Die unumgängliche Notwendigkeit des Flunkerns

Marlen Schachingers abwechslungsreicher Roman „denn ihre Werke folgen ihnen nach“ über professionelles Lügen, Datenklau, Rache und andere Spannungsfelder im Leben als Schriftsteller

Von Andreas TiefenbacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Tiefenbacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mario C. Kamov ist ein „Kamuffel und Hans-Guck-in-die-Luft“, wie seine Mutter meint, die ihn und Schwester Tiggi allein großgezogen hat, was mit dem Gehalt einer Volksschullehrerin nicht immer einfach gewesen ist. Dennoch spricht er von einer glücklich verbrachten Jugend. In die richtige Spur bringt das den träumerischen Sohn jedoch nicht. Im Gegenteil. Er beendet dreimal vorzeitig die Lehre, kommt nach dem Grundwehrdienst „nicht einmal als Budensteher am Adventmarkt“ unter und schlittert schließlich in ein finanzielles Debakel, das ihn als Ausweg sogar eine Straftat in Erwägung ziehen lässt. Doch nicht eine Bank ist das Ziel, sondern der in der Innenstadt gelegene renommierte Verlag D. Dort aber findet sich außer einem 2.000 Euro teuren Kaffeevollautomaten nur beschriebenes Papier in Form unverlangt eingesandter Manuskripte.

Aus Mangel an Beute nimmt Mario fünf davon mit und widmet sich danach dem von J. Hofer stammenden Konvolut über „Marin Mersenne, der sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Naturwissenschafter einen Namen“ gemacht hat. Mario schreibt das zum Stöhnen langweilige Romanmanuskript um, bis schließlich ein vollständig anderes Werk vorliegt, das anstatt von ursprünglich 532 nur noch aus 267 Seiten besteht, die er mangels Idee genau jenem Verlag anbietet, den er zuvor um die Originalfassung erleichtert hat. Aber niemandem fällt etwas auf. Außerdem wäre Mario vorbereitet gewesen und hätte einem etwaigen Plagiatsvorwurf mit einer ganz anderen Version der Entstehungsgeschichte seines Erstlings zu kontern vermocht.

Kurz darauf erscheint das Buch und wird ein Bestseller. Seinem Motto „Klug geflunkert, ist halb gewonnen“ bleibt Mario Kamov treu, schreibt auch die vier anderen erbeuteten Manuskripte um und begründet so seinen Ruf als Unterhaltungsschriftsteller. Mit ernster Literatur haben seine Werke zwar nichts zu tun, sie bescheren ihm aber „ein mehr als ausreichendes Einkommen“.

Doch weil Höhenflüge nicht ewig dauern, steckt Mario mit Ende 40 in einer Phase der Inspirationslosigkeit, die zu einer veritablen Schreibblockade auszuwachsen droht. Denn  vom neuen Roman existiert einzig ein Gedanke. Die finanzielle Situation bleibt davon nicht unberührt. Sie spricht unüberhörbar deutlich „von der unumgänglichen Notwendigkeit des Flunkerns“.

Gerade zur rechten Zeit erreicht ihn da die Einladung der Universität, Vorlesungen über Literatur zu halten, in denen es um den Werdegang als Autor gehen soll. Treibende Kraft dahinter ist ein introvertierter junger Mann namens Luca Hofer, Sohn jener Juliana Hofer, die 30 Jahre zuvor jenes Mersenne-Manuskript verfasst hat, durch dessen Umgestaltung Mario zu schriftstellerischem Ruhm gelangte. Luca konfrontiert ihn mit der großen Analogie zwischen beiden Werken und der Frage, wie das sein könne, „dass zwei junge Literaten einen historischen Roman zu ein und derselben Person schreiben“; der eine (Mario) „über Nacht zum gefeierten Jungstar“ avanciert und die andere (Juliana) auch mit allen anderen Versuchen, eine Veröffentlichung zu lancieren, kläglich scheitert und deshalb nie wieder eine Zeile schreibt und ihr Berufsleben in einem Geschäft für Geschenkartikel in Friedhofsnähe verbringt.

