Keine ästhetischen Niemandsländer

Der Buchgestalter und Typograph Friedrich Forssman widmet sich in „Wie ich Bücher gestalte“ der Ästhetik des Buches

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Solange sich ungeklärte Räume ergeben können, ist die Gestaltung noch nicht fertig“ (Hans Peter Willberg)

Um es gleich vorwegzunehmen: Dies ist ein Buch, das in die Hände eines jeden ernsthaften Lesers und Buchliebhabers gehört. Nach seiner Lektüre nimmt man ein Buch anders zur Hand, mit einem anderen, gewogeneren, liebevolleren, zugleich vielleicht auch strengeren Blick. In jedem Fall aber hat sich eine neue Dimension des Buches als eines ästhetischen Gegenstandes sowie des Lesens selbst erschlossen.

Friedrich zitiert den obigen Ausspruch Peter Willbergs als einen „Augenöffner“. Er führt ihn in Kapitel Drei seines Buches „Wie ich Bücher gestalte“ an, das sich mit der Gestaltung des Buches von innen nach außen, mit Schriftwahl und Lesbarkeit, mit Lesen und Sehen beschäftigt. Forssmans „Wie ich Bücher gestalte“ ist als Band 6 der Reihe „Ästhetik des Buches: Die Buchform und das Buch als Form“, herausgegeben von Klaus Detjen, erschienen. Autoren verschiedener Disziplinen widmen sich in dieser Reihe den „einzigartigen ästhetischen, kulturellen und wahrnehmungspsychologischen Qualitäten“ des gedruckten Buches. In Essays, Porträts und Kommentaren wird das Buch, seine Optik, Haptik und Formgebung, die Tradition der Typographie und der Buchgestaltung diskutiert. Dabei konzentriert sich dieser Diskurs zur Buchform und zum Buch als Form auf die sinnlichen und lesetechnischen Vorteile dieses Mediums und hat den Anspruch, Einblicke in die Arbeit daran zu vermitteln. In Vorbereitung ist beispielsweise ein Band mit dem Titel „Linie, Fläche, Raum“, der sich mit essayistischen Theorien des Buchs bei Paul Valéry, Walter Benjamin und László Moholy-Nagy beschäftigten wird.

Forssman, der eine Schriftsetzerlehre und ein Graphik-Design-Studium in Darmstadt und Mainz absolvierte, ist seit 1990 Gestalter für die Arno Schmidt Stiftung und zahlreiche andere Institutionen und Verlage. Er ist darüber hinaus Ausstellungsplaner und Autor diverser Fachpublikationen. Für die Neugestaltung des Gutenberg-Jahrbuchs erhielt er 1990 das Gutenberg-Stipendium der Stadt Mainz. Für den Weidle Verlag entwarf er das Design aller Bücher seit 1995. Außerdem erstellte er seit 2008 das Reihenkonzept der Reclam Bibliothek sowie, ab 2010, für die Universal-Bibliothek; für den Suhrkamp-Verlag gestaltete er die Kritische Gesamtausgabe der Werke und des Nachlasses Walter Benjamins, für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung konzipierte er ab 2013 Logo, Erscheinungsbild sowie die Drucksachen und Bücher neu. Im Jahr 2008 war er Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo.

In sein reichhaltiges und vielfältiges Schaffen gewährt er mit „Wie ich Bücher gestalte“ Einblick. Der schmale, knapp 80 Seiten umfassende Band ist ein vorbildhaftes Beispiel seines gestalterischen Ansatzes und ästhetischen Verständnisses, die darin konsequent und exzellent umgesetzt werden. Man nimmt das Buch gerne zur Hand, Inhalt und Form bilden eine Einheit, ganz wie Forssman es darin selbst fordert.

