Ein kostbares Juwel in tiefer Flut

Eine Venus und Adonis-Übersetzung von Claus Eckermann

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die von Claus Eckermann vorgelegte Sonett-Übersetzung (2012) bisweilen manieriert erscheint, dann gilt Gleiches für seine jüngst erschienene Venus und Adonis-Übersetzung. Doch während dieser Manierismus der gedanklichen Beweglichkeit und der in Teilen radikalen Perspektive der Sonette nicht ganz gerecht wird, ist die gekünstelte Sprache hier ein großer Gewinn. Venus ist entbrannt für Adonis, Adonis zeigt ihr seine kalte Schulter – bei Eckermann liest man:

„Gib Mitleid,“ ruft sie, „Gunst und Gnade mir!“
Doch er springt fort und läuft zu seinem Tier.

Melodramatisch und satirisch verfremdet erscheinen diese Zeilen. Schillers „Sir, geben sie Gedankenfreiheit“ kommt einem bei „Gib Mitleid“ in den Sinn. Eckermann opfert das idiomatische „Hab Mitleid“, das textnähere „Mitleid“ oder Freiligraths „O Mitleid“ (1850) einer rhetorischen Spielerei, dem Zeugma. Dabei ist Shakespeares Venus hier bereits mit ihrem Latein und ihrer Rhetorik am Ende. Farcenhaft erscheint die vergebliche Liebesmüh’ der Göttin zu dem Jüngling Adonis. Und das Objekt ihrer Begierde wird von einer Antiklimax zur nächsten getrieben. Hier versucht er vergeblich „zu seinem Tier“ zu laufen. Bei Freiligrath war es immerhin noch sein Pferd:

„O Mitleid,“ ruft sie, „bin ich nichts denn wert?“
Doch er springt auf, und eilt nach seinem Pferd.

Bei Shakespeare heißt es:

„Pity,“ she cries, „some favour, some remorse!“
Away he springs, and hasteth to his horse.

In zwei Zeilen bringt Shakespeare hier die Verzweiflung Venus’ und die Hasenfüßigkeit Adonis’ auf den Punkt. Das ist tragisch, aber in der Anlage natürlich auch melodramatisch avant la lettre. Shakespeare dichtet parataktisch, Eckermann auch, aber die rhetorische Raffinesse in der Übertragung lässt unweigerlich eine ironische Brechung vermuten, eine Distanz zwischen Figurenperspektive, hier Venus’ Perspektive, und der Perspektive der Erzählinstanz. Diese ironische Brechung, die in Shakespeares Ovid-Lektüre bereits angelegt ist, präpariert Eckermanns Übersetzung großartig heraus. Sie akzentuiert die Komik des Geschehens, die sich vor allem aus der Tatsache speist, dass zeitgenössische Leser mit der bei Ovid entliehenen Erzählung höchstwahrscheinlich gut vertraut waren. Somit steht in Shakespeares Epyllion nicht die Geschichte selbst im Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie diese neu erzählt und dabei akzentuiert wird. In gewissem Sinne lassen sich bei Shakespeare slapstick-artige Passagen identifizieren, die Eckermann großartig überträgt, beispielsweise das Niederringen Adonis und dessen Empörung, als er sich unter Venus wiederfindet: „Pfui, pfui!“ sagt er, „du drückst mich; lass mich gehen; / Kein Recht mich hier zu halten kann ich sehn.“

Auch der Gattungs- und Stimmungswechsel von der Komik zur Tragik gelingt in dieser Übertragung. Am Wendepunkt des Gedichts, als Adonis sich aus Venus’ Umarmung befreit und davonstürmt, um am folgenden Tag den wilden Eber zu jagen, der ihn töten wird, heißt es bei Eckermann:

Sie blickt ihm nach als würd am Strand sie stehn,
Und säh auf einen Freund, der eingeschifft,
Die Wellen wild, bis er nicht mehr zu sehn,
Da Wolken ringen mit der Kämme Drift:
So hat die harte, schwarze Nacht verwehrt
Auf den zu sehn, den ihre Sicht begehrt.

Das ist eindringlich, auch wenn die „harte, schwarze Nacht“ hinter der Suggestivkraft der „merciless and pitchy night“ zurückbleibt. Entscheidend ist, dass der Ton hier stilsicher moduliert wird. Venus’ Schmerz über den Verlust und ihr Bangen um den Jüngling verdichtet Eckermann mit sicherer Hand, so dass wir bereit sind, Mitleid mit derjenigen Figur zu verspüren, die bis kurz zuvor als Karikatur erschien. Und diese Empathie trägt die Leserin und den Leser über das Ende hinaus, an dem Venus die Liebe verflucht und schwört, Adonis, in eine Blume verwandelt, an ihrem Herzen zu tragen. Eckermann ist eine humorvolle aber zugleich tiefgründige Übersetzung gelungen, die Shakespeares Ovid-Rezeption in unsere Zeit rettet. Allein eine Entscheidung des Übersetzers mutet befremdlich an, wenn man bedenkt, dass Shakespeare mit seinem Erzählgedicht das tradierte Rollenmodell, wonach der Jüngling um die Dame wirbt, auf den Kopf gestellt hat. Freiligrath folgend übersetzt Eckermann „Whereat amaz’d, as one that unaware / Hath dropp’d a precious jewel in the flood“ mit „Sie ist bestürzt wie einer, der verliert / Ein kostbares Juwel in tiefer Flut.“ Warum nicht: „bestürzt wie eine, die verliert“? Aber diese Marginalie ändert nichts am Wunsch, dass diese zweisprachige Übersetzung viele Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Raum für Shakespeares kleines Versepos begeistern wird.

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William Shakespeare: Venus und Adonis. Englisch/deutsch.
Mit einem Nachwort von Christa Jansohn und Dieter Mehl.
Übersetzt aus dem Englischen von Claus Eckermann.
NOA NOA Hörbuchedition, München 2014.
100 Seiten, 4,90 EUR.
ISBN-13: 9783932929823

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