Bis zum bitteren Ende

Julian Ingelmann hat mit Theodor Hildebrands „Der Vampyr“ einen der ersten Romane des Genres neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vampire gibt es wirklich. Zumindest waren manche Menschen noch bis vor wenigen Jahrhunderten derart fest davon überzeugt, dass sie gegen deren Wiederauferstehung vorsorgten, wie jüngst Grabfunde belegten, in denen sich Skelette befanden, deren Schädel zwischen den Beinen lag und deren Arme mit Steinen beschwert wurden, sodass es ihnen unmöglich sein sollte, sich den Kopf wieder auf die Schultern zu setzen und ihren Gräbern als Untote entsteigen zu können. Dass diese Maßnahmen wirklich helfen, ist natürlich ein Ammenmärchen, ebenso wie die Existenz der Vampire selbst.

Wo sie allerdings tatsächlich nicht totzukriegen sind, ist das Unterhaltungsgenre. So beißen sie sich seit einigen Jahrzehnten durch zahlreiche Fernseh-Serien und noch weit länger durch die Literatur. Zu einem der ersten Vampyr-Romane zählt Theodor Hildebrands 1828 erstmals veröffentlichte und nun von Julian Ingelmann neu herausgegebene Gruselgeschichte „Der Vampyr, oder: Die Todtenbraut“, in dem der Vampyr allerdings wiederum gar keiner ist, sondern vielmehr eine VampyrIN. Zu Lebzeiten, war die spätere Untote Lodoiska allerdings alles andere als ein Vamp, sondern vielmehr ein „liebenswürdiges, unschuldiges Wesen“ von „außerordentlicher Schönheit“, das „sich in jenem Alter befand, wo das Misstrauen noch unbekannt ist“. Das sprichwörtliche unschuldige Mädchen von Lande, verliert, wie könnte es anders sein, ihr Herz an einen feschen, aber soeben in der Schlacht verletzten und somit von ihr gesund zu pflegenden Rittmeister namens Alfred, der ihr bald darauf die Ehe verspricht und sie dann doch sitzen lässt, als er und sein Regiment abberufen werden. Denn vor die Wahl gestellt „sich zu entehren, oder sich von Lodoiska zu trennen“ entscheidet er sich gegen die Liebe und für „Ruhm und Pflicht“. Da nun aber das gegenseitige Heiratsversprechen nicht einfach mündlich ausgesprochen, sondern in einem mit dem Blute des Paares geschriebenen Vertrag niedergelegt wurde, kann oder vielmehr muss die um ihr Liebesglück betrogene junge Frau, die vermutlich Hand an sich legte, jedenfalls früh starb, aus dem Grabe aufsteigen und Rache an dem ehrlosen Ehrenmann üben.

Das allerdings ist nur die Vorgeschichte des eigentlichen Geschehens, von der die Lesenden erst im Laufe der Handlung erfahren. Der Gang der gegenwärtigen Ereignisse ist für die Figuren jedoch nicht weniger festgeschrieben – und für die Lesenden ist es nicht weniger vorhersehbar – als die Begebenheiten, die sich bereits vor etlichen Jahren vollzogen. Sieht man einmal davon ab, dass eine der Hauptfiguren bereits zur Mitte des Buches ganz unerwartet aus dem Leben gerissen wird. Die anderen Opfer der „Todtenbraut“ folgen hingegen wieder ebenso berechenbar wie sich das Schicksal des Herzens- und Treuebrechers erfüllt. Eine kleine Überraschung mag noch bieten, dass die Untote selbst ganz zuletzt von einer geisterhaften Erscheinung heimgesucht wird.

