Aus dem Leben eines Lachses
In ihrem Debütroman „Mio salmone domestico. Manuale per la costruzione di un mondo, completo di tavole per esercitazioni a casa“ entwirft Emmanuela Carbé eine neue Wirklichkeit
Von Laura Schmidt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Lachs findet den Weg in die Wohnung und das Leben einer jungen Frau und stellt ihr und sich selbst die Fragen der Welt. Wie sieht es da draußen aus? Das Leben ist für den zynischen Hauslachs Crodo (“Mein Hauslachs hat so ein weiches Herz, dass man es mit einer Motorsäge zerschneidet“) eine immerwährende Frage des Drinnen und Draußen, der gewohnten Umgebung und der entsetzlichen, wahren Welt. Er ist verliebt in die Gorgone Medusa und hindert die Protagonistin stetig am Schreiben ihres Romans über Seidenrollen. Er versteckt die Hauptteile, so dass es ihr lediglich gelingt, das Ende immer wieder zu Papier zu bringen.
“Mio salmone domestico. Manuale per la costruzione di un mondo, completo di tavole per esercitazioni a casa” [„Mein Hauslachs. Handbuch zur Konstruktion einer Welt, mit Abbildungen für Übungen zu Hause“] (erschienen 2013 im Verlag Laterza) ist der erste Roman der in Pavia lebenden Emmanuela Carbé, die eine erstaunliche und lesenswerte Geschichte über eine außergewöhnliche Freundschaft erzählt, die aus der Angst vor der wirklichen Welt entstanden ist. Der Roman, daran besteht kein Zweifel, spricht ebenso von der Verzweiflung als auch von der Mannigfaltigkeit der Jugend mit all ihren Beobachtungen.
Crodo lebt gemeinsam mit der unbenannten Protagonistin in deren Wohnung und schläft in einer ausgesonderten Erdbeerschachtel. Während die Ich-Erzählerin ihren Alltag als Studentin und angehende Autorin schildert und dabei häufig auf eine komische Art und Weise die Klischees einer Schriftstellerexistenz darstellt, fungiert der hämische Hauslachs als Vermittler zwischen ihr und der Welt außerhalb ihrer Wohnung. Er stellt Fragen, kritisiert und zwingt sie zu neuen Überlegungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Leben zugleich. Bevor das „Handbuch zur Konstruktion einer Welt“ den Roman beginnen lässt, wird der Leser gebeten einen Vertrag zu unterschreiben, der die Autorin von jeglicher Verantwortung für die Nicht-Gläubigkeit des Lesers freispricht („Mit den folgenden Seiten erklärt sich die Autorin von jeder Problematik der kritisch-interpretativen Art […] befreit, sie weist weiterhin jede Verantwortung von sich für die nicht vorhandene Leichtgläubigkeit des Lesers und seinen eventuellen Abbruch der Lektüre aufgrund mangelnden Glaubens.“). Dieser kommunikative Pakt mit dem Leser, der gewöhnlich implizit stattfindet, wird durch Carbé explizit dargestellt. Das Verhältnis der Autorin und des Lesers wird durch den Text und seine Struktur dahingehend vermittelt, als dass sich der Leser in der Umgebung einer Fiktion befindet, jedoch reale Räume und Strukturen wahrnimmt. Dies wird vor allem in der Intertextualität des Romans deutlich, die Carbé verwendet, um den Leser zum Weiterlesen anzuhalten. Sie bedient sich dazu zeitgenössischer Musik, der Weltliteratur, aber auch der Werbung. Somit entsteht eine seltene Vertrautheit zwischen der Ich-Erzählerin, der Autorin und dem Leser. Danach folgt ein ungewöhnliches, aber aufschlussreiches Wörterbuch, in dem die Figuren und ihre Beziehungen kurz erläutert werden und die Beziehungen unter ihnen auf eine amüsante Art dargestellt werden.
Die kuriose Handlung des Romans wird auch und vor allem durch den Schreibstil der Autorin unterstützt. Während die Protagonistin von kreativen Schreibkursen berichtet, vollzieht sich in der Geschichte selbst eine Art Schreibkurs. Das normative Schreiben weicht einem kreativen, unüblichen Stil. Die Sprache der Autorin ist so in den Roman eingebunden, dass es dem Leser nach einigen Seiten selbstverständlich scheint, dass sie vielfach auf Interpunktion und Artikel verzichtet. Sie kreiert damit eine Welt, die vertrauter erscheint als die Wirklichkeit. Unter Aufgabe der korrekten Syntax findet der Leser sich in den gesprochenen Monologen der Ich-Erzählerin wieder, was die Wirkung der fiktiven Welt, in die man eingetaucht ist, noch verstärkt. Jedes Substantiv ohne Artikel wird zu einem unterhaltsamen Eigennamen und einer Figur, die umgehend über eine eigene Geschichte verfügt. Aus der grausam scheinenden Welt wird ein besserer und lebenswerterer Ort, der trotz der Fiktion vertrauter wirkt als je zuvor. Das Neuerfinden von Handlungsfiguren, die Tiere oder Menschen, Mythen oder Objekte darstellen, die aus Schablonen ausgeschnitten und lebendig werden, belebt die Fantasie des Lesers und erschafft somit eine eigene, vielleicht sogar schönere Realität. Der Roman wird ergänzt von einer wunderbaren, von Emmanuela Carbé selbst gezeichneten Geschichte über einen Goldfischweibchen, das auf dem Grund des Meeres in einem Goldfischglas wohnt, aus dem es sich nicht befreien kann, bis es Palomar, einen bärtigen Goldfisch, kennenlernt, der dem Goldfischweibchen die Welt außerhalb des Glases zeigen möchte.
Carbé gelingt auf diese Weise ein großartiger, fantastischer Roman, der auf mehreren Ebenen mit Witz und Fiktion, aber gleichzeitig mit den Tücken des Lebens und der Realität spielt. Sie erzählt von dem Mut, den man braucht, um hinauszugehen und die Welt außerhalb der eigenen Komfortzone zu entdecken. Sie lässt den Leser über ihre Figuren staunen, sich wundern und dabei erkennen, dass es nicht nur die Wirklichkeit unserer Welt gibt.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz