Ein Zeitalter wird besichtigt

Zwei Bände der „Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert“ beschäftigen sich mit der Weimarer Republik

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte der deutschen Literatur ist vor allem eine Geschichte von Autoren und deren Büchern. Es handelt sich dabei vor allem um Kulturgüter höchsten Grades, die sich nicht mit jenen zufälligen Geschwistern gemein machen wollen, die sich als Trivialliteratur und Groschenheft gleichfalls zwischen zwei Buchdeckel geschmuggelt haben. Dass das Kulturgut Buch eben nicht nur Träger höchster kultureller Werte, sondern auch eine Handelsware ist, die in einer sich ständig weiter ausdifferenzierenden und technisierenden Industrie geschrieben, gesetzt, gedruckt, angeboten und vielleicht verkauft wird, bleibt mit Vorliebe außen vor. Gerade in einem (erneuten) Medienwandel, wie wir ihn heute erleben, wird die technische, logistische und wirtschaftliche Bedeutung des Buches, mithin des Buchhandels, aber deutlich erkennbar – wenngleich die Diskussionen auch heute noch auffallend kulturkritisch aufgeladen werden. Unter- und Niedergänge allenthalten.

Dahinter verschwindet jedoch ein Bündel an Erkenntnissen, die nicht zuletzt an der Geschichte des Buchhandels und des Literaturbetriebs der 1920er- und frühen 1930er-Jahre zu bilden sind: Neue Medien sind nicht nur eine Bedrohung der Literatur, sondern auch deren Ergänzung und eine Chance, und selbst der Kulturträger Buch hat im Medienverbund eine eigene Position. Bleibt also festzuhalten: Das Buch ist Kultur- und Wirtschaftsgut, daneben auch noch ein Politikum per se. Und das Buch als Kulturgut ist nur dann als Allgemeingut vorstellbar, wenn es denn auch Ware ist. Zugänglichkeit ist alles. Und nicht zuletzt: Das Buch als Kulturgut erschöpft sich nicht in der vermeintlichen Höhenkammliteratur, eher umgekehrt: die E-Literatur erfährt eine Unzahl von Anregungen aus dem Unterhaltungsbereich. Von den Verbindungen zur Sach- und Fachliteratur einmal zu schweigen. Cross the border, close the gap.

Der Blick auf die Literatur und damit eben auch den Literaturbetrieb und den Buchhandel der Weimarer Republik ist in dieser Hinsicht lehrreich. Denn im selben historischen Moment, in dem das Buch aufgrund der gestiegenen Lesekompetenz als Medium vollständig durchgesetzt zu sein schien, sah es sich der ständig stärker werdenden Konkurrenz anderer Medien ausgesetzt. Die Literatur in der Medienkonkurrenz ist denn auch eines Hauptthemen der zweibändigen Buchhandelsgeschichte der Weimarer Republik, die Ernst Fischer und Stephan Füssel im Namen der Historischen Kommission herausgegeben haben. Und das ist nun angesichts der heutigen Debatten ein ziemlich aktuelles Thema.

Dass eine rund 1.200 Seiten umfassende Sammlung von Einzelbeiträgen zu den verschiedenen Aspekten der Buchhandelsgeschichte weiter reicht, informativer und grundsätzlicher informiert als etwa die wenigen dutzend Seiten, die Reinhard Wittmann seinerzeit der Weimarer Republik widmen konnte, versteht sich von selbst. Dasselbe gilt für die zweifellos instruktive, aber gleichfalls begrenzte Darstellung, die Anton Kaes im einschlägigen Band von Hansers Literaturgeschichte publiziert hat und die als Orientierung immerhin ausreichte.

Für Literaturwissenschaftler sind es vielleicht diese beiden kurzen Überblicksdarstellungen, mit denen das Wesentliche zum Literaturbetrieb der Weimarer Republik gesagt war, was eben auch damit zu tun hat, dass die große Zahl der einschlägigen Einzelstudien kaum noch angemessen wahrgenommen werden kann. Insofern führt diese in zwei Teile gefasste Geschichte des Buchhandels zusammen, was also grundsätzlich vielleicht schon vorhanden ist (die Studien zu Langen-Müller etwa und zur Hanseatischen Verlagsanstalt), aber eben auch nur noch von Spezialisten überblickt werden kann. Ohne Zweifel: Diese zwei Bände sind mehr als überfällig. Jetzt sind sie da und sollen auch gelesen und genutzt sein.

