Gefährlicher Unsinn

„Brandmal“ von Nicolai Rohde kann beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen nicht überzeugen

Von Nils DemetryRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Demetry

So mancher Wettbewerbsbeitrag des 11. Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen legt es nahe: Das einzige Problem der Ermittlerfiguren öffentlich-rechtlicher Prägung scheint gegenwärtig der Konflikt mit ihren Patchwork-Familien zu sein; die Frage der Finanzierung ihrer luxuriösen Wohnungen (sowohl in Brandmal als auch in dem 89 Minuten langen IKEA-Katalog Der Kommissar und das Meer – Das Mädchen und der Tod) ist es jedenfalls nicht – wenngleich diese eigentlich nur durch (zusätzlich zum überschaubaren Gehalt) krude Nebentätigkeiten realisierbar sind. Über die wir Zuschauer natürlich nie etwas erfahren.

Doch zunächst zum Anfang. Zumindest die Handlung des deutschen Thrillers Brandmal (Regie: Nicolai Rohde) klingt vielversprechend: Ein Serienmörder wütet durch Hamburgs Oberschicht, skalpiert seine Opfer und hinterlässt sehr alte Haare am Tatort. Außerdem agiert er maskiert. Die um ihre Kopfhaut Erleichterten teilen obendrein eine gemeinsame Vergangenheit im linksextremen Milieu der siebziger Jahre; möglicherweise haben sie sogar mit der Ermordung eines Unternehmers während des Deutschen Herbstes zu tun. Der Hamburger Kommissar Jan Fabel (Peter Lohmeyer) ermittelt in der Hansestadt mit seinem Team, darunter Polizeipsychologin und Lebensabschnittspartnerin Susanne Eckhardt (Maire-Lou Sellem), kann weitere Morde jedoch vorerst nicht verhindern.

Eine erste Spur, die zum Sohn der schillernden Esoterikerin und Alt-Linken Beate Brandt (Charlotte Schwab) führt, der, gerade aus dem Gefängnis entlassen, schon durch seine zotteligen Haare als Verdächtiger markiert wird, erledigt sich recht schnell, als Thomas von seiner ganz in weiß auftretenden Mutter vergiftet wird. Das ist deshalb kein Unglück, weil dem Zuschauer somit in der zweiten Hälfte Dialoge aus dem Drehbuch-Museum erspart bleiben – etwa „Wo hast du es [das Geld] versteckt, du blöde Kuh?“ – „Du weißt doch, dass ich nie etwas im Hause habe.“ Die conclusio der Ermittler, dass Esoterikerinnen-Sohn Thomas (Godehard Giese) als Mörder nicht in Frage kommt, weil er ein (posthum entdecktes) geheimes Drogenlabor unterhielt, wirft leider auch Fragen auf: Ist es etwa nicht möglich, dass er tötete und Meth kochte?

Hierin zumindest bleibt sich Brandmal über 89 Minuten treu – die Konstruktion ist vielversprechend, nur nicht zwingend plausibel. Warum z.B. legt es der Serientäter durch das Hinterlassen der Haare geradezu darauf an, gefasst zu werden? An wen richtet sich dieser morbide Modus der Kommunikation? Ist es wahrscheinlich, dass der später thematisierte, fiktiv-historische, terroristische Mord für den Hamburg-native Jan Fabel eine solche Neuigkeit darstellt?

In der Täterfigur werden bekannte Kriminal-Topoi wie der des ‚Schläfers’ und des frühkindlich traumatisierten Mörders miteinander verwoben, allerdings gibt es Beispiele für bessere Umsetzungen. So ist es psychologisch wenig überzeugend, dass der Serienmörder seine Morde im Sensenmann-Outfit begeht, das die potentiell nuancierte Täter-Psyche eher karikiert denn unterstreicht. Hierin erinnert Brandmal unangenehm an die teils konfusen, „sadistische[n], terroristische[n]“ (Gerhard Bliersbach) Edgar-Wallace-Verfilmungen der 1960er Jahre, deren Mörder stets maskiert und in „Kränkungsrage“ durch das mäanderten, was von der Handlung übrig blieb.

