Paradies der Dinge
Über NoViolet Bulawayos Roman „Wir brauchen neue Namen“
Von Thomas Neumann
Der Titel von NoViolet Bulawayos Buch „Wir brauchen neue Namen“ erscheint zwar befremdlich, weckt aber Interesse. Dann schaut man sich den Klappentext an, die biographischen Notizen zur Verfasserin des Romans. Wie emigriert eine Achtzehnjährige aus einem afrikanischen Staat in die USA? Und warum schreibt sie einen Roman und was hat es denn nun mit den „neuen Namen“ auf sich? Die Lektüre beginnt mit einer Frage: „Wir sind auf dem Weg nach Budapest“. Was hat dies nun wieder zu bedeuten? Warum Budapest und liegt das nicht in Ungarn? Oder in Tschechien? Aber doch irgendwo im Ostblock? Aber wir sind doch jetzt in Afrika, oder nicht? Dort sind wir zusammen mit der Erzählerin, und Budapest liegt in Afrika. Ein kleiner Stadtteil einer afrikanischen Stadt in Simbabwe. Die Erzählerin lebt mit ihrer Familie ohne Vater und mit ihren Freunden in einer aus Wellblechhütten bestehenden Wohngegend. Unverschuldet in Armut geraten, besitzt die Familie kein festes Haus, und damit fehlen die Grundlagen für ein irgendwie „erfolgreiches Leben“ im eigenen Land – mit Bildung, Schule und Job.
Die Protagonistin und Erzählerin verlässt Afrika und ihre Familie und geht zu ihrer Tante in die USA. Diese unterstützt die Familie in Simbabwe und hilft ihrer Cousine, der Erzählerin, dauerhaft in Amerika zu bleiben. Als sie noch in ihrer Heimat ist, formuliert sie die Bedingungen für den Aufbruch: „Was ist ER? […] Das hab ich im Fernsehen in Harare gesehen, als ich Sekuru Godi besucht hab. Genau dieses Emergency Room machen die in den Krankenhäusern in Amerika. Wir brauchen neue Namen, damit wir es richtig machen. Ich bin Dr. Bullet, die ist schön, und du bist Dr. Roz, der ist groß, sagt Sbho und nickt mir zu.“
Bulawayo beschreibt die Lebenssituation der Protagonistin weder aussichts- noch hoffnungslos. Es ist eine differenzierte Beschreibung, die realistisch auf die begrenzten Perspektiven in Bezug auf Bildung und Kultur verweist. Dies wird in den Charakteren gespiegelt und in die Beschreibungen der Protagonistin integriert. Dabei verläuft der Übergang von Afrika nach Amerika seltsam fließend. Die Blickwinkel verändern sich, aber die Betrachtung der Welt bleibt erhalten. Allerdings hat das Verlassen der Heimat Auswirkungen: „Nie wieder werden sie sein wie jetzt, denn man bleibt nicht derselbe, wenn man zurücklässt, wer und was man ist, man bleibt nicht derselbe.“
War die kritische Distanz schon in Afrika vorhanden, so bleibt sie auch in der neuen Heimat USA erhalten: „Wenn der Schnee endlich weg ist, kann ich rausgehen und mir mal dieses Detroit angucken, das Gras, die Blumen, die Blätter, die Vögel und den Müll. Vielleicht seh ich endlich Sachen, die ich kenne, und vielleicht sieht es hier doch normal aus.“ Ob es eine Versöhnung zwischen den Kulturen, zwischen neuer und alter Heimat gibt, bleibt offen: „In Amerika sahen wir so viel Essen wie noch nie in unserem ganzen Leben, und wir waren so froh, dass wir in den Mülleimern unserer Seelen wühlten, um die fleckigen Scherben Gottes herauszufischen. Wir hatten ihn damals, noch in unserem Land, dort hineingeworfen, im verzweifelten, verzweifelten Augenblicken, als uns schwindlig war vor Hunger und wir dachten, wieso hat er kein Erbarmen, wieso?“ Leben ist ein Prozess, der manchmal große Brüche verkraften muss – im vorliegenden Fall mittels einer subtilen, verhaltenen und gleichzeitig kraftvollen Poesie.
Es ist eine differenzierte und zurückhaltende Sprache, die Bulawayo im Englischen gefunden hat und es ist eine großartige Übersetzungsleistung von Miriam Mandelkow, den Transfer dieser sprachlichen Besonderheiten geschafft zu haben. Auch dem deutschsprachigen Leser bleibt die Indifferenz erhalten, das merkwürdig filigrane Gleichgewicht zwischen den Kulturen und den sprachlichen Geflechten. Oder ist alles vielleicht doch ganz anders zu verstehen? Für den Leser hält das kleine Buch eine abenteuerliche Reise bereit.
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