Ernst Fischer und Stephan Füssel, die als Beiträger gleichfalls aktiv mitgewirkt haben, haben schließlich so ziemlich jeden Winkel des Buchhandels und damit eben auch des Literaturbetriebs systematisch ausgeleuchtet, der auch nur halbwegs erreichbar war. Umfassend ist also der Darstellungsanspruch, und muss dennoch immer wieder Kompromisse eingehen: Um zum Beispiel alle relevanten Verlage darstellen zu können, müssen die einzelnen Darstellungen skizzenhaft bleiben. So werden die Beiträge der beiden Bücher vor allem als Referenz- und Ausgangspunkte dienen, die weitere Forschungen initiieren werden. Darüber hinaus wird es als Nachschlagewerk gute Dienste leisten. Und die Literaturwissenschaft wird sich der beiden Bände – hoffentlich – ausgiebig bedienen.

Dass sie dies gebührend tun sollte, ist nicht zuletzt damit begründet, dass diese beiden Bände die hochfahrenden Ansätze literaturwissenschaftlicher Forschung gründlich erden können und sollten. Denn Literatur fügt sich – wenngleich unter heftigsten Diskussionen – nahtlos in den Entwicklungsprozess der Konsum- und Unterhaltungskultur des 20. Jahrhunderts ein. Sie bedient Interessen und Meinungen, Geschmäcker und Haltungen. Mit anderen Worten: Das Buch, sei es literarisch, sachlich oder fachlich, wird in einem sich immer weiter technisch und organisatorisch entwickelnden und in seinen Zielgruppen und Sparten ausdifferenzierenden Prozess in der Konsum- und Kulturgesellschaft produziert. Das ist für den Sach- und Fachbuchbereich weniger problematisch als für die Belletristik, und hier vor allem für die Hochliteratur extrem umstritten.

Das lässt sich an den zahlreichen Krisendebatten ablesen, die bereits jene knapp 15 Jahre zwischen Krieg und NS-Regime bestimmen. Die Restituierung des Buchmarktes nach 1918 wird mit einer permanenten Debatte über den Niedergang des Kulturguts Buch begleitet. Und es ist bereits zu dieser Zeit nichts Neues, denkt man etwa daran, dass sich ein Stefan George nicht damit begnügte, ein antimodernes literarisches Konzept (samt Habitus) vorzulegen, sondern sich außerdem (zumindest in den ersten Jahren) vom Buchbetrieb fernhielt. Wie sich an seinem Beispiel zeigt, ist das konsequent, aber desaströs und beschneidet die Zahl der angesprochenen Leser massiv.

Oder ist am Ende doch alles anders? Denn konsequent zuende gedacht bedient die Ausdifferenzierung und Stratifizierung des Buchmarktes kulturkonservative Interessenlagen ebenso wie die Profitmaximierungsbestreben der Unternehmen oder den Wunsch nach dem großen Erfolgsbuch, der wohl manchen Autor umtreibt. Dafür einmal um die Ecke gedacht: In den Diskussionen um Industrie 4.0 geht es vor allem darum, Kleinstauflagen von Produkten zu denselben wirtschaftlichen Konditionen herstellen zu können, wie dies in der Massenproduktion möglich ist, ohne dabei an Ausstattung oder Qualität sparen zu müssen. Im Unterschied zur industriellen Massenproduktion (Autos, Geschirr, Unterhaltungselektronik und Freizeitartikel) hatte der Literaturmarkt aber von Anfang an eine solche kleinteilige Struktur: Spartenliteratur, Kunstliteratur, was auch immer, Durchschnittsauflagen von wenigen tausend Stück, Minipressen, die nur wenige Exemplare eines Buches herstellen, eine Novitätenlawine in jeder Saison: Der Literaturbetrieb und der Buchhandel leben davon, keine Massenartikel herzustellen, sondern zahlreiche Spezialinteressen zu bedienen,  und er hat dies noch weiter ausdifferenziert.

Die im Buchmarkt des frühen 20. Jahrhunderts erkennbare, immer weiter fortschreitende Aufsplitterung der literarischen Buchproduktion für immer kleinere Zielgruppen fügt sich daher ohne weiteres in die Entstehung der Konsumkultur insgesamt. Mit ihr teilt sie das widersprüchliche Phänomen, dass in dem Moment, in dem Güter massenhaft hergestellt werden können, sich die Massengesellschaft, was ihre Geschmacksgruppen und Konsumgruppen angeht, in immer kleinere Teilgruppen auszudifferenzieren beginnt. Darauf ist der Buchmarkt besonders gut vorbereitet, wie sich einigen Hinweisen und Beiträgen dieser beiden Bände entnehmen lässt.

