Von Giraffenkarotten und Maulbeerelefanten
Edward St. Aubyns „Der beste Roman des Jahres“ ist nicht der beste Roman des Jahres
Von Emily Jeuckens
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMit der Verleihung des Prix Goncourt am 7. November 20014 Jahres endet die Flut von Buchpreisen und Laudationes, die im Herbst das Feuilleton dominieren. Patrick Modiano erhielt den Literaturnobelpreis, der Deutsche Buchpreis ging an Lutz Seiler für Kruso, und eine britische Jury ließ Richard Flanagan die Ehre des heißdiskutierten Booker Prize für The Narrow Road to the Deep North zu Teil werden. Wieder einmal verfestigte sich der medial erzeugte Eindruck, eine lange Liste von Preisen und Nominierungen ließe Rückschlüsse auf die Qualität der Werke zu, eine solche Auszeichnung sei ein Garant des guten Geschmacks und für literarisches Wohlbefinden der Leser.
Um die Bedeutung der prestigeträchtigen Auszeichnungen weiß auch der britische Autor Edward St. Aubyn, der 2006 selbst auf der Shortlist des Booker Prize stand und sich nun mit Der beste Roman des Jahres zurück meldet. Der Titel der deutschen Übersetzung (im Original: Lost for words) ist angesichts von Aubyns zynischen Betrachtung des britischen Literaturbetriebs ebenso spitzzüngig wie eingängig formuliert:
Ein Komitee aus mehreren ehemaligen Mitarbeitern des auswärtigen Amtes, einer Professorin und einem Schauspieler liefert sich eine Schlammschlacht um sechs Titel der Shortlist für den Elysia-Preis, durchsetzt mit politischem Ränkespiel und persönlichen Kleinkriegen. Auf der anderen Seite stehen die hoffnungsvollen Autoren, die sich die Wochen bis zur Verkündung des Preisträgers mit Affären und Eifersüchteleien vertreiben. In Der beste Roman des Jahres werden die Protagonisten collageartig vorgestellt, die kurzen Kapitel zeigen rasant komponiert Eindrücke und kurze Szenen aus dem Leben der Kreativen und der Mächtigen. Immer wieder wird die Handlung von kursiv gesetzten Leseproben aus den Shortlist-Titeln und den literarischen Stolperschritten der Jurymitglieder unterbrochen, die im Laufe des Romans selbst auf den Geschmack der Schriftstellerei kommen.
St. Aubyn betreibt einen frechen Blickwechsel, er schwenkt den Scheinwerfer von den in der Öffentlichkeit scharf beäugten Autoren auf die im Verborgenen tagenden Komitees. Deren Ernsthaftigkeit und Kompetenz werden zwinkernd in Frage gestellt, die (durchaus zu diskutierende) Sinnhaftigkeit des Preismarktes wird zum wahren Schlachtfeld des Romans, der es schafft, das Ritual der Preisvergabe selbst irrelevant erscheinen zu lassen. Doch so charmant und durchdacht das Konzept des Romans klingen mag, so sehr hapert es für einen ungetrübten Lesegenuss doch an Humor und Authentizität, was einer ironischen, gewollt lebensnahen Komödie nicht gut bekommt.
Die Pointen enden meist als Bildungsbürger-Kalauer: Über die genveränderten Karotten der Agrarfirma, die den Preis stiftet, heißt es: „Die mit den Genen der Giraffe gekreuzten Karotten der Firma waren eine erhebliche Erleichterung für die viel beschäftigte Hausfrau, da sie für das Sonntagsessen nur noch eine einzige statt eines ganzen Bündels Karotten schälen musste.“ Zunächst mag die Vorstellung einer Karotte in der Länge eines Giraffenhalses den Leser zum Schmunzeln bringen. Doch die weiteren verzweifelten Versuche, die Kombination Tier-Lebensmittel lustiger werden zu lassen, als sie nun einmal ist, misslingen: Kabeljauweizen und Riesenameisenzitronen werden nach einigen Versuchen wieder aus St. Aubyns Kabarettprogramm gestrichen.
So bewegt sich der Humor des Romans zwischen feiner britischer Ironie und dem Lächerlichen: Die Charakterzeichnungen der Schriftsteller und ihrer Entourage grenzen, womöglich gewollt, an die reine Plattitüde: Sonny, ein dicklicher indischer Maharadscha, der betrauert, mit seinem 2000 Seiten starken Epos „Der Maulbeerelefant“ nicht auf die Shortlist gekommen zu sein und nach einem Treffen mit einem Literaturagenten namens John Elton beschließt, die Jurymitglieder von einem tumben Hausangestellten erschießen zu lassen. Didier, der französische Geliebte einer nominierten Autorin, der bei Teegesellschaften über Kapitalismus und Roland Barthes fabuliert. Tobias Benedict, ein Jurymitglied und Schauspieler, der bei den Sitzungen nicht anwesend ist, weil er „in einer Hip-Hop-Version von ‚Warten auf Godot’ den Estragon spielte.“ Sie alle sprechen in bestenfalls stereotypen, meist jedoch schlicht langweiligen Sätzen: „Er hat sich im Laden an der Ecke die letzten drei Dostojewksi-Wodka hinter die Binde gekippt.“ Hinzu kommt die mangelnde Sorgfalt in der Komposition: Vanessa Shaw, eine Professorin für Gegenwartsliteratur, wartet in ihren Sprechstunden auf Essays ihrer Studenten über T.S. Eliot und die Brontë-Geschwister – derlei Unachtsamkeiten können schon einmal für Verwirrung sorgen.
Während die Thematik der Preisverleihung zunehmend hinter Machtspielen und Diskussion über die Relevanz von Literatur verschwindet, rückt die Promiskuität der Autorin Katherine, die zeitgleich mit zwei ebenfalls nominierten Schriftstellern und dem Kulturkritiker Didier zusammen ist, immer weiter in den Fokus. Dieser tendenziell misogyne Blick auf weibliche Sexualität mag den Leser dazu motivieren, den Roman kritischer zu lesen, doch mitreißender wird die Handlung dadurch nicht. Ohne jede Charakterentwicklung, Überraschung oder, was bei dieser Thematik vielleicht zu erwarten gewesen wäre, eine kleine Liebeserklärung an die Literatur, endet diese Preissatire sang- und klanglos. Für Edward St. Aubyn gab es im Mai immerhin eine positive Nachricht – und dazu eine Flasche Champagner und ein Schwein, das künftig auf den Namen „Lost for Words“ hören wird: Der beste Roman des Jahres ist – zumindest in den Augen der Bollinger Everyman Wodehouse-Jury, die alljährlich humoristische Literaten in Großbritannien mit ihrem Preis und o.g. Insignien auszeichnet – ‚Der beste Roman des Jahres’.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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