Ein großer Wurf

Über Joe Jacksons „Atlantikfieber. Lindbergh, seine Rivalen und der Wettflug über den Ozean“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Detailliert, kenntnisreich und umfassend beschreibt Jackson die fünf Wochen im Jahre 1927, in denen die Welt das Ringen um den ersten Atlantiküberflug verfolgt: Es geht um die Sieger, aber vor allem um die Verlierer und um eine Zeit, in welcher der Optimismus naiver Technikbegeisterung zunehmend ins Taumeln gerät.

Natürlich, dass Lindbergh den Überflug meisterte, das weiß man auch heute noch, doch ansonsten scheint diese höchst spannende und interessante Phase nicht nur amerikanischer Historie auf seltsame Art verblasst. Was umso mehr verblüfft, da die Weltöffentlichkeit 1927 kein spannenderes Motiv zu kennen scheint: Tatsächlich ist Lindbergh nach seinem einsamen Flug für kurze Zeit der bekannteste Mensch der Welt und als Pop-Idol einem Interesse ausgesetzt, welches aus dem Rückblick besehen nur katastrophal enden kann. Es ist das heutzutage so typische Drama vom Höhenflug und tragischen Fall eines naiven Helden, der wie kein anderer für das Unverbrauchte sowie Naive steht, das Amerikaner so gern für sich beanspruchen und welches mit Lindbergh wohl endgültig verloren geht.

Allein, Jackson schreibt keine Lindbergh-Biografie, sondern eine Geschichte um die Wirrnisse dieses Rekordfluges und die Frage ihrer nachträglichen Einordnung. Von 1919 an, als Raymond Orteig für den Nonstop-Flug von New York nach Paris ein Preisgeld von 25.000 Dollar auslobt, bis hin zu den tragischen Schicksalen in späteren Jahren – worunter Lindbergh sicherlich abermals herausragend zu nennen ist: man erinnere sich nur an Philip Roths Roman „The Plot against America“ – beschreibt er ausführlich und mit vielen Belegen gestützt das Schicksal der hieran geknüpften Protagonisten. Das waren natürlich vor allem Piloten, denen Beruf eher Berufung war und in keiner Weise vergleichbar ist mit heutiger Zeit.

Verwegen, süchtig nach Erfolg und als versierte Techniker mit so gut wie jedem Umstand der Fliegerei vertraut, beginnen diese 16 Männer den unerhörten Flug über 5800 Kilometer zu planen. Wobei Lindbergh der einzige ist, der das Wagnis alleine angehen möchte, alle anderen arbeiten in Gruppen, die Jackson jeweils für sich ausführlich darstellt. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit und schließlich sind im März 1927 auf amerikanischer Seite fünf Flugzeuge angemeldet, auf ideales Wetter wartend. Es wird Tote geben.

Spätestens jetzt wird aus dem Unternehmen ein globales Ereignis und Jackson veranschaulicht tiefgründig die sich hier erst regelrecht extrapolierenden medialen Strategien, die dann später zu den Mechanismen journalistischer Praxis ausreifen werden. Und er stellt nach, was die zumeist kriegserfahrenen und wohl auch -geschädigten Männer (und wenigen Frauen) zu derart riskanten Unternehmungen antreibt.

Vor allem aber konzentriert er sich immer wieder auf die anfängliche Euphorie der Weltbevölkerung, eine Euphorie, die durch Tod und Leid gedämpft und am Ende durch eine globale Ernüchterung ersetzt wird, die aus dem Rekordflug sozusagen den Sündenfall des Positivismus macht: Als Lindbergh am Ende alleine, zu Tode erschöpft und dem Wahnsinn mehr als nah Paris erreicht, stellen sich bereits einige Zeitgenossen die Frage, welchen Sinn all dies überhaupt hat: Ist es tatsächlich ein Markstein der technischen Entwicklung oder doch nur eine Ablenkung für kriegssüchtige Männer, denen die Front verloren gegangen ist?

Im Nachwort erläutert Jackson die wohl wahrscheinlichste These, nämlich die von Charles Mackay bereits 1841 formulierte Theorie der Massenhysterie, die unter anderem anhand der berühmt-berüchtigten Tulpen-Manie in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts dargestellt wird: „Was alle diese Manien verbindet“, so Jackson, „ist der Umstand, dass die betroffenen Menschen wider alle Vernunft zutiefst davon überzeugt waren, dass der Weg, den sie beschritten hatten, in eine lichte Zukunft führte.“ Ein Irrtum, wie es sich bald schon herausstellt: Es ist Lindbergh, der im Jahre 1944 angesichts der Kriegsleiden darüber sinniert, dass auch sein Erfolg hierzu geführt haben könnte.

Allen Hysterien ist zudem eigen, dass sie eilig aus dem kulturellen Gedächtnis verbannt und vergessen werden. Joe Jacksons Werk, wunderbar übersetzt und vom Verlag auch haptisch vorbildlich gestaltet, stellt so auf nachhaltige Weise nicht nur eine spannende Phase auf ansprechende Weise dar, sondern kann und sollte auch als Phänomenologie der Massenhysterie gelesen werden.

Titelbild

Joe Jackson: Atlantikfieber. Lindbergh, seine Rivalen und der Wettflug über den Ozean.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast.
Mare Verlag, Hamburg 2013.
736 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783866481565

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