Das bedeutet, dass der Literaturbetrieb auf der einen Seite zwar immer noch und immer gern das massenhaft produzierte Erfolgsbuch aufnimmt und vertreibt, dass seine Basis aber das Einzelbuch in kleiner oder mittlerer Auflage ist, genauer gesagt, die große Zahl der Einzelbücher in kleiner und mittlerer Auflage. Der Buchmarkt leidet also eigentlich nicht unter der großen Zahl der Neupublikationen (auch wenn sie niemand mehr überblicken kann), sondern sie zeichnen ihn stattdessen aus. Das gilt auch für die Weimarer Republik, deren Buchproduktion gegen Ende der 1920er-Jahre das Vorkriegsniveau erreichte. So stieg die Produktion der Neuerscheinungen nach 1919 von etwa 16.000 Titeln auf knapp 25.000 im Jahr 1927, um dann in den Folgejahren auf 18.000 zu sinken. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Auflagen in den jeweiligen Jahren liegt zwischen 70 und 85 Prozent.

Die Neuerscheinungen dominieren also den Buchmarkt, gerade in den politischen und wirtschaftlichen Krisenjahren ab 1930, in denen die Buchproduktion insgesamt zurückging. Es gibt also in der Tat eine Tendenz in Richtung Novität, was ja in den Krisendiskussionen der Jahre immer wieder gegen den modernen Literaturbetrieb ins Feld geführt wurde. Wo das Ewige zu verteidigen ist, kann das Neue nur Störfaktor sein. Dabei verweist die Dominanz der Belletristik, über die etwa Barbara Kastner in ihrem Beitrag schreibt, auf die Bedeutung des Literarischen in der Lese-, Ausbildung- und Bildungskultur. Sie übernimmt verschiedene Funktionen, unter anderem die der Unterhaltung, Bildung, Ausbildung und Reflexion, aber auch der Teilhabe und der Erweiterung des Erfahrungsraums. Sie bietet andere Zugänge zu den Lebenswirklichkeiten als etwa das Sachbuch, das sich in der Deskription selbst limitieren muss. Die Belletristik hingegen kann nicht nur Realität zeigen, sondern sie auch perspektivieren, simulieren und reflektieren. Gerade aber in dem jeweiligen Zugriff liegen die Gründe für die Ausdifferenzierung von Literatur selbst: Wenn es einen konservativen, nationalen, offenen, geschlossenen, traditionellen oder sozialistischen, religiösen oder laikalen Zugang zur Wirklichkeit gibt, dann muss man von Literatur erwarten, dass sie auch diesen Zugängen Stimme gibt, vor allem dann wenn der Literatur ein solch starker Einfluss zugesprochen wird und ihr Renommee derart hoch bleibt.

In der Ausdifferenzierung der Verlage in ihre verschiedenen politischen, konfessionellen und ideologischen Varianten, wie sie im zweiten Band der Buchhandelsgeschichte der Weimarer Republik skizziert wird, lässt sich dieses Phänomen wiederfinden: Die weltanschaulich, konfessionell und politisch orientierten Verlage sind dabei nur ein Teil der Entwicklung (die ja bereits früher begonnen hatte, das vorgeblich einheitliche Feld der Literatur aufzuschließen), die Entwicklung der Unterhaltungsliteratur und ihrer Verlage gehört ebenso dazu wie die der Kinder- und Jugendbuchverlage. Das Extrem sind die esoterischen und spiritistischen Verlage, in denen so ziemlich jede Variante menschlicher Denkformen zum Buch werden konnte – zum Teil in Kleinstauflagen und in Verlagen von äußerst geringer Lebensdauer, aber das Phänomen selbst ist nicht zu übersehen. Das Feld wurde immer unübersichtlicher, der Literaturbetrieb und damit eben auch der Buchhandel differenzierten sich immer weiter aus und spezialisierten sich dabei. Dass sich dabei die Sparten voneinander mehr und mehr abkoppelten und eigene, nur für ihren Bereich geltende Schreib-, Produktions-, Präsentations- und Vertriebsformen entwickelten, ist aus heutiger Sicht naheliegend.

