Wenn das Herz im Leibe lacht

Klaus Theweleits neue Studie „Das Lachen der Täter“ aktualisiert seine Theorien zur Gewalt

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klaus Theweleits Männerphantasien, Ende der 1970er-Jahre erschienen, waren mehr als eine historische Studie. In der Buchversion seiner Freiburger Dissertation analysierte er Hunderte fiktionaler wie faktualer Texte aus dem Freikorpsmilieu der Zeit zwischen 1918 und 1933, also genau dem Kontext, aus dem sich bald nach der Gründung der Weimarer Republik der Nationalsozialismus herauskristallisierte. Viele der Protagonisten blieben der Rechten treu, auch wenn sie mit den Nazis keine gemeinsame Sache machten, siehe Ernst Jünger. Nur wenige vollzogen eine radikale Kehrtwende, wie etwa der Theologe Martin Niemöller, der zum Widerstandskämpfer und Mitglied der Friedensbewegung avancierte.

Zu den erstaunlichen Befunden von Theweleits Arbeit gehörte die Erkenntnis, wie sehr sich die damaligen Texte der prominenten und der längst vergessenen Autoren bis ins Detail, genauer, bis ins letzte Klischee glichen. Das begann mit der „roten Flut“, die es mit dem eigenen Körper aufzuhalten gelte, bis zur Aufteilung der Frauen in die ätherische „weiße Krankenschwester“, die sie selbst keinerlei Verlangen zu spüren scheint, und die kommunistische „Hure“ – ähnlich wie die gute, menschliche und die böse Roboter-Maria in Fritz Langs Metropolis. Verkürzt gesagt, kam Theweleit, der sich dabei auf Spielarten der Psychoanalyse und die Anti-Psychiatrie Gilles Deleuzes und Felix Guattaris stützte, zu dem Befund, dass die Freikorps-Männer weibliche Anteile in sich selbst abzuwehren versuchten, dass sie „nicht zu Ende geboren“ waren. Dank autoritären Erziehung des Wilhelminismus konnten sie nie einen fest umrissenen Persönlichkeitskern bilden. Mit damals fünfzig bis sechzig Jahren Abstand zu den Texten und den Ereignissen, von denen sie erzählen, war Theweleits Buch selbstverständlich eine historische Studie, die erklären wollte, wie nach 1918 so etwas wie eine faschistische Männlichkeit entstehen konnte. Zugleich waren die Männerphantasien jedoch ein Buch über die Gegenwart. Zum einen lebten viele der Protagonisten noch, wie Jünger und Niemöller, und gehörten zu den Honoratioren sowohl der alten Bundesrepublik als auch, in deutlich geringerem Maße, der DDR. Nicht alle sahen es gern, wenn ihre Vergangenheit aufgearbeitet wurde. Zum anderen ließ sich das Buch auch als Kritik an einem unreflektierten Machismo lesen, der auch in der 68er-Bewegung, aus der Theweleit kam, an der Tagesordnung war.

Wenn das Feuilleton dieser Tage über Theweleits neue Studie Das Lachen der Täter: Breivik u.a. spricht, fehlt selten der Hinweis auf die Männerphantasien. Dabei untersucht dieses „Psychogramm der Tötungslust“, das aus einer Vorlesung an der Akademie Graz hervorging, ein Phänomen, das auf den ersten Blick spezifischer und universaler erscheint als die Disposition des Freikorpskämpfers der 1920er-Jahre: den lachend vorgehenden Killer, der seine Morde im Namen eines höheren Rechts verübt und dabei, wenn schon nicht sexuelle Lust, so doch eine tiefe Befriedigung verspürt. Theweleit beginnt den Reigen seiner Beschreibungen mit zwei Western-Szenen: eine aus einem klassischen Film der 1950er-Jahre, in dem das Gute letztlich die bösen Taten rächt, und eine aus Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod (1968), in der das Böse in Gestalt Henry Fondas siegt – und dabei auch noch ästhetisiert wird. Was den Leser erwartet, ist aber weder eine Hommage an den Italo-Western und den Quentin Tarantino der 1990er-Jahre noch plakative Medienschelte. Es geht Theweleit um ein ganz reales Phänomen, das überall in der Welt zu Hause scheint: Indonesien, Kambodscha, Guatemala, Bosnien, die Massaker in Ruanda, die Folterungen der USA in Abu Ghraib und Guantanamo und natürlich auch die Morde der Schutzstaffel und Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Stellenweise schreibt Theweleit sich unmittelbar an die Gegenwart heran, an die Anziehungskraft des „Islamischen Staates“, die „Charlie Hebdo“-Attentäter von Paris, und an die Morde der NSU. Und an Anders Breivik, den Attentäter von Utøya, der 2011 77 Menschen ermordete – nicht aus Bösartigkeit, behauptete er, sondern aus Güte, um ein Zeichen gegen die angebliche „Islamisierung“ Europas zu setzen. Dass Theweleit ausgerechnet ihn in den Titel setzt, ist kein Zufall. Breivik verkörpert idealtypisch die Phänomene, die der Autor zu beschreiben sucht, bis dahin, dass er sich ein „höheres“ Kollektiv zusammenhalluziniert, in dessen Auftrag er gegen den „feministischen Kulturmarxismus“ zu handeln behauptet, in seinem Fall die paneuropäische und vollkommen fiktive Organisation der Knights Templars, der Tempelritter.

