Über die berühmteste Waffe der Welt

Oliver Rohes Buch „Meine jüngste Erfindung ist eine Maulwurfsfalle“ beleuchtet Michail Kalaschnikows Leben und seine Erfindungen

Von Matthias HennigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Hennig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oliver Rohe, geboren 1972, hat einen deutsch-libanesischen Hintergrund, ist in Beirut aufgewachsen, schreibt auf französisch und hat bisher zwei größere Romane und mehrere kleinere Prosabände vorgelegt. Sein neuestes Buch erzählt die Geschichte der Kalaschnikow als eine Geschichte der veränderten Kriegsführung im 20. und 21. Jahrhundert. Nach ihrer Erfindung im Jahr 1947 verbreitet sie sich während des Kalten Krieges – mit großzügiger Unterstützung der Sowjetunion, die Waffen auf Kredit verkauft oder Lizenzproduktionen erlaubt – nach Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika, um dort im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit den Kampf aller imperialistisch Unterdrückten unter dem Banner aller „moskaunahen“ Armeen zu führen. Doch auch nach dem Ende der Sowjetunion bleibt die AK-47 aufgrund ihrer Effizienz und niedriger Anschaffungskosten das weltweit gebräuchlichste Sturmgewehr, das in fast allen Konfliktzonen und Bürgerkriegen zu finden ist. Mit ihrem „ungebremsten Zirkulieren“ leistet sie immer kleineren regionalen Territorialstreitigkeiten Vorschub.

Rohes Buch verschachtelt drei verschiedene Erzählebenen und Stillagen ineinander: die Lebensgeschichte Michail Kalaschnikows, die militärische Entwicklung seiner berühmtesten Waffe, der AK-47, sowie deren Eigenleben in den Händen ihrer Nutzer. Mal wird aus dem Blickwinkel des Erfinders berichtet, mal distanziert von außen über ihn. Oder es wird anhand eines grotesken Kriegsvideos gezeigt, wie selbst ein Schimpanse ohne große Anleitung seine Umgebung mit Kugeln durchsieben kann. Während Michail Kalaschnikow – als Kind noch mit seiner Familie nach Sibirien verbannt – durch seine militärtechnischen Erfindungen eine zutiefst sowjetische Galionsfigur geblieben ist, hat sich die AK-47 von ihrem Schöpfer emanzipiert. Wie alle erfolgreichen Modelle ist sie vielfach kopiert und weiterentwickelt worden, weil sie die Eigenschaften von Gewehr und Maschinenpistole auf kampftaktisch komfortable Weise zu bündeln wusste. In dutzenden Nachbauten und Kopien dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs (und bis heute) millionenfach produziert, ist sie in mehr als 50 Ländern Standardwaffe von Armee-, Polizei- oder Geheimdiensteinheiten.

Rohes erzählender Essay ist informativ, ohne den Leser mit Fakten zu langweilen. Er ist in seiner Skizzenhaftigkeit nicht bis ins letzte Detail durchkomponiert, lässt aber einen eigenständigen Formwillen erkennen. Er versetzt uns in eine entscheidende Erfinderfigur des 20. Jahrhunderts und zeigt, dass politische Geschichte durch das mutierende Eigenleben einer Waffe hindurch erzählbar ist. Der Ende 2013 verstorbene Michail Kalaschnikow hat Zeit seines Lebens als leitender Ingenieur einer Waffenfabrik in Ischewsk Gewehre konstruiert. Rohe präsentiert ihn als einen Ordnungsfanatiker, der nicht nur unzählige technische Patente und Erfindungen vorweisen kann, sondern auch im Privaten kleine Mordgeschäfte abzuwickeln wußte, indem er Maulwurfs-, Fuchs- oder Murmeltierfallen baute, um sein Haus und seinen Garten vor unliebsamen tierischen Besuchern zu schützen. Die der AK-47 zu Zeiten des Kalten Krieges zugeschriebene politische Befreiungsideologie ist heute – wenn sie es überhaupt je war – längst nicht mehr haltbar. Es ist eine globalisierte und Kriminellen zugängliche Waffe, die an der Zerstörung und Neuordnung von Territorien mitwirkt und in den Händen von Mafiosi, Kindersoldaten oder Rebellen auf fast allen Kontinenten Machtverhältnisse systematisch verändert.

Titelbild

Oliver Rohe: Meine jüngste Erfindung ist eine Maulwurfsfalle. Michail Kalaschnikow, sein Leben, sein Werk. Eine Erzählung.
Aus dem Französischen von Till Bardoux.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2014.
92 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783882219524

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