Ein anderes Mal sinniert Fabel beim Schallplattenhören (Hans-Joachim Hauser als Wolf Biermann) mit seiner Frau so angestrengt über den Fall, dass er seine Brille abnehmen muss: „Der Täter bläst zur Jagd. Doch sein Signal ist nicht das Jagdhorn, sondern die rote Farbe.“ Es mag kleinlich klingen, aber die Beliebigkeit, mit der die Psyche des Täters hier ausstaffiert wird (Ist er nun Sensenmann, Jäger oder Traumatisierter? Oder alles auf einmal?), passt zum Gesamteindruck. Auch verliert der Film durch die verhältnismäßig frühe Einführung des Täters an Fallhöhe, die angesichts der Gewalt-Dimension der Tat auch noch eine Weile ohne konkrete Täter-Figur hätte aufrecht erhalten werden können.

Mit der letzten Pointe, dass nämlich der gealterte BKA-Chef a.D. (der in der Vorlage übrigens gar nicht auftaucht) den Täter im Kindesalter darauf angesetzt haben soll, einen Rachefeldzug in seinem Namen zu führen, entwickelt Brandmal dann – man muss es leider so sagen – eine unfreiwillige Komik: Dem Bundeskriminalamt stünden andere, verlässlichere Mittel für solcherlei Vorhaben zur Verfügung.

Jan Fabel, der trotz allem solide von Lohmeyer dargestellt wird, ist in verschiedene Beziehungskonflikte verstrickt, als deren Gemeinsamkeit man den „Einbruch der Unordnung“ benennen könnte: So muss sich der Protagonist zusätzlich mit seiner flügge werdenden Tochter herumärgern, die sich zwischendurch für ein paar Tage in das sturmfreie (und damit wohl sehr lasterhafte) Elternhaus eines obskuren Linus verabschiedet, dort von ebenjenem gekränkt wird und am Ende reumütig in die Arme des Vaters zurückkehrt. Neben dieser Vater-Tochter-Beziehung lässt sich noch eine subtile Vater-Sohn-Konstellation zwischen dem BKA-Chef im Rollstuhl und Fabel ausmachen, der, angesichts der väterlichen (lies: staatlichen) Instrumentalisierung der Unordnung zum Zweck einer wiederherzustellen Ordnung zwar moralische Entrüstung zeigt; doch ein Aufkündigen der Beziehung mit dem schuldig gewordenen Vater (in Form von Ermittlungen) gelingt Fabel nicht.

Die Film-Adaption des Krimis aus der Feder des germanophilen Schotten Craig Russell, der in seiner Jan-Fabel-Reihe ein hier und da sehr eigenes (mitunter seltsames) Hamburg entwirft, bedient sich einer kühlen zeitgemäßen Bildästhetik, die an skandinavische Krimi-Serien und aktuelle US-amerikanische Produktionen erinnert. Die erste Jan-Fabel-Verfilmung, Wolfsfährte (2010), „[e]ine für deutsche Krimi-Verhältnisse ziemlich durchgeknallte Geschichte“ (TV Spielfilm), erreichte ein Publikum von ca. 6 Mio. Zuschauern; die zweite, Blutadler (2012), wurde noch von Nils Willbrandt (Tatort, Polizeiruf 110) in Szene gesetzt, und zwar so, dass sie es nach Meinung des ‚Tagesspiegels‘ „mit jedem Schweden-Thriller aufnehmen“ konnte.

Geplant ist die Ausstrahlung der Produktion der Tivoli Film mit ARD Degeto für den 19. September 2015 im Ersten. Vor dem Gros der sonntäglichen Tatorte muss sich der dritte Jan-Fabel-Film dann vermutlich nicht verstecken; doch weder mit der ersten Liga der Schweden-Krimis noch mit ähnlichen Reihen wie der von der BBC produzierten Serie Luther kann die Verfilmung mithalten. Vielleicht gilt George Orwells Urteil über die Romane von Edgar Wallace in ähnlicher Weise auch für Brandmal: „leicht gefährlicher Unsinn.“

„Brandmal“ (Deutschland 2015)
Tivoli Film Produktion GmbH
Regie: Nicolai Rohde
Drehbuch: Nils Willbrandt, Nils-Morten Osburg
Roman: Craig Russel

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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