Als Poesie gut

In „Kossenblatt. Das vergessene Königsschloss“ liefert Günter de Bruyn preußische Heimatkunde vom Feinsten

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ebensowenig wie Wulf Kirsten, einer unserer besten Lyriker, hat Günter de Bruyn, einer der besten Prosaautoren deutscher Sprache, den Büchner-Preis erhalten. Vor neun Jahren hatte der 1926 in Berlin geborene Autor eine ungemein lesenswerte „Liebeserklärung an eine Landschaft“ vorgelegt: „Abseits“. Darin erkundet er, emphatisch-poetisch und nüchtern zugleich, die zunächst unspektakuläre Wald- und Wassereinsamkeit im Landkreis Oder-Spree. Um Spuren des Lebens zwischen Storkow, Beeskow und Lübben geht es auch in de Bruyns jüngstem Buch – erneut eine Liebeserklärung, eine sehr melancholische allerdings.

„Einen Bahnhof hat es hier nie gegeben, wer aber einen einstündigen Fußmarsch nicht scheute, konnte noch vor zwei Jahrzehnten Kossenblatt doch auf dem Schienenwege erreichen.“ So lautet der erste Satz, und wem die makellose Prosa Günter de Bruyns ein wenig altväterlich erscheint, der liegt nicht ganz falsch. Jedoch ist sie ihrem Gegenstand vollkommen angemessen. In Kossenblatt wohnen kaum 500 Menschen, und es ist absolut nichts los. Man kann zwischen Kiefern, Erlen und Birken herumstreunen und viel Wasser samt Schleuse betrachten, den früheren Gutshof und den einstigen Dorfkrug. Nicht besichtigen kann man das dreiflügelige Barockschloss, 1702 bis 1712 errichtet und seit 1735 zeitweilig von Friedrich Wilhelm I. von Preußen bewohnt. Es wirkt grau und verlassen wie 1862, als der von Günter de Bruyn hochverehrte Theodor Fontane wenig Erfreuliches über Kossenblatt zu berichten wusste. Die „Hoffnung auf eine baldige Wiederbelebung des Schlosses“ wird, so sieht es der Autor, wohl ungehört verhallen. Ihm ist der Bau seit seinen Kindheits- und Jugendtagen ein Begriff, und so ist sein zauberhaft-präziser Text auch eine Annäherung an eigene Erinnerungen und ein Baustein seiner Autobiografie. Kultur- und sozialhistorische, topografische und naturkundliche Details machen die Lektüre dieses sprachlich meisterhaften Buchs zu einem Exerzitium der Entschleunigung. Genussreicher und einleuchtender kann man nicht vorgeführt bekommen, weshalb „das Heimischwerden in einer Landschaft auch das Wissen um ihr Werden erfordert“. Bewundernswert!

Titelbild

Günter de Bruyn: Kossenblatt. Das vergessene Königsschloss.
S. Fischer Verlag, Frankfurt, M. 2014.
216 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100098351

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