Moderne. Weltkrieg. Irrenhaus
Ein Ausstellungskatalog des Verbundprojektes „1914 – Mitten in Europa“
Von Lisa Werk
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer 2014 erschienene Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des psychiatriegeschichtlichen Dokumentationszentrums Düren ist Teil des Projektes „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“. Dieses vom Landschaftsverband Rheinland initiierte und unter Beteiligung der psychiatrischen Kliniken des LVR von September 2013 bis in den Herbst 2015 durchgeführte Verbundprojekt umfasste (teils aktuell noch laufende) Ausstellungen, Kongresse, Exkursionen und andere Veranstaltungen.
Die drei Herausgeber Renate Goldmann (Kunsthistorikerin), Erhard Knauer (ehemaliger ärztlicher Direktor der LVR-Klinik Düren) und Eusebius Wirdeier (Fotograf, Grafiker, Bildhauer) entstammen unterschiedlichen Fachrichtungen und bringen ihre – auf den ersten Blick völlig verschiedenen – Fachgebiete in einem interessanten Band zusammen, der die bis dato nicht ausführlich behandelten Zusammenhänge zwischen Kunst, Psychiatrie und Krieg beleuchtet und einen neuen Blick auf die einzelnen Facetten und deren Berührungspunkte ermöglicht. Außer den Herausgebern steuern elf weitere Autoren Aufsätze bei.
Der Band ist in zwei große Themengebiete gegliedert, die in Essays, Fallberichten und auch in Bildern aufgearbeitet und dokumentiert werden. Eine Einleitung skizziert einerseits das Projekt selbst und gibt andererseits einen Überblick über die Situation und Entwicklung der Psychiatrie vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der den Fortschritt in der Medizin und Betreuung psychisch kranker Menschen zunächst stoppte. Zudem werden Berührungspunkte zwischen Psychiatrie, bildender Kunst und Lyrik aufgezeigt, die dem Laien nicht zwingend ins Auge springen.
Der Reigen der Beiträge wird durch das erste große Themengebiet „Brüche in der Psychiatrie“ eröffnet. Der erste Beitrag beschreibt zunächst die Entwicklung der psychiatrischen Kliniken im Rheinland. Daran anschließend werden die psychiatrische Forschung, auch im Hinblick auf die Thesen Sigmund Freuds, sowie psychiatrische Behandlungsmethoden während und nach dem Ersten Weltkrieg in den Fokus gerückt.
Der nächste Beitrag widmet sich speziell den traumatisierten Soldaten, die aufgrund ihrer traumatisierenden Kriegserlebnisse psychiatrischer Behandlung unterzogen wurden. Wie schon der Titel „Soldaten in der Anstalt – eine Aktenauswertung“ verspricht, werden hauptsächlich originale Akten ausgewertet, darunter persönliche Lebensläufe, die zum Teil fotografisch reproduziert sind. Verschiedene Statistiken am Ende der Ausführungen belegen und verdeutlichen noch einmal die Ergebnisse.
Nach einem Abschnitt, der militärpsychologische und kinematographische Aspekte näher beleuchtet, beschreibt das folgende Kapitel das Anstaltsleben allgemein, das Pflegepersonal und die Entwicklungen der internen Strukturen in psychiatrischen Anstalten in der Vorkriegszeit und während des Ersten Weltkrieges. Die einzelnen Beiträge werden durch zahlreiche Fotographien und Reproduktionen von Bauplänen und Kunstwerken eindrucksvoll illustriert. Der erste Themenschwerpunkt endet mit Auszügen aus der Biographie des Künstlers Conrad Felixmüller, der im Ersten Weltkrieg als Lazarett- und Krankenwärter diente und seine Erfahrungen in Holzschnitten und Lithografien verarbeitete. Die Abbildungen einiger seiner Werke und Texte geben dem Beitrag eine bemerkenswerte Tiefe und leiten zugleich zum zweiten großen Themenfeld des Bandes, „Kunst und Psychiatrie“, über.
Dieser beschäftigt sich, dem Titel gemäß, näher mit den Kunstwerken, die während oder als Resultat des Ersten Weltkriegs entstanden. Bekannte Künstler wie Otto Dix oder Max Beckmann werden im Rahmen der Entwicklung der Kunst zur Moderne angeführt. Einige der Werke werden im anschließenden Beitrag kontextualisiert und analysiert.
Nach diesem Exkurs in die Kunstgeschichte werden die in der Einleitung lediglich angerissenen Berührungspunkte zwischen Psychiatrie, bildender Kunst und Lyrik weiter vertieft und leiten zur Person des Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn über, der an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg eine über 5.000 Objekte zählende Sammlung der „Bildnerei der Geisteskranken“ zusammentrug, von der einzelne Exemplare auch im Band reproduziert werden.
Die Lyrik schließt am Ende der Publikation anhand einiger ausgewählter Gedichte der Autoren Kurt Heynicke, René Schickele, Hugo Ball, Julius Talbot Keller, Walter Rheiner und Paul Zech den thematischen Kreis.
Der Ausstellungskatalog gibt einen profunden Einblick in die Situation psychisch Kranker in der Zeit des Ersten Weltkrieges und die von ihnen inspirierten Entwicklungen in der Kunst- und Literaturgeschichte. Die auf den ersten Blick einander fremden Themenbereiche werden sinnvoll gegliedert, ansprechend dargestellt und miteinander verknüpft.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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