Hollywoods Geister
Michael Keaton spielt in „Birdman“ einen Broadway-Regisseur am Rande des Nervenzusammenbruchs
Von Dominik Rose
Der abgehalfterte, ehemalige Superheld-Darsteller Riggan Thomson (Michael Keaton) weiß nur zu gut, was es bedeutet, von einer Rolle verfolgt zu werden. Kaum hat er sich zum Meditieren in seine bescheidene Garderobe in einem Broadwaytheater zurückgezogen, ertönt in seinem Kopf die autoritäre Reibeisen-Stimme jenes magischen Vogelwesens Birdman, als das Riggan einst große Erfolge in Hollywood feierte. „Was haben wir in diesem dreckigen Loch verloren?“, beklagt sich sein gefiedertes Alter Ego. „Du bist ein Filmstar!“ Aber genau das will Riggan nicht mehr sein. Ihn drängt es nach künstlerischer Selbstverwirklichung, fernab von Hollywood und seinen oberflächlichen Franchise-Blockbustern. Die Inszenierung einer Kurzgeschichte von Raymond Carver, bei der Riggan zudem die Hauptrolle übernimmt, soll ihm zum Comeback auf der großen Theaterbühne verhelfen.
Alejandro González Iñárritus neues Werk „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“, eine ambitionierte Mischung aus Showbiz-Satire, Psychostudie und schwarzer Broadwaykomödie, thematisiert unter anderem den Zwiespalt zwischen Kunst und Kommerz, der nicht wenige Filmschaffende in Hollywood, wo der Film prompt für neun Oscars nominiert wurde, umtreiben dürfte. Für die Hauptfigur Riggan, von „Ex-Batman“ Michael Keaton mit Hingabe und Einfühlungsvermögen gespielt, manifestiert sich die Zerrissenheit zwischen der alten Hollywoodrolle, die ihn nicht loslässt, und dem verzweifelten Kampf um Anerkennung als ernsthafter Schauspieler in schizophrenen Wahnvorstellungen. Oder sind etwa die Superkräfte des Birdman dafür verantwortlich, wenn Riggan gleich in der Anfangsszene einen Meter in der Luft schwebt oder telekinetische Wundertaten vollbringt? Die nervenaufreibenden Probleme rund um die Generalprobe seines Stücks „What we talk about when we talk about love“ holen Riggan zumindest schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Da wäre etwa seine zynische Tochter Sam (Emma Stone), frisch aus der Entzugsklinik entlassen, die als Produktionsassistentin angeheuert hat und ihrem Vater recht schonungslos zu verstehen gibt, dass sie ihn für einen Versager hält. Oder der exzentrische Theaterstar Mike (grandios: Edward Norten), den Riggan als Ersatz für einen verunglückten Darsteller engagiert und der nun zum Dank versucht, das gesamte Stück an sich zu reißen und zwischendurch auch noch Riggans Tochter zu verführen.
Laura (Andrea Riseborough), eine der liebesbedürftigen Darstellerinnen, offenbart Riggan unterdessen, von ihm schwanger zu sein. Auch Riggans Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan) schaut zwischendurch mal vorbei, es ist ein munteres Kommen-und-Gehen. Zach Galifianakis gibt dabei als hibbeliger Produzent Jake, der immer wieder mit hilfreichen Motivationshilfen wie jener in Riggans Garderobe platzt, Martin Scorsese säße im Publikum, um für seinen neuen Film zu casten, einen willkommenen komödiantischen Sidekick. Wenn Riggan dem Backstage-Chaos für einen Moment in einer schummrigen Broadway-Kneipe entfliehen möchte, lauert dort seine ärgste Widersacherin Tabitha (Lindsay Duncan), eine biestige Theaterkritikerin der New York Times, die Riggans quälende Selbstzweifel schonungslos auf den Punkt bringt: „Du bist kein Schauspieler, du bist nur prominent!“
Die inhaltliche Atemlosigkeit des Films korrespondiert auf technischer Seite mit einem treibenden Jazz-Soundtrack und einer virtuosen, scheinbar ohne einen einzigen, zumindest sichtbaren Schnitt auskommenden Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki. So gleitet die Kamera und mit ihr der Zuschauer schwerelos durch schmale Korridore, umkreist die Figuren, schwebt über der Theaterbühne, fliegt mit dem Birdman hinaus auf den Broadway, um dann durch eine Fensterluke zurück in Riggans Garderobe zu schlüpfen – da kann einem schon etwas schwindelig werden. All dies ist sehr spektakulär und visuell überwältigend. „Birdman“ geizt ganz sicher nicht mit seinem Können, und dennoch schleicht sich irgendwann eine gewisse Übersättigung ein, auch weil der Film bei all dem erzählerischen Aufwand im Grunde doch wenig Substanzielles zu sagen hat. „Birdman“ gleicht mit seinen inszenatorischen Muskelspielen und dem ambitionierten Hantieren mit schwergewichtigen Themen einem aufgepimpten Bodybuilder, der an einer verspiegelten Wand entlangläuft und sich dabei pausenlos selbst bewundert.
Inhaltlich bleibt der Film dabei oberflächlich: Über Riggans Verhältnis zu seiner Ex-Frau und seine Tochter erfährt man im Grunde nur sehr wenig, eine anfangs wichtige Figur wie Riggans Nebenbuhler Mike verschwindet unvermittelt aus der Geschichte, Darstellerinnen wie Naomi Watts und Andrea Riseborough sind an Rollen verschenkt, die skizzenhaft bleiben. Riggans psychische Probleme wiederum wirken ebenso wie die eingestreuten Momente magischen Realismus – mit allen Schikanen überproduziertem Überwältigungskinos in Szene gesetzt – eher wie eine dekorative Zutat. „Birdman“ ist als eitle Nabelschau der Unterhaltungsindustrie am Ende ebenso egozentrisch wie sein Protagonist. Aber dabei doch zumindest, das muss man ihm lassen, ziemlich spektakulär anzuschauen.
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
USA 2014
Regie: Alejandro González Iñárritu
Darsteller: Michael Keaton, Edward Norton, Emma Stone, Naomi Watts
Dauer: 119 Minuten