Allerdings werden zumindest die terminologischen Verbindungen zur Hochliteratur und ihren Verlagen nicht gekappt, da daraus die einzigen funktionalen Aufwertungsmuster bezogen werden. Ein esoterischer Verlag muss das Genie bemühen, ein Kinder- und Jugendbuchverlag muss sich als Kulturträger kennzeichnen, die mediokren Repräsentanten der politischen Rechten müssen die Dichtung für sich reklamieren, da sie sich damit als Wahrer und Beschützer des Kernbereichs der Kultur positionieren können. Das gibt ihnen gegen jene Teile des Betriebs, die sich der Unterhaltung, der Massenliteratur und auch der hohen und damit renditestarken Auflage verschrieben haben, einen mindestens eingebildeten Vorteil.

An dieser Stelle lohnt sich sicherlich ein Blick auf die sogenannten Kulturverlage, die aus heutiger Perspektive den Kernbereich der Literatur der Weimarer Republik ausmachten. Rowohlt, S. Fischer, Kiepenheuer, Kurt Wolff, Insel, in gewisser Weise auch Malik, aber eben auch Piper, Diederichs, Hanser, Bertelsmann einerseits oder Ullstein andererseits. Dass aus Sicht der etablierten Verlage so manche, heute prominente Verlagsgründung wegen der hohen Buchhändlerrabatte und wegen der mangelnden Profitabilität, mit denen die Neuen in den Markt drängten, vor allem ein Ärgernis und eine einigermaßen effektive Geldvernichtungsmaschine war, spielt für die kulturelle Bedeutung der Verlage keine Rolle. Es ist freilich bezeichnend, dass das Haus Ullstein als Zeitungsverlag auch im Buchbereich enorm erfolgreich war, weil es – wie der Beitrag von Stephan Füssel zeigt – intensiv Crossmediakommunikaton- und Crossmediamarketing-Instrumente einsetzte. Ullstein ist wohl derjenige Verlag, der alle Bereiche literarischer und kultureller Produktion am erfolgreichsten erschloss und seine Produkte in nahezu allen Bereichen unterzubringen wusste. Buchverlage, Zeitschriften und Zeitungen, Filmproduktion und Theaterverlage arbeiteten nicht unabhängig voneinander, sondern wurden als konzertierte Akteure eingesetzt.

Der Erfolg von Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“, 1929 erschienen und binnen Jahresfrist auf 1 Million Exemplare kommend, ist das wohl beste Beispiel für das Zusammenspiel der Ullstein-Unternehmen. Wie weit der Einfluss Ullsteins ging, lässt sich auch am Beispiel von Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ zeigen, der 1932 im Rowohlt-Verlag erschien. Der Roman erschien vor der Erstausgabe in der „Vossischen Zeitung“ des Ullstein-Konzerns als Fortsetzungsdruck, begleitet von der Ankündigung zweier weiterer Ullstein-Blätter, dass der Abdruck in der Vossischen beginnen werde. Die ersten Reaktionen sind anscheinend ausschließlich in Ullstein-Blättern zu finden (was man anhand der von Fallada selbst extensiv gesammelten Rezensionen, die im Fallada-Archiv einzusehen sind, nachvollziehen kann). Warum das alles? Hintergrund dieses Zusammenspiels ist wohl, dass Ullstein im Jahr 1931 zum Mehrheitsgesellschafter von Rowohlt geworden war, als der Verlag vor der Pleite stand. Ullsteins Einfluss reichte also weit und der Verlag war am Erfolg seiner Beteiligungen interessiert, auch wenn sie für die Öffentlichkeit nicht erkennbar waren (gerade dann, könnte man meinen).

Rowohlts Pleite nach einigen Erfolgsjahren kam überraschend und ist wohl auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen: Risiken gab es immer. Rowohlt hat in der Preisdebatte, in der die Frage danach gestellt wurde, ob das deutsche Buch zu teuer sei, eindringlich die verlegerischen Risiken und Unwägbarkeiten geschildert, die ihn zwängen relativ hohe Preise zu nehmen, ohne dass es Garantien für einen Erfolg geben könne. Dagegen war im Übrigen von Willi Münzenberg eingewandt worden, dass Rowohlt vielleicht einfach auf sein Gehalt hätte verzichten sollen (was Ausdruck seiner wahren Risikobereitschaft wäre), um die Kosten zu senken. Dann wären auch höhere Auflagen möglich gewesen, die das Kostensenkungspotenzial weiter erhöhet hätten, was wiederum Auswirkungen auf den Verkaufserfolg der Rowohlt-Bücher gehabt hätte.

