Stefan Zweig und Joseph Roth
Volker Weidermann erzählt von deutschen Schriftstellern in der Emigration in „Ostende“
Von Alexandra Pontzen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDieser „Sommer der Freundschaft“ im friedlichen, ehedem so glanzvollen Ostende an Belgiens Küste ist nicht so unbeschwert, wie es der Titel vermuten lässt. Und dass nicht eine fiktive Geschichte zu erwarten ist, sondern ‚wahre‘ Geschichte erzählt werden soll, signalisiert schon die vorangestellte Jahreszahl 1936, das Jahr Vier der NS-Herrschaft in Deutschland, aus dem die Freunde, verfemt und angefeindet, hatten fliehen müssen: „Der scheinbar immer frohe Hermann Kesten, der Prediger Egon Erwin Kisch, der Bär Willi Münzenberg, die Champagnerkönigin Irmgard Keun, der große Schwimmer Ernst Toller, der Stratege Arthur Koestler, Freunde, Feinde, von einer Laune der Weltpolitik in diesem Juli hierher an den Strand geworfene Geschichtenerzähler.“
Über ihrer aller Lebens- (und Liebes-)umstände wird der Leser im Laufe seiner Lektüre verständnisvoll und unterhaltsam unterrichtet, und in einem angehängten, durch eine kleinere Schrifttype als ‚Bericht‘ gekennzeichneten knappen Schlusskapitel erfährt er in geraffter Form ihr späteres Schicksal bis zu ihrem Tode.
Im Mittelpunkt, wenn auch vielleicht nicht dieses Kreises von Kollegen, so doch der Erzählung, stehen als Hauptfiguren der 1881 geborene Stefan Zweig und der 1894 geborene Joseph Roth, beide Österreicher, literarische Schwergewichte und einander seit Jahren durch Freundschaft verbunden. Weidermann rekapituliert ihre Biographien, wobei ihm bald schon, bei Schilderung der Stimmung bei Kriegsausbruch 1914, der glückliche Umstand zupass kommt, dass Zweig just im Juli 1914 ebenfalls in Ostende weilte, um von dort überstürzt in das kriegsbegeisterte Wien zurückzueilen. Hier, wie immer wieder im weiteren Gang des Erzählens, fallen die Partien über Zweig regelmäßig ausführlicher aus als die über Roth, wenngleich der Autor sich Mühe gibt, das wohl materialbedingte Ungleichgewicht zu überspielen. So gönnt er Roth das Ende seiner Erzählung; sie schließt mit Roths Tod im Mai 1939 in Paris. Dennoch behält Zweig das letzte Wort: „Ich habe ihn wie einen Bruder geliebt.“
Für den Sommer 1936 in Ostende, den übrigens Zweig in seinen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“ (1942) mit keinem Wort erwähnt – ebenso wenig wie Freund und „Bruder“ Joseph Roth, das gibt denn doch zu denken –, scheint das Materialproblem allerdings gering zu sein. Etliche der Beteiligten haben sich dazu (und über einander) geäußert, sei es brieflich gegenüber Dritten, im Tagebuch oder in späteren Zeugnissen, allen voran Irmgard Keun, die stante pede ein Liebesverhältnis mit Roth eingeht und darüber u.a. ihrem Verehrer in Amerika freimütig berichtet.
Roths Verhältnis zu Zweig war in seinen besten Zeiten von kollegialem Austausch geprägt; jetzt macht sich zunehmend das materielle Gefälle bemerkbar und die starken finanziellen Unterschiede dominieren die Beziehung. Zweig, der berühmte und vermögende Großschriftsteller, unterstützt den bewunderten, aber literarisch weitgehend erfolglosen Roth schon seit längerem mit Zuwendungen. So auch hier in Ostende, z.B. lässt er ihm einen Anzug schneidern, kommt für seine Hotelrechnung auf und hinterlässt beim Abschied einen größeren Geldbetrag, während Roth sich immer mehr dem Alkohol ergibt, hierin von Keun akkompagniert. Als Zweig gegen Ende des Sommers zum ersten Mal nach Brasilien aufbricht, beruhigt er sich zwar, er habe Roth in Ostende wieder auf die Beine geholfen, doch gleichzeitig weiß er, dass diesem nicht mehr zu helfen ist. Im folgenden Jahr bittet Roth ihn dringlich, wieder nach Ostende zu kommen. Zweig schickt ihm Geld, und Roth schreibt: „Das Krepieren dauert länger als das Leben.“ Zweigs Freitod im Februar 1942 im brasilianischen Petrópolis vermerkt der Bericht außerhalb der Erzählung (s.o.) am Textende.
Weidermann hat ein lesbares Buch von handlichem Umfang über diese Menschen geschrieben, nahe am Klatsch, aber doch taktvoll und mit Empathie, eine weniger dokumentierende als narrativ verfahrende Reportage, die das Material, aus dem sie schöpft, geschmeidig nutzt und zitiert. Mit literarischen Wertungen hält er sich zurück. Nicht das Werk der auftretenden Autoren, ihre Persönlichkeit steht im Vordergrund des Interesses, ihre Art zu leben und den Bedrängnissen der Zeit zu begegnen. Roth und Zweig gewinnen soviel Kontur, dass dem Leser die Motive ihres je eigenen Lebens und Sterbens einsichtig werden.
In einem einzigen Kapitel wird die Ostender Sommergesellschaft im Ganzen vorgeführt, wie sie da im Café Flore zusammensitzt, lästert (mit Vorliebe über Mitglieder der Familie Mann) und witzelt. Indes: „Noch einmal versucht, eine Sorglosigkeit zu simulieren…eine große lange Urlaubsreise…Und irgendwann eben wieder zurück. Nur wann? Diese Frage wird, je drängender sie ist, umso weniger gestellt. Mit jedem weiteren Tag, den dieser Urlaub andauert, wird eine Rückkehr unwahrscheinlicher. Alle wissen es. Aber man spricht nicht darüber. Es herrscht Pflicht zum Optimismus. Den Strick hat man im Koffer [wie Ernst Toller – A.P.], darüber wird nicht geredet.“
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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