Jubiläumsband mal anders

Ingo Irsigler und Gerrit Lembke haben einen Band zum 10-jährigen Jubiläum des Deutschen Buchpreises herausgegeben

Von Karin HouscheidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin Houscheid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selten erscheint ein Jubiläumsband bereits nach zehn Jahren und noch seltener wird darin der Jubilar kritisch unter die Lupe genommen. Ganz nach dem Motto der Reihe „Vorlesung mal anders“, die Ingo Irsigler und Gerrit Lembke 2012 an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel initiierten, ist 2014 in Zusammenarbeit mit Studierenden und jungen Forschern dieser etwas andere Band zum 10-jährigen Bestehen des Deutschen Buchpreises entstanden.

In ihrem „todlangweiligen Vorwort“ erklären die Herausgeber, dass der vorliegende Band „gegen manche akademische Gepflogenheiten verstößt“. So kommen hier nicht „nobilitierte PhilologInnen“, sondern vor allem junge Akademiker zu Wort, die seit dem Wintersemester 2013/14 jede Menge Zeit und Energie in dieses Projekt investiert haben. Und ganz wie der Deutsche Buchpreis zielen Irsigler und Lembke mit ihrem Band darauf ab, ein möglichst breites Publikum zu erreichen, indem sie eine „intellektuell anregende wie auch genussvolle“ Lektüre versprechen.

In dem ersten Teil „Konzept – Ritual – Wirkung“ werden verschiedene Eigenheiten des Deutschen Buchpreises aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.  Im zweiten Teil „Autoren – Romane – Geschichten“ stehen Autorengespräche und verschiedene Buchpreis-Romane im Fokus. Zudem liefern Illustrationen einen anderen, augenzwinkernden Blick auf den noch jungen Deutschen Buchpreis und seine Gewinner.

Gleich zu Beginn wird die Rolle des Buchpreises im Literaturbetrieb eingehend untersucht. Mittels der bourdieuschen Kapital- und Feldtheorie wird die Position der Auszeichnung im Spannungsfeld von Kunst und Ökonomie analysiert. In Anbetracht dieses äußerst komplexen Systems, das sich zudem durch den wachsenden Einfluss neuer Medien und den stetigen Kampf um Aufmerksamkeit im Wandel befindet, während die von Bourdieu beschriebene Diskrepanz zwischen „reiner“ und kommerzieller Kunst sich weiterhin in den Köpfen vieler Akademiker (und offensichtlich auch ihrer Studenten) hält, wird diese Opposition jedoch recht vereinfacht dargestellt und greift bisweilen zu kurz. So wird zwar auf die Theorien zur Ökonomie der Aufmerksamkeit hingewiesen, ohne jedoch auf ihre Relevanz für die Neuordnung der Kräfteverhältnisse im Literaturbetrieb einzugehen. Immer wieder wird im Band die Bedeutung von Aufmerksamkeit betont, ohne dass die Autoren eine theoretische Grundlage für diesen Aspekt liefern. Dabei sei angemerkt, dass eine solche vereinfachte Darstellung keineswegs der mangelnden Kompetenz der Beiträger geschuldet ist als vielmehr dem durchaus löblichen Anspruch des Bandes, einem möglichst breiten Publikum einen intellektuell anregenden Einblick in die Funktionsweisen und komplexen Prozesse von Preisverleihungen zu erlauben.  

Zu diesen Prozessen gehört auch der Ritualcharakter der Preisverleihung, der im Falle des Deutschen Buchpreises als Mittel zur Verdeckung einer fehlenden Tradition herausgearbeitet wird. Die Rituale werden einerseits als Weg zur Festigung der Position der Auszeichnung im literarischen Feld, andererseits als selbstrepräsentative Maßnahme des Börsenvereins diskutiert. Dabei geht es auch hier um die Erregung von Aufmerksamkeit mittels verschiedener Inszenierungspraktiken seitens des Veranstalters und der nominierten Autoren. Diese Praktiken werden anhand der filmischen Präsentation der Shortlist-Romane durch den Börsenverein erläutert sowie durch die Untersuchung der gekonnten Selbstinszenierung verschiedener Autoren illustriert, wobei auch vermeintliche Zurückhaltung und Nichtinszenierung als eben solche aufgedeckt wird.

Ein Interview mit Philippe Genêt, der von 2011 bis 2014 vom Börsenverein mit der Organisation des Buchpreises beauftragt war, liefert zudem neue Einblicke in den Ablauf von Jurysitzungen und eine mögliche Einflussnahme des Börsenvereins auf die Auswahl der Nominierten. Wie wichtig die Erregung von Aufmerksamkeit für den Deutschen Buchpreis ist, hebt auch Genêt hervor und bezieht Stellung zu der von Daniel Kehlmann ausgelösten Diskussion im FAZ-Lesesaal 2008. Fazit des Skandals: Dem Deutschen Buchpreis hätte nichts Besseres passieren können!

Seit seiner ersten Verleihung ist der Deutsche Buchpreis ohne Kritik ebenso undenkbar wie Wimbledon ohne Erdbeeren mit Sahne. Alljährlich sorgen der Preis und die Auswahl der Jury für Polemik. Ein Beitrag über diesen Aspekt darf somit nicht fehlen. Positiv überrascht hat dieser vor allem durch den Mut seiner Autoren zur Kritik an den Kunstrichtern, die alljährlich beanstanden, dass die feuilletonistische Berichterstattung seit nunmehr zehn Jahren von August bis Oktober vom Buchpreis dominiert wird. So appellieren sie an die Literaturkritiker, sich über diesen vermeintlichen Missstand hinwegzusetzen und doch einfach andere als die Listenbücher zu besprechen. Damit haben die Beiträger ganz klar ein Ass geschlagen.

Neben den Kritikermeinungen lässt der Band aber auch Autoren zu Wort kommen. So liefern zum Beispiel Gespräche mit Uwe Tellkamp und Mirko Bonné einen Einblick in deren Schreibpraxis und Poetik, ihre Haltung zum Deutschen Buchpreis sowie ihren Umgang mit dem Kampf um Aufmerksamkeit im Literaturbetrieb. Ergänzt werden die Autorengespräche durch eingehende Analysen verschiedener Buchpreisromane. In Gegenüberstellungen von Inhalt, Thematik und Erzählkonstruktion verschiedener preisgekrönter Texte macht man sich auf die Suche nach der „Buchpreisalchemie“, dem Geheimrezept für den Buchpreis-Gewinn, eine Suche die trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten der ausgezeichneten Romanen so hoffnungslos erscheint wie die nach dem Heiligen Gral.

Mit diesem Band über das „Spiel mit Meinungen, Geschichten und Eitelkeiten“ bei der Verleihung von literarischen Auszeichnungen haben die Beiträger bewiesen, dass junge Akademiker nobilitierten Philologen in nichts nachstehen. Die intellektuell durchaus anregenden und detaillierten Untersuchungen der verschiedenen Aspekte des Konsekrationsprozesses animieren zu einer weiteren Auseinandersetzung mit der Funktionsweise von Literaturpreisen. Die umfänglichen Analysen und Gegenüberstellungen der  nominierten Romane machen zudem Lust, die noch ungelesenen von ihnen aus dem Bücherregal hervor zu nehmen und endlich zu lesen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ingo Irsigler / Gerrit Lembke (Hg.): Spiel, Satz und Sieg. 10 Jahre Deutscher Buchpreis.
Berlin University Press, Berlin 2014.
272 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783862800742

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