In einem einleitenden Kapitel „Das Allgemeine“ beschäftigt sich der Autor mit Buchtypen und Erwartungen des Lesers und skizziert wesentliche Punkte der Buch- und Designgeschichte. „Wenn man beginnt, ein Buch zu gestalten, steht schon vieles fest“ – alle in Frage kommenden Schriften sehen sehr ähnlich aus, die Textzeilen verlaufen von links nach rechts und werden von oben nach unten gestapelt, die Seiten haben eine Zählung und werden nach links weitergeblättert. Diese Konventionen sind spätestens seit dem Ende des 15. Jahrhunderts unverändert und das Grundmodell hat sich bewährt. Wer Bücher gestalten wolle, müsse sich in die Buchgeschichte einlesen und -sehen sowie eine Fachbibliothek und eine Beispielsammlung aufbauen. Spannend sei es, denselben Buchtypus in verschiedenen Zeiten und Ländern, Satzdetails, sich wandelnde Satzspiegelproportionen zu vergleichen. Im Buch selbst sieht Forssman ein „Idyll“ angelegt: Es sei einerseits „ein so simpler Gegenstand, zunächst ganz geheimnislos“. Doch andererseits sei das „Wunder des Lesens“ immer wieder gepriesen worden, und mit diesem „die so begrenzten und darum desto reizvolleren“ Erscheinungsformen von Buchgestaltung.

Im folgenden Kapitel „Das Besondere“ setzt Forssman sich mit dem „Gefühl für das Ganze“ auseinander, mit Freiheitsgraden und Notwendigkeiten im Hinblick auf Buchgestaltung sowie mit dem Inhaltsbezug der Gestaltung. Schriftproduktion sei, aus früherer Perspektive, „unfassbar leicht“ geworden: „Vor hundert Jahren brauchte ein Schrifthersteller eine Fabrik mit Bahnanschluss, vor dreißig Jahren ein großes Studio mit Dunkelkammer und Labor, heute nur einen Rechner. Ein Goldenes Zeitalter ist angebrochen.“

Buchgestaltung sei immer auch Interpretation – eine Art der Interpretation allerdings, der ein enger Rahmen gesetzt sei: durch die Überlieferung und das typographische System selbst, das keine situative, stellenindividuelle Reaktion des Gestalters auf den Text erlaube. Zum Glück, denn diese Form der Reaktion auf den Text sei dem Leser vorbehalten. Sie sei ein fragiler Vorgang, den der Typograph zu unterstützen habe; keinesfalls dürfe er sich dazwischendrängen. Gestalterische Qualität liegt für Forssman immer in der Umsetzung. „Wie ich Bücher gestalte“ ist ein Werkstattbericht, und das solle man ihm ansehen.

Im Kapitel „Das Innere“ erläutert Forssman das gestalterische Prinzip „von innen nach außen“. Wenn er ein Gefühl für das Ganze entwickelt habe und die Richtung feststehe, beginne er mit den Innenseiten: „Die sind das Wesentliche, sie enthalten die Substanz, auf sie blickt der Leser tage- oder wochenlang“. Das Äußere eines Buches, das alle Aspekte seines Funktionierens widerspiegeln solle, auch die geschichtlichen, sozialen, emotionalen, sei sehr wichtig, für den ersten Eindruck und damit auch für den Verkauf. Er entwickle es dennoch am liebsten erst ganz zum Schluss aus der Substanz, aus dem Inneren heraus. Forssman erläutert einige Schriftformen und deren Spezifik (wie Freundlichkeit, Wärme, Härte) und geht dabei auch auf die Frage „Warum Antiqua?“ ein: „weil das immer schon so war“. Das sei in der Buchgestaltung stets ein schlagendes Argument; die Beweislast liege immer beim Veränderer. Serifen machten das Schriftbild reicher und wärmer und ihre Verwendung sei vertraut; auch böten sie dem Leser Orientierungshilfen.

Im Rückgriff auf das von Janos Frecot in Bezug auf Photographie beschriebene „magische Dreieck aufeinander bezogener Daten aus Negativ-Lichtempfindlichkeit, Blendenöffnung und Belichtungszeit – sowie der korrekten Entfernungs-Scharfeinstellung“ formuliert Forssman „das magische Quadrat der Typographie“: als Formel der Beziehung zwischen Schriftart, Schriftgröße, Laufweite und Zeilenabstand. Zahlreiche Gestaltungsbeispiele – aus der Reclam Universalbibliothek „alt und neu“, einem Ausstellungskatalog und einem Gedichtband – veranschaulichen die angeführten Zusammenhänge.

