Denken in der Endlosschleife
Markus Bundis Novelle „Die Rezeptionistin“ ist ein raffiniertes Spiel mit der Wahrnehmung und ihrer Kritik
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMit „Emilies Schweigen“ hat der Schweizer Autor Markus Bundi (Jahrgang 1969) zuletzt im Tübinger Klöpfer & Meyer-Verlag 2013 eine ebenso hintergründige wie augenzwinkernde Kriminal-Sprach-Novelle vorgelegt, eine mit intertextuellen Verweisen grundierte Erzählung, die zugleich über das Erzählen zu Gericht sitzt.
Mit seiner neuen Novelle „Die Rezeptionistin“ betreibt der Autor, der sich auch als Lyriker und Herausgeber einen Namen gemacht hat, erneut ein gleichermaßen tiefgründig-ernstes wie heiter-ironisches Spiel. Ist es in der letzten Erzählung das beharrliche Schweigen der des 47-fachen Mordes angeklagten Krankenschwester, das sowohl Verteidigung als auch Anklage in „die Interpretationen des Schweigens“ zwingt, um sich in der „Endlosschlaufe des Denkens“ beinahe zu verlieren, so findet sich die junge Rezeptionistin Mona, ehemals Philosophiestudentin, selbst immer wieder in jenen Momenten wieder, „wenn das Denken in die Endlosschlaufe geraten ist“. Dann helfen der Leibniz‘schen „Monade“ Mona, die sich „allein um ihretwillen“ bewegt, auch keine mechanischen „Handgriffe“, ebenso wenig die entsprechenden Butterkekse von Leibniz.
Ist es in „Emilies Schweigen“ der Verteidiger und passionierte Schachspieler David Moor, der immer mehr zum Spiegelbild Emilies wird, so ist es in der „Rezeptionistin“ mehr und mehr das Traum-Ich Lisa, das in Monas Welt eintritt. Sie fragt sich, „ob es gelänge, als Mona Lisa im Traum zu begegnen? – Wir sollten uns aussprechen‘, sagt Mona zur Teetasse und liest das aufgedruckte carpe diem. Die Teetasse ist eines der wenigen Stücke, die sie aus dem elterlichen Hausrat für sich behalten hat.“
Andererseits befürchtet sie, „dass Lisa eines Tages die Oberhand gewinnt, sich nicht länger nur in Träumen ausbreitet, sondern auch die Tage in Anspruch nehmen wird“.
Nach dem frühen Tod ihrer Eltern bei einem Flugzeugabsturz beschließt Mona, deren späterer Beruf als Rezeptionistin im Nobelhotel Grand Bleu „Aufmerksamkeit“ ist, „sich besser mit dem Ausgeliefertsein anzufreunden“. Als Studentin der Anglistik und Philosophie „fand sie ins Lesen, um sich bis auf weiteres hinter Büchern zu verbergen. Mona schloss Hamlet in ihr Herz, träumte sich in die Sommernacht, begegnete Heraklit und Epikur, stieg immer wieder in denselben Fluss und entfachte die Feuer von neuem, auf dass sich ihr Bogen wieder spannte, immer auf der Suche nach der Abwesenheit von Schmerz. Mona musste sich neu buchstabieren, sich wiederfinden, sich neu erfinden. Und sie las sich in entlegene Gefilde ein, knabberte Butterkekse und stieß auf das Leben in der besten aller möglichen Welten, stieß auf Monade, die kleinste Einheit bezeichnend, eine Art Lebensprogramm ohne Ein- oder Ausgang, fensterlos, eine in sich geschlossene Einheit, die aber ihre Verwirklichung schon immer in sich barg und sich im Laufe der Zeit entfaltete.“
Mit ihrem von ihr magisch aufgeladenen „Stein der Weisen“, ihrem „Gewicht der Welt“, fühlt sich Mona außerhalb ihres Rezeptionistinnendaseins sicher und „der Zeit enthoben“. Dabei ist der „Stein nur ein Stein, in den sie alles, was sie über den Stein der Weisen weiß, hineininterpretiert hat, als könne man den Tod tatsächlich überwinden“.
Markus Bundi hat mit „Die Rezeptionistin“ ein unterhaltendes und gleichwohl tiefgründiges „Vexierspiel“ über das Verstehen geschrieben. „Verständnis“ zitiert er denn auch im Motto aus „Dornröschen“ seines Landsmanns Robert Walser, „kommt stets nur stückweis vor; nie anders“. So ist „Die Rezeptionistin“ eine wahrnehmungskritische Erzählung auch und gerade über Wahrnehmungskritik – dabei leicht und augenzwinkernd, humorvoll und im intertextuellen Dialog über jene „Wirklichkeit“, die „am Leben hindert“, wie es in Handkes „Gewicht der Welt“ einmal heißt.
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