Kulturen in Konfrontation

Chimamanda Ngozi Adichies neuer Roman „Americanah“ schlägt Wellen

Von Marlene WantzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marlene Wantzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der dieses Jahr in deutscher Fassung erschienene Roman von Chimamanda Ngozi Adichie wurde mit neugierigem Überschwang willkommen geheißen. Zu einer Lesung mit der Autorin im Frankfurter Literaturhaus strömten die Menschen in großer Zahl, die allerersten deutschen Exemplare des Fischer Verlags wurden den Verlagsmitarbeitern fast aus den Händen gerissen und nach einer halben Stunde war der Bestand ausverkauft. Auch die Autorin wurde im Anschluss stundenlang von Lesern und Hörern belagert, die ein Autogramm auf ihrem Exemplar von „Americanah“ haben und ein Wort mit der stets lächelnden Adichie wechseln wollten.

Durch die Veröffentlichung von erfolgreichen Romanen wie „Blauer Hibiskus“ (2005) und „Die Hälfte der Sonne“ (2007) hat die Schriftstellerin von sich reden gemacht. Themen wie interkulturelle Zusammenstöße, Vorurteile und Rassismus sind Inhalt ihrer Bücher. Doch welche Punkte berührt „Americanah“? Hat das 600 seitige Werk den euphorischen Empfang verdient?

Der Roman ist in sieben Teile gegliedert, die jeweils eine sehr unterschiedliche Länge haben. Im ersten Teil lernen wir Ifemelu kennen, die Hauptfigur des Romans. Die junge Nigerianerin, die seit 13 Jahren in den USA lebt, hat gerade die schwerwiegende Entscheidung getroffen, zurück in ihr Heimatland zu ziehen. Diese Entscheidung ist mit vielen Wünschen, Ängsten und Sorgen verbunden, die uns als Leser offenbart werden. Nach und nach beleuchtet die Erzählung Ifemelus Vergangenheit und später die weitere Entwicklung ihres Schicksals seit der Rückkehr nach Lagos. Im Roman kommen viele Figuren vor, in deren Leben wir einen Einblick erhalten. Eine der wichtigsten ist Ifemelus große Liebe Obinze. Auch ihn soll der Leser begleiten und von seinen traumatischen Erfahrungen in London wie auch von seiner Liebe zu Ifemelu erfahren.

Es geht um zwei junge Menschen, die sich im Nigeria der 90er Jahre kennen und lieben lernen. Es handelt sich jedoch keineswegs um einen gehaltlosen Liebesroman: unverblümt und schnörkellos beschreibt Adichie das soziale und kulturelle Umfeld der intelligenten, aus der unteren Mittelschicht stammenden Ifemelu und des sanftmütigen, aus der Bildungselite stammenden Obinze. Es werden Themen berührt wie die Multireligiosität der Mutter, welche die aufmüpfige Ifemelu früh enttarnt: „Ihre Mutter war ein freundlicherer und einfacherer Mensch, doch wie Schwester Ibinao war sie jemand, der leugnete, dass die Dinge waren, wie sie waren.  Jemand, der den Mantel der Religion um die eigenen kleinlichen Wünsche hüllen musste.“

Scharfzüngig und treffsicher werden Charaktere dargestellt, Vorurteile aufgezeigt und Realitäten beleuchtet. Die Einfachheit und Klarheit der Sprache mildert die Schärfe der Beschreibungen und verpasst ihnen einen empathischen, oft liebevollen Schwung. Es ist nicht zu übersehen, dass die Autorin autobiographische Erlebnisse in den Roman eingeflochten hat. Diese Schilderungen machen die Geschichte authentischer, gefühlvoller und lassen uns wie selbstverständlich an den intimsten Momenten der Figuren teilnehmen. Die spitzen, auch witzigen Bemerkungen zeigen einen humorvollen Umgang mit gesellschaftlichen Tabuthemen. Jedoch lösen sie nach dem ersten Lachen eine nachdenkliche Stimmung aus. Besonders deutlich wird dies in den Blogeinträgen, welche Ifemelu in Amerika verfasst. „Raceteenth oder Kuriose Beobachtungen einer nicht-amerikanischen Schwarzen zum Thema Schwarzsein in Amerika“ heißt der Blog, in dem sie eigene Erlebnisse beschreibt und kommentiert. Die unterschiedlichsten Momentaufnahmen verleiten zu einem Blogeintrag zum Beispiel darüber, warum weiße Amerikaner lieber „rassistisch belastet“ als „rassistisch“ sagen, warum sie „Kultur“ sagen, wenn sie eigentlich „Rasse“ meinen, oder warum es zwar noch Rassismus, aber keine Rassisten mehr gibt. Können Haare eine Metapher für Rasse sein? Ja, sagt die junge Bloggerin und stellt Gedankenexperimente darüber an, ob es einen Unterschied für die Wählerstimmen machen würde, wenn Michelle Obama sich einen Afro wachsen lassen würde.

