Das ambige Phänomen der vormodernen Liebesgabe

Margreth Egidi, Ludger Lieb, Mireille Schnyder und Moritz Wedell präsentieren multiperspektivische Zeugnisse einer literaturwissenschaftlichen Analyse

Von Nicolas PotyschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicolas Potysch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der in der Reihe Philologische Studien und Quellen des Erich Schmidt Verlags erschienene Band Liebesgaben versammelt die Beiträge der Doppeltagung Liebesgaben in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit (10.-12. Dezember 2009 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel) und Literarizität und Poetologie der Liebesgabe (6.-8. Mai 2010 an der Universität Zürich) in einem Werk. Auf diesen beiden Tagungen stand unter dem Motto ‘Liebe schenken’ eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar ‘Liebe und Gabentausch’ im Zentrum der Diskussionen. Die zweigeteilte Struktur des Bandes korreliert mit den unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten der beiden Veranstaltungen. Dabei verschwimmt die klare Trennung in kommunikative, semiotische und performative Aspekte zum einen und narratologische und poetologische Aspekte zum anderen bei einigen Beiträgen, was jedoch die enge Verbindung der beiden Tagungen nicht nur hinsichtlich des gemeinsamen Gegenstandes unterstreicht und die wissenschaftliche Qualität keineswegs mindert.

Im Wesentlichen lassen sich die in den unterschiedlichen Beiträgen des Bandes thematisierten Liebesgaben in zwei größere Untergruppen aufteilen. Die etwas größere Gruppe nimmt Liebesgaben als Elemente innerhalb eines narrativen Textes in den Blick. Dabei kann es sich um Gegenständliches im weitesten Sinne – wie Schriftzeugnisse, Schmuck, Kleider, Titel et cetera – oder aber auch um Taten – wie Liebesbezeugungen, Sex, Tod aus beziehungsweise als Beweis der Liebe oder Ähnliches – handeln. Die etwas kleinere Gruppe der Beiträge widmet sich der Inszenierung des literarischen Textes selbst als Liebesgabe. So beispielsweise Giovanni Boccaccios Versroman Filostrato, den der Dichter als Liebesbezeugung und -geschenk an seine Geliebte präsentiert.

Der Band umspannt einen weiten zeitlichen Rahmen. So bildet Thorsten Burkhards Auseinandersetzung mit der Liebesgabe in der klassischen römischen Liebesdichtung des ersten Jahrhunderts vor Christus den Einstieg. Zum Abschluss thematisiert Ladina Bezzola Lambert Shakespeares Sonette aus dem Jahr 1609. Insgesamt ist jedoch eine deutliche Konzentration der Beiträge auf literarische Zeugnisse des Hoch- und Spätmittelalters sowie der beginnenden Frühen Neuzeit zu erkennen – so, wie der Titel es verspricht. Der Vorteil dieser Gewichtung liegt insbesondere darin, dass ein weites Feld mit vielen miteinander verwandten, aber hinreichend unterschiedlichen Exempla beleuchtet werden kann. So ist die ausgesprochen vielfältige Produktivität des Konzepts der Liebesgabe im literarischen Kontext bereits nach wenigen Beiträgen offensichtlich. Zwar erschweren die zum Teil doch recht uneinheitlichen Begrifflichkeiten zur Beschreibung der besonderen Charakteristika der ‘Liebesgabe’ eine Bezugnahme der einzelnen Beiträge aufeinander, doch ermöglicht dies zugleich, gelungene Beschreibungstermini von weniger geeigneten zu unterscheiden.

Die pointierten Vorüberlegungen zu Teil 1 und Teil 2, die von Ludger Lieb und Mireille Schnyder verfasst wurden, bemühen sich gemeinsam mit der systematischen Einleitung von Margreth Egidi und Moritz Wedell um eine Verortung der einzelnen Beiträge im weitläufigen Forschungsfeld. Dennoch gelingt es den Herausgebern nicht in jedem Fall, diese auf ein größeres Ganzes zu beziehen. Diese Tatsache ist meiner Erkenntnis nach jedoch dem facettenreichen Forschungsgegenstand selbst und der (noch) nicht vorgenommenen Eingrenzung der Forschungsfrage geschuldet. Die theoretischen Grundlagen fußen dabei primär auf Marcel Mauss‘ wegweisendem Aufsatz Essay sur le don (1923/24) und der kritischen Auseinandersetzung mit diesem in Jacques Derridas Donner le temps 1 (1991). Davon ausgehend differenzieren die Herausgeber die zentrale Fragestellung des Sammelbandes anhand des derart skizzierten Doppelcharakters der Liebesgabe: Wo lässt sich die literarische Funktion der Liebesgabe, deren ambige Struktur um die Konzepte der ‘Totalen Gabe’ und des ‘Tausches’ kreist, verorten? Welche Rolle spielt sie in (fiktiven) an-/ökonomischen Kontexten? Wie wird die Unvereinbarkeit von ‘Tauschzirkel-Relationen’ einerseits und ‘selbstloser Hin-/Gabe’ andererseits erzählerisch produktiv gemacht?

Unter Rückgriff auf diese umfassenden Fragestellungen und den verschiedenartigen Versuchen, diese zu beantworten, gilt es, den Tagungsband als einen absichtlich an den Rändern unscharf und weit gehaltenen literaturwissenschaftlichen Einblick in ein umfangreiches Forschungsfeld zu verstehen. Ausgehend von dieser Arbeit mit Pioniercharakter können nun wiederum spezifische Einzelaspekte auch für weitere kulturwissenschaftliche Disziplinen hin geöffnet werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Margreth Egidi / Mireille Schnyder / Ludger Lieb / Moritz Wedell (Hg.): Liebesgaben. Kommunikative, performative und poetologische Dimensionen in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012.
430 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783503137428

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