirkung: Bei einer Reise zu dritt nach Nizza einige Monate später überraschte Friederike die beiden. Was folgte, war ein jahrelang unentschiedener, für alle Beteiligten quälender Zustand. Nur stückweise gelang dem immer mehr zu Depressionen neigenden Zweig die Loslösung von „Salzburg“ – die Stadt stand in den Briefen bald schon metonymisch für seine erste, um ihre Ehe kämpfende Frau. Zugleich hielt sich Zweig „mein so liebes London“ warm, das er aber durch immer neue Reisen zu meiden schien.

Umso rascher ging alles nach der Scheidung: Im englischen Bath fanden Stefan und Lotte ein gemeinsames Heim und heirateten dort am 6. September 1939. Statt an Lotte schrieb Stefan Zweig nun an Hannah Altmann: In den letzten Briefen aus der Zeit vor der Überfahrt ins brasilianische Exil bittet der zunehmend gereizte Dichter seine Schwägerin, ihrer Schwester in einem Crashkurs das Einmaleins der Haushaltsführung beizubringen.

Titelbild

Oliver Matuschek (Hg.) / Stefan Zweig: »Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte«. Briefe an Lotte Zweig 1934-1940 (Fischer Klassik).
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2013.
368 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783596950041

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