Wenn alles stimme – die Gesamtstimmung, das „magische Quadrat“, die Stegproportionen, die Überschriften samt Leerzeilen, das Durchscheinen – bekämen die Doppelseiten einen „gewissen Klang, eine Mühelosigkeit, einen Rhythmus“. Der Arbeitsschritt vom Textdokument zum durchgearbeiteten Satzdokument mache ihm immer besondere Freude. Jede Kleinigkeit bringe ihm dem Text näher, mache das Buch schöner und das Lesen müheloser. Für eine gute Durchgestaltung des Buches sei das rechte Maß der Beziehungen zwischen Innenteil und Äußerem nötig: „Ein Buch ist schön, wenn die Gestaltung zum Inhalt paßt [sic!]“. Buchgestaltung, das wird beim Lesen des Forssman-Bandes sehr konkret erfahrbar, ist nicht beliebig: Der jeweils gewählte Weg muss wohlüberlegt und wohlerwogen sein. Durchgestaltung bedeutet für den Buchgestalter, dass alle Elemente sich aufeinander und auf das Ganze beziehen, es keinen Bruch gibt zwischen Umschlaggestaltung, Einband und Innengestaltung; keine Teile, die „obenhin und lieblos erledigt“ sind, „keine ästhetischen Niemandsländer“. Er verurteilt aufs Schärfste jene „Nullästhetik“, wo nichts zueinander passt, sie entstelle das Buch und verkaufe den Leser für dumm.

Im letzten Teil „Das Äußere“ beschreibt Forssman verschiedene Bindearten wie Festeinband, Klappenbroschur, Broschur und Integralband. Er mag Bücher, die sich gut anfühlen, aus lebendigen Materialien wie Leinen und Naturpapieren beziehungsweise Naturkartons bestehen. Dass das Buch mit der Zeit altere, füge ein willkommenes Zeitkolorit hinzu. Abschließend zitiert er György Horváth, der sagte, dass die Typographie viel mehr sei als „das Kleid des gedruckten Wortes“ – sie bilde nämlich „die Knochen und das Fleisch des gedruckten Worts“. Und Huib van Krimpen: „ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist“.

Durch Forssmans Band erhält man tiefe Einblicke in die gestalterische Entstehung von Büchern und in die Wichtigkeit des richtigen „Auftritts“ eines Buches. Das Buch ist ein überaus sinnlicher Gegenstand, ein „sehr dreidimensionales Ding“. Es soll gerne angeschaut und angefasst, gerne in die Hand genommen und in ihr gehalten werden. Sensorik, Haptik, Ästhetik sind ausgesprochen wichtig – leitet Ästhetik („aisthesis“) sich doch wortgeschichtlich von den sinnlichen Wahrnehmungsqualitäten und Empfindungen ab („aisthesis“). Jeder kennt das Vergnügen, seine Nase tief in das Innere eines neu erworbenen Buches zu stecken, am Papier zu schnuppern und über Seiten und Einband zu streichen. Was nach der Lektüre des Forssman-Bandes auf eindringliche Weise klar geworden ist, ist die Bedeutung des Gesamtkonzeptes, der Gesamtgestaltung und -stimmigkeit, die Relevanz „guter Gründe“: Nichts ist beliebig, nichts dem Zufall überlassen. Die zahlreichen von Forssman angeführten Beispiele aus der gestalterischen Praxis illustrieren seine Arbeit und seine theoretischen Postulate auf das Beste. „Wie ich Bücher gestalte“ ist eine rundherum gelungene und empfehlenswerte Veranschaulichung, in der Forssmanns gestalterische Prinzipien greifbar werden. Ein Glücksfall!

Titelbild

Friedrich Forssman: Wie ich Bücher gestalte. Ästhetik des Buches.
Herausgegeben von Klaus Detjen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
80 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783835315914

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