Der Verlag war aber anscheinend durch die Wirtschaftskrise unter Druck geraten. Außerdem lahmte Rowohlts Zugpferd Emil Ludwig, hatte sich aber aufgrund früherer Erfolgsbücher hohe Vorschüsse zusichern lassen. Ein grober Missgriff Rowohlts, wie sich zeigte.

Solche Fehlkalkulationen waren auch für andere Verlage bedrohlich: Reiche Erben, die sich ins Verlagsgewerbe wagten, verbrannten das Geld, das ihnen zur Verfügung stand, indem sie hohe Vorschüsse zahlten. Brechts jahrelanges Spiel mit dem Kiepenheuer-Verlag (er zog über Jahre Vorschüsse für die dann nie bei Kiepenheuer erschienene „Hauspostille“ und ließ sich vom Verlag seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann zahlen) ist in der Brecht-Szene ein vielzitiertes Beispiel für die Geschäftstüchtigkeit des jungen Autors, der mit dem „Dreigroschenroman“ noch im Exil ein ähnliches Geschick zeigte (bei einem Verlag, bei dem ein ehemaliger Kiepenheuer-Mitarbeiter die Fäden zog).

Dass aber die Freigebigkeit des Verlegers Kiepenheuer den Verlag ein ums andere Mal an den Rand des Ruins trieb, von dem er nur mit frischem Geld wieder wegzutreiben war, bleibt hier außen vor. Aber eben nicht nur Kiepenheuer, auch der viel gepriesene Kurt Wolff war wirtschaftlich auf Dauer nicht überlebensfähig. Die Pressendrucke, die in der Weimarer Republik eine Hochzeit erlebten, waren „weitgehend“, wie Wulf D. von Lucius im Beitrag über „Buchgestaltung und Buchkunst“ betont, nur durch mäzenatische Träger überlebensfähig. Das Zeitschriften-Engagement Rowohlts blieb glücklos. Wer gute Literatur machen will, muss also leiden und draufzahlen?

Erfolgreiche Verlage wie Ullstein und S. Fischer stehen dagegen. Anscheinend bedarf es eben auch eines gewissen Maßes an Geschäftssinn und eines tragfähigen Portfolios, verkaufbarer Bücher also, aber auch eines verlegerischen Konzepts, das in sich schlüssig ist. Dazu gehören auch die bis in die frühe NS-Zeit gängigen Volksbuchausgaben. Damit konnten erfolgreiche Bücher – gefördert durch Verfilmungen oder den Literaturnobelpreis – zu Megaerfolgen gemacht werden.

Thomas Manns „Buddenbrooks“ zum Beispiel: Der Roman hatte sich seit seinem Erscheinen 1901 zum Steadyseller entwickelt, war aber teuer. Der Verleger Adalbert Droemer vom Verlag Th. Knaur hatte Thomas Mann, der für den Verlag bereits eine Reihe betreute, das Angebot gemacht, „Buddenbrooks“ in einer Auflage von 1 Million Exemplaren zu drucken. Statt der 17 RM der regulären S. Fischer-Ausgabe – mit denen das Buch im Hochpreissegment für Belletristik rangierte – sollte das Buch in der Sonderausgabe nur noch 2,85 RM kosten, also den Preis, den Knaur in Kaufhäusern für seine Bücher erzielte und der sich als Standardpreis für die Volksausgaben durchsetzte. Dafür sollte Mann ein Voraushonorar von 100.000 RM erhalten. Auch ein Thomas Mann ist käuflich, aber S. Fischer wollte das Geschäft nicht einem anderen Verlag überlassen und machte es schließlich (gegen den Widerstand des Verlagsgründers) selbst.

Damit zogen sich aber Autor und Verlag harsche Kritik der Branche zu. Die Buchkrise war erneut auszurufen. Das Billigbuch, nicht zuletzt dann wenn es ein Buch der Hochliteratur war, schien eine Bedrohung, ein Ausverkauf von allem, was sich noch als Kultur verstand. Das aber ist nicht nur Ausdruck einer anachronistischen Haltung im Betrieb, sondern ist ironischer Weise auch Zeichen dafür, dass der Buchhandel eigentlich besonders gut in die Moderne passt.

Kleine Auflagen, zahlreiche Bücher in den unterschiedlichsten Verlagen: Der Literaturbetrieb verbindet mithin Anforderungen der extremen Moderne mit den Forderungen eines konservativen Kulturverständnisses, das im Buch, insbesondere aber im belletristischen Buch, das Produkt eines Originalgenies sieht, zu dem der adäquate Leser erst gefunden werden muss. Eine irritierende und in sich widersprüchliche Struktur: Der Markt, der anonymisiert, findet über die Ausformulierung der Individualinteressen wieder zu wenigen und damit konkreten, fast schon persönlichen Beziehungen zwischen Autor und Leser.

