Eine haarige Geschichte

Über Alex Senns Roman „Geheimratsecken“

Von Sandra HeppenerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Heppener

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jonas fallen seine Haare aus. Als 30-jähriger Ich-Erzähler bekämpft er im Roman „Geheimratsecken“ knapp 300 Seiten lang eine vermeintlich drohende Glatze. Weil Jonas eines schönen Tages seine Geheimratsecken im Badezimmerspiegel entdeckt, macht er sich fortan sein Leben schwer. Haarklein unterbreitet der Protagonist seinem Lesepublikum jede Aktion gegen die Erweiterung haarloser Stellen am Kopf. So lernen wir die bizarre Welt der männlichen Haar- und Kopflosigkeit kennen, die im Subtext allerhand Situationskomik erzeugt. Weil er Frauen erobern möchte, und besonders jene, welche im wilden Sex-Spiel gerne in den vollen Haarschopf greifen, verliert Jonas sein Selbstbewusstsein. Miterleben und ertragen muss den Anti-Haar-Aktionismus Jonas‘ beste Freundin Anne, die sich zunächst eine WG mit ihrem Kumpel teilt.

Jonas ist egozentrisch und narzisstisch, er übertreibt seine Beschwerden maßlos und stolpert in eine Affäre mit einer älteren Kollegin. In diesem Zusammenhang wird Jonas beispielsweise noch vor der betrieblichen Weihnachtsfeier gewarnt, seinen Füller nicht in Firmentinte zu tauchen: Kernige Sprüche vermeintlicher Machos und Aussagen wie die, dass Frauen nicht ohne Spiegel auskommen würden, begegnen uns in diesem Buch zahlreich. Jonas hat Angst vor einem Haarentfernungsgeschäft, das vor seiner Wohnung aufgemacht hat, und muss ständig Klärungsgespräche mit Anne führen, die sich fragt, warum er sich immer merkwürdiger verhält. Selbst Timo, Annes fester Freund, wird permanent in Mitleidenschaft gezogen, weil die arme Anne in ihrer grenzenlosen Empathie den drohenden Haarverlust ihres WG-Freundes Jonas mit in ihre Liebesbeziehung nimmt. Über Freundschaft und Liebesbeziehung schwebt bald gleichermaßen das Damoklesschwert. Leserinnen und Leser können sich auf die wie für einen Film geschriebenen Slapstick-Pointen freuen. Stereotype Rollenbilder aus dem Genre des Männerromans begegnen uns auch im vorliegenden Roman auf Schritt und Tritt. Macht der Klappentext des hübsch eingebundenen Debütromans aus dem jungen Salis-Verlag (Zürich) Lust auf mehr, Lust auf Satire und Sarkasmus, so werden der Liebhaber und die Liebhaberin der spitzen Pointe leider etwas enttäuscht, und die Vorfreude auf Subversion wird geschmälert.

Als Unterhaltungsroman fungiert „Geheimratsecken“ at it’s best. Es ist ein Roman über die (Kopf-)Oberfläche, wie er uns aus der Popliteratur bekannt ist, aber die Tiefe der popmusikalischen Referenzen vermissen lässt, obwohl Dave Grohl gleichsam in den Text als Haar- und Rolemodel der Foo Fighters eingestreut wird.

Doch weil Jonas eine Figur der Oberfläche ist, kann natürlich auch nur die Oberflächlichkeit des Figurensettings aus seinem Blickwinkel beschrieben werden, weil er am Ende mit Tunnelblick nur noch Haar sieht. Hervorzuheben sind die zahlreichen Wortspiele von Debütautor Alex Senn, der nicht nur Texter, sondern auch Rapper und Poetry Slammer ist.

Am Ende wird Jonas geläutert. Er erkennt, wie hirnrissig, pardon haarrissig, seine Ängste um Haarverlust sind. Schließlich schätzt er die wirklich wahren Werte seines Lebens und scheint allen Männern einen guten Rat mit auf den Weg zu geben, wenn er feststellt, er habe vielleicht wenige Haare auf dem Kopf, dafür aber eine fantastische Frau an seiner Seite. Ende gut, alles gut: Andere Herren mit „Ministerwinkeln“ wird es vermutlich genauso wie Jonas gehen. Doch kämmen Sie selbst heraus, was sie von dieser haarigen Geschichte halten.

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Alex Senn: Geheimratsecken. Roman.
Salis Verlag, Zürich 2014.
308 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783906195094

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