Leergut
Sebastian Mosers soziologische Studie erforscht die Figur des Pfandsammlers in den Großstädten
Von Michael Eschmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer würde schon für drei bis vier Euro pro Tag arbeiten? Pfandsammler machen das. Die Spitzenverdiener, und die gibt es tatsächlich auch unter ihnen, verdienen durchschnittlich 100 – 150 Euro pro Monat. Allerdings nur dann, wenn sie täglich 8-10 Stunden unterwegs sind. Sichten – Bücken – Aufheben, so könnte man in Kurzform eine Tätigkeit beschreiben, die erst seit 2006 mit Einführung des Pfandes auf Einweggetränkeverpackungen entstanden ist. Eine Arbeit im Sinne einer existenzsichernden Tätigkeit kann es aber niemals sein. Denn hierfür fehlt der offizielle Arbeitgeber und die entsprechende Nachfrage.
Menschen, die Flaschen-oder Dosenpfand unter extremem Arbeitsaufwand einsammeln, um es bei Pfandstellen – mittlerweile meist Automaten – einzulösen, machen dies aus den unterschiedlichsten Motivationen. Zuverdienst, Ablenkung von Langeweile oder einfach nur Lust am Spazierengehen sind einige der Gründe. Der Verdienst Mosers ist es, dies erforscht und kompetent dokumentiert zu haben. Der Text basiert auf einer Dissertation, die er 2013 in Freiburg im Fachbereich Soziologie vorlegte. Die Gesellschaft empfindet diese „freiwillige“ Müllbeseitigung keineswegs nur positiv. Abneigung und Aggression schlagen dem Pfandsammler schnell entgegen. Pöbeleien und Drohungen folgen. Gern wird er mit Obdachlosen gleichgesetzt, was die wenigsten allerdings wirklich sind. Von diesen unterscheiden sie sich oftmals im Erscheinungsbild.
Der Autor schreibt hierzu: „Vielleicht ist gerade dies die wichtigste Lektion, die ich lernen musste, dass man nämlich Flaschensammler schwerlich an ihrem Äußeren erkennen kann.“ Laut Sebastian J. Moser spaltet sich die Gesellschaft durch den Akt des Wegwerfens von „Pfand“ in drei Gruppierungen: 1. Diejenigen, die Getränkepackungen wegwerfen. 2. Diejenigen, die sie zurückbringen. 3. Diejenigen, die sie einsammeln. Das vorliegende Buch erklärt ausführlich, wie sich diese drei Gruppierungen gegenseitig beeinflussen im Hinblick auf stetig steigende Knappheit der Ressourcen. Fußballstadien gelten als ein „Schatzkästlein“ für Pfandsammler. Hier tobt die Sorglosigkeit durch den Volkssport. Leergetrunkene Flaschen und Dosen bleiben zurück. Jetzt entsteht ein Phänomen, das durch Ignoranz und Achtlosigkeit der Einen die Zukunft der Anderen auf geradezu ironische Art und Weise sichert. Würden alle ihr Leergut zu den Sammelstellen zurück bringen, hätten Pfandsammler keine Einnahmequellen mehr!
Das Buch schließt mit einem lesenswerten Rückblick auf die Vorläufer des Pfandsammlers: Ährensammler und Lumpensammler. In vergangenen Jahrhunderten zogen sie einst auch umher, um die Dinge zu verwerten, die zurück gelassen wurden. Was beide Gruppen vom heutigen Leergutsammler unterscheidet ist erschreckend. Existierten einst keine Sozialsysteme, so sind diese heute vorhanden, wenn auch immer stärker eingeschränkt. Mehrfach weist der Autor darauf hin, dass es nicht nur materielle Not sein muss, die Menschen zum Sammeln auf die Straßen treibt. Oftmals ist es eine spezifische Form von Einsamkeit und Sinnsuche nach gesellschaftlicher Anerkennung. Der Pfandsammler schafft Ordnung in einer unordentlichen Welt. Einer Welt aber, in der Menschen immer mehr ausschließlich durch Arbeit definiert werden. Wer keine Arbeit hat, ist entsprechend weniger wert. So gestaltet der Pfandsammler eine eigene Form von Existenz und Daseinsberechtigung. Plötzlich wird aus „leeren“ Dingen wieder Gutes.
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