Aus mitteleuropäischer Sicht sind Breivik und der NSU randständige Phänomene, die in den Gesellschaften, in deren Namen sie zu handeln behaupten, kaum Unterstützung zu finden scheinen. Einzelne Teile ihrer Ideologien werden aber durchaus von einer Mehrheit oder starken Minderheit dieser Gesellschaften geteilt, sei es aus Furcht vor der „Islamisierung“ des Westens (siehe Thilo Sarrazin und seine Leser), sei es andernorts aufgrund des Wunsches nach einem „unverfälschten“, realiter völlig ahistorischen Islam. Und sie sind deswegen gefährlich, weil man mit ihrer Hilfe mitunter dann doch breite Bevölkerungsschichten mobilisieren kann – siehe Ruanda, siehe Kambodscha, siehe den deutschen Faschismus der 1930er- und 1940er-Jahre. „Bevor die SS zur Staatsmacht erhoben wurde“, so wird Theweleit auf dem Cover zitiert, „war Himmler auch nur ein ‚Tempelritter‘. Breivik: frei flottierender SS-Mann.“ Will heißen: Die Zivilisation als Ganzes hat diese Gefahren nicht überwunden. Sie können jederzeit wieder durchbrechen, innerhalb kürzester Zeit. Aber warum handeln Menschen, handeln bestimmte Menschen so?

Theweleits Diagnose lautet ähnlich wie in den Männerphantasien: die Täter als „nicht zu Ende Geborene“, nicht vollständig individualisierte Menschen, die „den ‚blutigen Brei‘, als den man(n) sein eigenes fragmentiertes ‚Innen‘ empfindet, durch den Tötungsakt nach außen kehren. Nicht ‚ich‘, die Anderen – das Andere – sind der blutige Matsch. Durchgeführt in gemeinsamer Aktion startet [der Täter] das Große Gelächter – große Erleichterung durch den Tötungsakt; Erreichen einer (vorübergehenden) Homöostase.“ Dazu gehört ein gewaltiger – und gewalttätiger – Narzissmus, der die anderen nicht als vollwertige Menschen wahrnimmt und die Differenz zwischen lebendigen Menschen und unbelebten Dingen ignoriert. In der einfachsten Formel hat Theweleit sicher recht, wenn er anhand seines norwegischen Modellfalls konstituiert: „Breivik ist strukturell patriarchalischer Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch sektiererischer SS-Mann (die Reihe wäre fortsetzbar; denn dies sind sekundäre, eben ideologische Ausprägungen; untereinander gleichrangig).“ Dass islamischer Extremismus und Islamophobie einander strukturell ähnlich sind, zeigen Theweleits Beispiele eindrücklich. Das mag als Provokation gemeint sein, aber so überraschend ist die Erkenntnis nicht, und nur Wutbürger zwischen AfD und Pegida werden sich ernsthaft darüber ereifern.

Damit wären wir beim Verhältnis von Das Lachen der Täter zu den besagten Männerphantasien angelangt. In letzteren waren die psychischen Deformationen der Täter teils explizit, teils unausgesprochen auf die besonderen Pathologien der deutschen Gesellschaft vor 1918 zurückbezogen. Indem Theweleit die Breiviks und IS-Soldaten dieser Welt auf einen gemeinsamen Nenner bringt, ihre psychische Disposition zu etwas Universalem macht, werden die alten Theoreme revidiert, erweitert, verallgemeinert. Das führt zu überraschenden und evidenten Erkenntnissen, aber zugleich ist diese Weitung mit einer Gefahr verbunden: Um zu diesem Punkt zu kommen, muss Theweleit vom jeweiligen historischen Kontext, den spezifischen Umständen in den jeweils beschriebenen Gesellschaften abstrahieren. Damit werden teils wichtige Differenzen aufgehoben, die zum Beispiel für die Frage wichtig wären, warum einige Gesellschaften gegen die kollektive Tötungslust weitgehend immun bleiben und sich den Breiviks dieser Welt eben nicht anschließen, während sich andere lustvoll mit dem Strom fortreißen lassen. Damit aktualisiert und erweitert Theweleit seine bisherigen Theorien, schwächt sie jedoch zugleich, weil die Unterschiede zwischen Zeiten, Orten und Tätern damit in der Tendenz nivelliert werden.

Wie immer schreibt Theweleit höchst assoziativ, reiht Beispiel an Beispiel, teilweise in einer Anschaulichkeit und Ausführlichkeit, die in dieser Anhäufung schwer erträglich ist. Seitenlang wird aus Interviews und Artikeln zitiert, ebenso wie aus Breiviks Internet-Manifest und seiner Verteidigungsrede im Prozess – hier hätte die Schere öfter ansetzen können, um das Wesentliche der Texte zu erfassen. Überhaupt wünschte man sich, Das Lachen der Täter würde nicht nur – für sich zwar einleuchtende – Exempel aneinanderreihen, sondern stärker argumentieren, differenzieren und zeigen, worin genau sich die Verbrechen deutscher Nazi-Terroristen der Gegenwart von der Handlungen der Roten Khmer im Kambodscha der 1970er-Jahre unterscheiden. Last but not least zeigt Theweleit kaum Gegenstrategien auf, außer einer vagen Utopie, die kurz auf der letzten Seite des Haupttextes in den Zeilen eines Bob Dylan-Songs aufschimmert. Ein einleuchtendes, wichtiges Buch also, dessen Stärken aber durch eine stärkere Straffung an Kontur gewonnen hätten.

Titelbild

Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust.
Aus der Reihe "Unruhe bewahren".
Residenz Verlag, St. Pölten 2014.
245 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783701716371

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