Auffällig ist hier, dass das Wort „race“, im amerikanischen Sprachgebrauch gang und gäbe, im Deutschen als „Rasse“ übersetzt negative Konnotationen hat. Abgesehen von einigen Schwierigkeiten – wie zum Beispiel einen nigerianisch-amerikanischen Akzent ins Deutsche zu übertragen – kann man die Übersetzung von Anette Gruber insgesamt als gut lesbar bezeichnen. Weder Witz noch Tiefe gehen bei der deutschen Version gänzlich verloren, jedoch ist die Authentizität des Originals weitaus einnehmender als die deutsche Übersetzung, welche teils  doch etwas holprig wirkt.

Ein besonders wichtiges Motiv ist die Wahrnehmung und der Wandel von Identität. Erst in den USA nimmt Ifemelu sich als „schwarz“ wahr und diesem Schwarzsein haften Vorurteile und Klischees an, mit denen sie sich konfrontiert sieht. In ihrem Blog schreibt sie: „In Amerika bist du schwarz, Baby. […] Wenn du einer nicht-schwarzen Person von einem rassistischen Vorfall erzählst, der dir widerfahren ist, darfst du keinesfalls bitter klingen. Beklage dich nicht. Verzeihe. Wenn möglich, lass es lustig klingen.“

Als Ifemelu nach drei Jahren Studium in Nigeria in die Staaten reist, um dort weiter zu studieren, sieht sie sich nach anfänglicher Euphorie heftigen Schwierigkeiten und Widerständen gegenüber. Sie versteht die sozialen und bürokratischen Zusammenhänge noch nicht, kann und will sich nicht anpassen und versinkt nach langer erfolgloser Jobsuche in eine Depression, auch wenn sie das erst nicht akzeptieren will: „Unter Depression litten nur Amerikaner mit ihrem Bedürfnis, sich von aller Verantwortung freizusprechen und aus allem eine Krankheit zu machen.“

Unter dem Einfluss dieser Depression bricht sie den Kontakt zu Obinze ab, der verzweifelt versucht sie zu erreichen und dem es nicht gelingt, ein Visum für die USA zu bekommen, dem Ziel seiner Träume. In Nigeria herrscht eine Stimmung des Stillstandes und der Aussichtslosigkeit. Die Schwankungen der wirtschaftlichen Lage sind extrem, viele verdienen ihr Geld auf „schmutzige“ Art und Weise. Obinzes Mutter, eine ambitionierte Professorin, urteilt: „Es ist, als würden wir uns alle in einem seichten schlammigen Teich suhlen.“ Nachdem Obinze als illegaler Einwanderer in London sein Glück versucht und scheitert, greift er in Lagos nach einer letzten Möglichkeit, beruflich Erfolg zu haben, und verdingt sich als Strohmann für einen reichen Investor. Der sonst so reinherzige, liebevolle und ehrliche Obinze wird dadurch auf nicht ganz ehrenhafte Weise reich und gefragt, fühlt sich jedoch dabei nicht wohl.

Auch Ifemelu hat ihre Schwierigkeiten, als sie, nun eine waschechte „Americanah“, wie ihre nigerianischen Freundinnen meinen, zurück nach Lagos zieht. Bei regelmäßigen „Rückkehrer-Treffen“ tauscht sie sich mit schlechtem Gewissen über mangelnden Service, schlechte Internetverbindungen und die Abwesenheit von vegetarischen Produkten im wirtschaftlich aufstrebenden Nigeria aus. Diese Probleme kannte sie zuvor nicht und daher fühlt sie sich von ihrer früheren Identität und ihren Freunden entfremdet. Sie stellt ihre Zugehörigkeit in Frage: ist etwas in ihr zerbrochen, etwas das sie mit Nigeria verbindet?

Der Roman besticht durch einen reichen, vielschichtigen Inhalt ebenso wie durch seine klare, einfache Sprache. Er erzählt eine rührend unverblümt daherkommende Liebesgeschichte, gleichzeitig stellt er eine satirische Reflexion von Menschen und der Gesellschaft dar, in der sie leben. Humorvoll, einfühlsam und doch schonungslos bringt die Autorin Thematiken ans Licht, die belustigen, beschämen und traurig machen. Der Leser lernt, ohne belehrt zu werden, wird emotional affiziert, ohne dass übertriebene Romantisierung stattfindet, und gleichzeitig verliert der Roman trotz seiner Länge und  Reichhaltigkeit nicht an Spannung und Witz.

Mit Selbstbewusstsein und Geschicklichkeit setzt Adichie ihr neues Werk aus einfach anmutenden, jedoch tiefgründigen Elementen zusammen und verbindet diese sprachlich anregend zu einer gehaltvollen Erzählung, die noch lange nach dem Lesen zu weiteren Gedanken und Überlegungen reizt. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. Roman.
Übersetzt von Anette Grube.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
604 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783100006264

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