Zu Beginn des Buches jedoch flieht der glücklich verheiratete Alfred mit Frau und Kindern aus Berlin in ein weitabgelegenes Dorf. Die Ursache bleibt zunächst unklar, doch stellt sich bald heraus, dass er eben vor Lodoiska floh, die jedoch in der Nähe seiner Zufluchtsstätte auftaucht und mit ihrem Faktotum, einem Diener von gewaltiger Gestalt und furchterregendem Aussehen, in einem einsamen Haus unweit des Dorfes Unterkunft findet. Auch Alfred wird von einem dienenden Faktotum begleitet. Es trägt den Namen Werner und ist Lodoiska noch von früheren Zeiten bekannt. Auch Alfreds dienstbarer Geist hat sich an Lodoiska schuldig gemacht, indem er sie seinem Herrn zuführte. Zwar gesteht Alfred seine Schuld ein, versucht sie jedoch als „jugendlichen Leichtsinn“ zu verharmlosen. Werner erklärt gar, „unglücklicherweise“ gebe es eben „Fälle im menschlichen Leben, wo es nothwendig ist, die Wahrheit zu verschweigen, und wo man mit der Lüge in’s Bündniß treten muß, um großen Uebeln vorzubeugen.“ Fast könnte man meinen, der einfache Mann hätte kurz zuvor Immanuel Kants Widerspruch gegen das vermeintliche Recht aus Menschenliebe zu lügen gelesen und erhebe nun seinerseits Einspruch gegen den Weltweisen. Jedenfalls erteilt er sich und seinem Herrn ohne zu zögern Absolution und erklärt der Betrogenen: „Wenn Sie leichtgläubig waren, so ist es nur Ihre Schuld“

Interessanter als die absehbare Handlung erscheinen zunächst die Figuren – und das nicht nur darum, weil die (Un)Toten – zumindest meist – ruhiger, besonnener, abgeklärter und weiser als die Lebenden sind, ohne darum aber glücklicher als jene zu sein. Insbesondere Lodoiska weckt in ihrer Zerrissenheit weit mehr Empathie als die von Beginn an ausgesprochen eindimensional gezeichneten Lebenden, die allesamt mit einem doch recht schlichten Gemüt ausgestattet und gegenüber dem untoten Da- und Nichtsein Lodoiskas geradezu mit Blindheit geschlagen sind. Was die titelstiftende Figur so interessant zu machen verspricht, ist, dass die unschuldig in eine vampyrisch Existenz gestürzte den von ihr als unabänderlich vorausgesehenen Verlauf der zum Tote des Geliebten und der Seinen führende Geschehnisse zwar bedauert und sogar Alfreds Frau warnt, sich ihr nicht zu nähern, denn ihre Gegenwart führe „Verzweiflung, die bittersten Thränen und den Tod mit sich“, andererseits aber doch nach grausamer Rache dürstet und Alfred entgegenschleudert: „Ich will suchen, Sie in allen Dingen zu übertreffen; nur Sie will ich quälen“. Doch noch im gleichen Atemzug erklärt die vermutlich nicht nur aufgrund ihres Zorns Atemlose, „wenn ich mich nicht selbst beherrschen kann, so werde ich ohne Mitleid gegen Sie sein, wie Sie es gegen mich gewesen sind.“ Doch bleibt diese Zerrissenheit letztlich ebenso blass wie die Hautfarbe ihrer Trägerin. Auch wird die Frage der Willensfreiheit Lodoiskas gegenüber der einer höheren Macht der Unterwelt nicht stimmig beantwortet, ja kaum gestellt, sondern bleibt in unaufgelösten Widersprüchen befangen.

Der Herausgeber hat die Neuauflage des Büchlein dankenswerterweise mit einem Anhang ausgestattet, der auch einige ältere Rezensionen der Erzählung enthält. Sie fallen nicht eben positiv aus. Eine Besprechung aus der Zeit des fin de siècle moniert etwa, dass „von einer Charakteristik der einzelnen Personen keine Rede“ sein könne. Zudem sei Lodoiska „eine bloße Maschine in den Händen des Verfassers“. Ein Urteil, das zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, aber vielleicht doch ein wenig hart geraten ist. Weit lobender, darum allerdings nicht überzeugender fällt das Nachwort des Herausgebers aus, der in Hildebrands Werk nicht nur eine „radikalen Wirkungsästhetik“ ausmacht und es als „wichtigen Schritt zu einer modernen Horrorliteratur“ preist, das sich zudem „streckenweise wie eine empfindsame Liebeserzählung“ lese. Unterschätzen die historischen RezensentInnen Hildebrands Buch doch ein wenig, so wird es von dem Herausgeber überbewertet. Die Wahrheit liegt zwar vielleicht nicht oft, hier aber einmal in der Mitte. Und so findet denn auch Ingelmann nicht nur lobende Worte für das von ihm herausgegebene Werk

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Theodor Hildebrand: Der Vampyr, oder: Die Todtenbraut.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2013.
206 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253491

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