Das Scheitern seiner Mutter als Schriftstellerin liegt als dunkler Schatten auf dem Leben des sensiblen Studenten Luca, den (er ist unglücklich in seinen Lehrer und Mentor Mario Kamov verliebt) nicht nur homophile Neigungen und Schuldgefühle wegen des Selbstmords seiner Stiefmutter plagen, sondern auch eine eher lieblos verbrachte Kindheit, ist er doch ständig herumgereicht worden. Außerdem steckt Luca in einer ähnlichen Situation wie seine leibliche Mutter viele Jahre zuvor. Nicht zuletzt deshalb hat er sich geschworen, „ein besserer Autor zu werden“. Leider begleitet ihn dabei die Angst, den Erwartungen der Mutter „nicht zu genügen und zugleich erfolgreicher“ zu sein.

Es scheint, als ob es für Luca, der sich selbst als lebenden Anachronismus betrachtet, „keinen Fluchtweg aus diesem verqueren Szenario“ gäbe. Einmal will er das Studium schmeißen, weil er glaubt, sich als Autor sowieso nie durchsetzen zu können. Dann wieder denkt er daran, einen einzigen genialen Roman zu schreiben, dieses eine Meisterwerk, für das sich jeder Aufwand lohne.

Gleichzeitig sieht er, dass auch im Literaturbetrieb die Macht von Beziehungen nicht unerheblich ist. Nur verfügt er darüber genauso wenig wie vormals seine Mutter. Noch deutlicher aber erkennt er das Armutszeugnis seines Lebens darin, dass ihm nicht ein Mensch einfallen will,  dem gegenüber er sich öffnen könnte und der ihn verstehen würde. Er tröstet sich mit Marcel Prousts Aussage, Bücher seien ohnehin die aufrichtigeren Freunde, sehnt sich im Grunde seines Herzens jedoch nach der Nähe und Freundschaft des viele Jahre älteren Mario. Der allerdings deutet Lucas Annäherungsversuche in eine komplett andere Richtung. Er vermutet ein falsches Spiel dahinter, obwohl im Grunde er selbst dieses falsche Spiel spielt, und zwar ein doppeltes sogar, in dem er, aus Angst, als Plagiator aufzufliegen, verkehrte Schlüsse zieht. Mario ist nicht in der Lage, nachzuvollziehen, was um ihn herum eigentlich geschieht. Er hält Luca für einen kleinen „Möchtegern-Rächer eines mütterlichen Unglücks“, dem es nur darum geht, ihn bloß zu stellen.

Damit liegt er falsch, weil er beim ständigen Trachten danach, in diesem Spiel der Andeutungen „seine Karten strategisch klüger – und skrupelloser – auszuspielen“, nicht wahrzunehmen vermag, dass Luca längst kapiert hat, dass man sich am Schicksal nicht rächen kann. Wie besessen glaubt Mario, dass Luca ihn erpressen und seinen Ruf ruinieren will. Er versucht daher, ihn über ein Mentoratsprogramm, das sich um die Förderung des literarischen Nachwuchses kümmert, und den als Casting Show angelegten Wettbewerb „Next Bestseller“ zu kontrollieren. Doch je mehr er das zu hoffen glaubt, umso manifester wird der Gedanke, ihn gar nicht zähmen zu können, weil Luca so oder so nicht eher ruhen würde, bis er es geschafft hätte, dass Mario C. Kamov untergegangen sei.

So läuft alles auf einen Showdown hinaus. Schachinger zeigt dabei kriminalistisches Gespür, baut gekonnt Spannung auf, erzählt relativ schnörkellos und direkt, aber nicht ohne Witz. Ein leiser ironischer Unterton schwingt bei aller ernsten Bedrohung immer mit. Die 35 Kapitel, das letzte zweiteilig, sodass beide Erzählperspektiven auf den gleichen Berichtanteil kommen, messen in recht überzeugender Weise das Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen aus. In die personale Sicht wechselweise eingefügt ist die als eine Art Beichte an einen „Online-Seelsorger“ konzipierte Darlegung des Ich-Erzählers Mario C. Kamov, die mit einem bitteren Geständnis ziemlich rasant beginnt.

Auch das Tempo bleibt einigermaßen hoch in diesem „um Akzeptanz, Freundschaft, um Liebe […], Wissen um die Realität, Glauben an die Möglichkeiten der Nähe“ kreisenden Roman. Dementsprechend halsbrecherisch braust der sich in die Enge getrieben fühlende Protagonist mit dem Motorrad über die Autobahn – wobei überraschenderweise gar nichts passiert. Als eindeutig gefährlicher erweist sich, wie man später sieht, die Prüfung einer Versuchsanordnung.

Titelbild

Marlen Schachinger: denn ihre Werke folgen ihnen nach. Roman.
Otto Müller Verlag, Salzburg 2013.
268 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783701312047

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