Bescheidene Soldaten
Ein mehr als 70 Jahre alter militärischer Leitfaden lehrt das Nicht-Wissen
Von Michael Duszat
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVor 70 Jahren waren die Verhältnisse einfacher. Wenn man als Soldat in die Ferne musste, bedeutete das, auf eine unzweifelhaft richtige Mission gegen das Böse gesandt zu werden: „Sie wurden als Teil einer weltweiten Offensive gegen Adolf Hitler in den Irak abkommandiert“ – so beginnt der Leitfaden für amerikanische Soldaten im Irak 1943. Simpel ist sein Anliegen, simpel seine Methode. Alles, so heißt es dort mit Nachdruck, was man als Soldat in einem fremden Land tut, sei Teil der Mission gegen Hitler, und jedes Mal, wenn man sich den Einheimischen gegenüber richtig verhält, diene man der guten Sache. Die Einheimischen würden durch die Demonstration richtigen Verhaltens widerstandsfähiger und geeinter gegen den Faschismus werden.
Insofern ist der Leitfaden ursprünglich durch und durch ein Gebrauchstext, wie auch Roger Willemsen in seinem kurzen Nachwort hervorhebt. Respekt vor dem Fremden werde nicht gelehrt um des Respektes willen, sagt er dort, sondern aus Opportunismus. Aus heutiger Sicht wissen wir, wie schnell sich die Fahne des Respektes im Wind globaler Interessen drehen kann, und wie aus einer exotischen Kulturnation ein Schurkenstaat oder Bombenziel wird.
Man könnte sagen, dass die eigentliche Sensation des Buches ist, dass man aus heutiger wie damaliger Sicht praktisch nichts über den Irak erfährt. Das richtige Verhalten, das hier gelehrt wird, ist im Grunde eine Variante der generellen Anständigkeit und Zurückhaltung gegenüber Besuchten, die in jedem Reiseführer steht, und die als kaum zu bestreitender Grundsatz für eigentlich jedes Land, inklusive des eigenen, gelten könnte: Nämlich, dass man gut daran täte, sich zuallererst bescheiden zu verhalten, wann immer man irgendein Land besucht – aus dem einfachen Grund, dass man letztlich nicht viel darüber wissen könne.
Dennoch bietet die Publikation dieses eigentlich obsoleten Textes mehr als eine Lektion im Nicht-Wissen. Der Leitfaden ist ein verführerisch einfacher Text. Es ist durchaus ein Erlebnis, sich in die Lage der Soldaten zu versetzen, für die dieser Leitfaden ursprünglich verfasst wurde, denn das ist unmöglich und einfach zugleich. Der Stil des Buches ist so einladend, dass die Versetzung in den Nahen Osten im Sinne einer guten Sache beinahe wie ein Abenteuer erscheint. Gleichzeitig wird die optimistische Vision von der Besetzung eines Landes im Dienste der guten Sache heute natürlich in einem anderen Licht gelesen. So klingt es zum Beispiel absurd, wenn der anonyme Verfasser den Soldaten empfiehlt, „den größtmöglichen Gewinn“ aus ihren Erfahrungen zu ziehen:
„Nur sehr wenigen Amerikanern ist das Glück beschieden, eine solche Reise anzutreten. Viele Jahre später werden Sie Ihren Kindern und vielleicht auch Ihren Enkelkindern Geschichten erzählen, die mit den Worten beginnen: ‚Als ich damals in Bagdad war…‘“.
In solchen Passagen wird der Leitfaden so etwas wie ein indirekter Abgesang auf die Vorstellung vom Soldatenleben als Abenteuer junger Männer in der weiten Welt. Denn wir wissen ja mittlerweile, dass Geschichten, die man vom Auslandseinsatz erzählen kann, nur selten für die Ohren von Kindern bestimmt sind.