Das lässt sich von Nahem besehen nahezu bruchlos in die Medienkonkurrenzen einbinden, die sich in den 1920er-Jahren verstärkten. In Radio und Film, Massenpresse und Zeitschrift wuchsen der Literatur neue Wettbewerber heran, die gleichermaßen um die Aufmerksamkeit von Lesern, Zuschauern und Käufern buhlten. Die Konkurrenz hat der Literatur und auch dem Buch gut getan, wie wir wissen. Aber darüber hinaus entstanden in kurzer Zeit enge Beziehungen zwischen der Literatur und den übrigen Medien. Die Fotografie, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine mehrere Jahrzehnte dauernde Geschichte hinter sich hatte, ging in der Reportage eine eigentümliche Verbindung mit der Literatur ein. Die Medienkonkurrenz erwies sich entsprechend mehr als Medienverbund, in dem die einzelnen Kunst- und Publikationsformen unterschiedliche Funktionen übernahmen, dabei sich aber stark aufeinander bezogen und einander beförderten. Der angebliche fotografische Blick der Neuen Sachlichkeit ist dabei zwar mehr als Metapher denn als Verweis auf eine spezifische Darstellungstechnik zu verstehen. Aber allein die Begrifflichkeit weist auf Veränderungen in der literarischen Praxis und deren Reflexion hin.

Darüber hinaus sind jedoch gegenseitige Entlehnungen deutlich zu erkennen: Montage- und Schnitttechniken tauchen in Literatur, Film und bildender Kunst auf. Die Versuche, die künstlerische Verarbeitung von Gegenwart voranzutreiben, motivierten auch die verschiedenen Medien und Genres dazu, sich bei jeweiligen Nachbarn fleißig zu bedienen. Dabei gingen gewohnte Grenzen zwischen Genres und Medien schnell verloren oder wurden zur Disposition gestellt. Die Volksbefragung von 1925, die auf eine Zahl von gut 7.000 Autoren kommt (zu finden im Beitrag von Britta Scheideler zu Schriftstellern und Schriftstellerorganisation im ersten Band, andere Quellen sprechen von 37.000 Autoren), kennt keine Dichter, sondern nur Schriftsteller, die in verschiedenen Positionen und Verhältnissen, selbständig oder abhängig, belletristisch oder journalistisch tätig sind. Dennoch führte die Diskussion über die Umbenennung der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste 1931 zum Eklat und zum Austritt einer Gruppe von nationalkonservativen Dichtern um Erwin Guido Kolbenheyer.

Das Feld war also noch lange nicht ideologisch bereinigt, wenngleich es ökonomisch bereits neu ausgerichtet wurde. Trotz der Lösung des Buchbetriebs vom engeren hochliterarischen Bereich war dessen Blick immer noch dominant – was sich nicht zuletzt dadurch erklären lässt, dass sich die Akteure des Betriebs in einer existenziell bedrohlichen Konkurrenzsituation sahen und sich in einer sich rasch ausdehnenden kulturellen Szenerie behaupten wollten: Film, Rundfunk, Zeitungen einerseits, die in den Markt drängenden Autorinnen andererseits, Autoren und andere Akteure aus zuvor bildungsfernen Schichten drängten in den Markt, der sich binnen weniger Jahre radikal zu ändern schien.

Herausgekommen ist dabei ein Buchhandel, wie wir ihn heute kennen: Stets in Konkurrenz mit den neuen Medien, mit der Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, auch wenn sie vielleicht die Verliererseite sein sollte. Bis dahin aber lässt sich das eine oder andere Buch, das einem gefällt, noch kaufen und lesen – im Buch oder im E-Reader, wen störts?

Titelbild

Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2: Die Weimarer Republik 1918-1933. Teil 1.
Im Auftrag der Historischen Kommission herausgegeben von Ernst Fischer und Stephan Füssel.
K. G. Saur Verlag, München 2007.
530 Seiten, 199,95 EUR.
ISBN-13: 9783598248085

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Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2: Die Weimarer Republik 1918-1933. Teil 2.
Im Auftrag der Historischen Kommission herausgegeben von Ernst Fischer und Stephan Füssel.
De Gruyter, Berlin 2012.
674 Seiten, 159,95 EUR.
ISBN-13: 9783598248092

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