Lyrik fürs Auge
Sabine Scho und ihre Fotos aus Sprache
Von Lisa Eggert
„Manchmal weiß man’s eben nicht“, sagt Sabine Scho ganz freimütig, als es im Gespräch mit Andreas Erb um das ewige Thema der Gattungszuschreibung geht. Die Auszeichnung als „Irgendwas“-Gedicht lehnt die Berliner Lyrikerin für ihre Texte ab und wehrt sich so auch gegen ihre Nivellierung durch den Buchmarkt, der fast sklavisch an Labeln für seine Erzeugnisse hängt. Es würde auch schwer fallen die Gedichte Schos unter irgendeinem Genre- oder Subgattungsbegriff zu fassen. Sie schreibt in, wie der Literaturwissenschaftler so schön sagt, in Versen gebundener Sprache, doch das hindert ihre Texte nicht daran, geschmeidig und klug dahin zu fließen und Leser*innen und noch mehr Zuhörer*innen mit sich zu nehmen.
Häufig werden dabei Fotografien zur produktions- wie rezeptionsästhetischen Initialzündung. Denn Sabine Scho liefert ihren Leser*innen die Bilder gleich mit. Die Verbindung von Text und Bild geht jedoch weit über eine bloße Illustration des einen durch das andere hinaus. Dies zeigte sich schon in dem 2008 erschienenen Gedichtband Album. Am Anfang war ein altes Fotoalbum, das die Autorin auf dem Trödel erstanden und in Sprache transformiert hat. Die fragmentarische Sammlung von Bildern einer ihr unbekannten Familie aus den 1950er Jahren wird durch Schos Texte zu einer zusammenhängenden Geschichte. Diese bekommt nicht nur einen ganz eigenen verspielten ‚Sound’, sondern zeigt sich manchmal auch im Druckbild der Gedichte. So erscheint die graphische Gestaltung von „Horst und sein neuer Opel“ – als Titel der Texte verwendet die Autorin häufig die Bildunterschriften aus dem Fotoalbum – ein An- und Abschwellen, das der Entwicklung des Wirtschaftswunders ähnelt. Zugleich kann man, hält man den Text quer zur Leserichtung, die Silhouette des Opel „Kapitän“ erkennen, den Horst auf dem Foto stolz präsentiert.
Überhaupt schreibt Sabine Scho Lyrik fürs Auge. Neben den Fotos, die auch in ihrem neuesten Band Tiere in Architektur von 2013 eine wichtige Rolle spielen, produzieren ihre Gedichte Bilder im Kopf, indem sie sehr erzählend, mehr noch beschreibend verfahren.
Das erste Tier, das kam, wann ich wollte, war ein
Kamel, die Oberlippe gespalten.
Trauerbuche Europa titelte der Baum vor seinem Quartier. Es rutschte auf den Vorderläufen langsam
die Kuppe herab, wenn es mit seinen geteilten Lippen
aus meiner Hand tastend die Eicheln fraß. Seltsame
Früchte, die auf seinem Planeten nicht wuchsen.
(„DAS ERSTE TIER“, in: Tiere in Architektur)
Doch es bleibt nicht bei der Beschreibung von Autos, Tieren und Begebenheiten. In fast allen Gedichten, die Sabine Scho vorstellt, sind die ersten Zeilen nur ein Aufgalopp für einen philosophisch essayistischen Ritt entlang an abstrakten Begriffen, die lyrisch erfahrbar werden. In Tiere in Architektur ist den Gedichten noch ein „richtiger“ Essay vorangestellt, der die Fragen aufwirft, die man Architektur für und um Tiere stellen kann. Diese Fragen werden auf den folgenden knapp fünfzig Seiten in den Gedichten fortgeführt und durch die Fotos, die die Autorin selbst gemacht hat, veranschaulicht ohne beantwortet zu werden. Ohne jeden missionarischen Gestus wird hier erläutert, welche Zookonzepte es gibt, was das überhaupt für eine merkwürdige Idee ist Ausstellungsgebäude für Tiere zu errichten, welche theoretischen Überlegungen den architektonischen Erwägungen vorausgehen – und welche Emotionen die Betrachtungen von ‚Tieren in Architektur’ auslösen.
Du hieltst ihr das Asthmaspray hin und dachtest an
ein verstaubtes Idiom; ohne genau zu wissen, was es
bedeutet, wen es diskreditiert: wie ein Fisch auf dem
Trockenen. Es wird doch bloß konstatiert, dass der
Fisch nicht dorthin gehört, aber die Phrase rekon-
struiert. Nicht den Weg. Zog sich ein Element zurück?
Wurde er ihm gewaltsam entrissen? Oder, was niemand
für möglich hält, hat er selbst den elementaren Wechsel
beschlossen?
(„SANDDOLLAR“, in: Tiere in Architektur)
All das geschieht mit der bereits erwähnten Leichtigkeit, mit Freude am Spiel und vollkommen ungekünstelt, gerade so als wären die Gedichte die ersten Äußerungen der Autorin nach dem Betrachten der Bilder. Im Gespräch über ihren Schreibprozess erfährt das Publikum allerdings von einem völlig anderen Verfahren: Schos Texte sind ebenso behutsam wie präzise entworfen und komponiert. Keiner ihrer Gedichtbände ist eine lose Textsammlung; alle sind von langer Hand geplant und von der Autorin akribisch vorbereitet. Angeregt durch ihr jeweiliges visuelles Material beginnt sie die Recherche. Dabei hält sie es mit Gottfried Benn, der Autor*innen mit Maulwürfen vergleicht, die sich in eine Sache eingraben und hinten Literatur heraus schaufeln. Die Rezeption der Ergebnisse dieser Grabungen stellt, so Scho, nun auch wieder eine Herausforderung dar – nicht nur für die Rezipient*innen. Lyriker*innen seien ständig gezwungen, sich gegen den Hermetikvorwurf zur Wehr setzen und sich selbst erklären zu müssen. Aber für alle Beteiligten gilt: Lyrik ist Arbeit – und Herausforderung. Einen Grund für diesen Umstand sieht die Autorin darin, dass an einem Bild, sei es physisch oder sprachlich, unzählige Fäden hängen. Wenn diese aber so selbstverständlich und spielerisch miteinander verknüpft sind wie bei Sabine Scho, nimmt man als Leser*in die Herausforderung gern an.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen