„Ich träume Frauen, die wie Lurche an Land gehen und atmen lernen“
Die Österreicherin Getraud Klemm liest auf Einladung von Hubert Winkels bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur
Von Katharina Tummes
Frau sein, in der heutigen Gesellschaft – was bedeutet das? Dieser Frage geht Gertraud Klemm in vielen ihrer Erzählungen nach und findet oft eine ernüchternde Antwort. Der Feminismus der 80er Jahre scheint abgeklungen, aber von Gleichberechtigung noch keine Spur. Klemm, 1971 in Wien geboren, erlebte diese Zeit selbst als Heranwachsende. In ihrer Erzählung „Assimilation. Eine Streitschrift“ kellnert ein „Fräulein“ neben ihrem Biologiestudium in einer österreichischen Schankstube. Verwoben sind hier die Identitätskrise einer Frau, die sich mit aufreizendem Dekolleté ein paar Groschen mehr zu ihrem Lebensunterhalt verdient, und die Karikatur einer bigotten, sich im Lokal einfindenden kleinbürgerlichen Gesellschaft Österreichs. Während die Hauptfigur den Stammgästen die Getränke serviert, muss sie sich Hetzreden gegen Ausländer und Frauen anhören, sich anglotzen und anbaggern lassen. Dabei ist sie selbst – oder doch zumindest ihr Vater – serbischer Herkunft, politisch links gerichtet und vermeintlich eine Emanze. Und so beginnt die Erzählung mit den Schmerzen, mit denen sie aus ihren Träumen erwacht, und endet damit, dass sie die Gestalten des Tages mit nach Hause in ihre Träume nimmt – dazwischen liegen das „Sommerkreuzweh […] vom schweren Tragen, das Winterkreuzweh vom Stehen.“
Für Erzählungen wie diese wurde Gertraud Klemm bereits mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise mit demLise Meitner Literaturpreis 2011 für „Wasserweib“ und dem Harder Literaturpreis 2012 für „Rechaud“. Auch diese Geschichten kreisen um die Situation der Frau in einer vermeintlich post-feministischen Gesellschaft. In „Wasserweib“ werden zwei Arten von Frauen porträtiert – die einen ähneln der Kollegin Anna mit der tollen Oberweite, die dazu verdammt ist, nicht ernstgenommen zu werden, und die anderen sind wie die Hauptfigur emanzipiert und werden wiederum nicht wahrgenommen.
Dabei sind die Frauenfiguren in Klemms Erzählungen keineswegs eindimensionale Charaktere, keine bloßen Opfer, die in einer Männergesellschaft unterjocht werden. Vielmehr personifizieren sie eine Anklage in beide Richtungen: eine Selbstanzeige und zugleich eine gegen das gesellschaftliche System – wo sind die Frauen in den wirtschaftlich oder politisch relevanten Positionen? Selbst in der heutigen Gesellschaft müssen Frauen oft wählen zwischen einem Leben als Hausfrau oder einem als kinderloser Karrierefrau.
Auch in ihrem ersten, in diesem Jahr erschienenen Roman „Herzmilch“ wirft sie ein Licht auf diese Chancenungleichheit. Der Titel sei Metapher für diese aufopfernde, unbezahlte Liebe und Zuwendung für Kinder und Alte, dieses Selbstverständliche, sagt die Autorin in einem Interview mit Gabi Stockmann von „Radio Sol“. Diese Liebe sei wichtig, komme aber oft von weiblicher Seite, was bedeute, dass Frauen halt nebenbei so schlecht erfolgreich und unabkömmlich sein könnten.
Gertraud Klemm erhielt bereits mehrere Stipendien, zuletzt ein Projektstipendium des Bundesministeriums für Kunst und Kultur 2014/15 für „Aberland“. In einem Interview mit „Bezirksblätter Baden“ verriet die Autorin, dass sie an einem Roman arbeite, in dessen Zentrum eine 58-jährige Frau stehen werde, die plötzlich mit der Summe dessen, was sie alles nicht gemacht habe, konfrontiert werde. Auf Einladung von Hubert Winkels wird die studierte Biologin, heute freiberufliche Schriftstellerin und Schreibpädagogin, gemeinsam mit fünf weiteren Autoren die österreichische Fraktion bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2014 vertreten – vermutlich mit einem Auszug aus ihrem neuesten Projekt.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen