Gelächter und Gewaltgenuss

Claudia Ansorge, Cora Dietl und Titus Knäpper haben einen Sammelband über die emotionale Seite der Gewalt in der mittelalterlichen Literatur herausgegeben

Von Albrecht ClassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Classen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser recht schmale Band beruht auf den Vorträgen, die auf einem Kolloquium in Gießen 2013 und bei der Tagung in Leeds 2013 gehalten wurden. Das Globalthema fügt sich gut in die gegenwärtige Forschungslage ein, denn wir befinden uns mitten im ‘emotional turn’, also in der intensiven Untersuchung, wie in der Vormoderne menschliche Gefühle in schriftlichen Werken zum Ausdruck gebracht wurden. Gefühle umfassen ein weites Spektrum und reichen von heller Freude bis hin zum abgrundtiefen Hass. So wenig auch die frühere Forschung sich damit auseinander setzen wollte, so bedeutsam hat sich mittlerweile diese Themenstellung herausgestellt, die wirklich auf internationaler Ebene diskutiert wird, leider weiterhin ohne gute Querverbindungen über die engeren Fach- und Sprachgrenzen hinaus (siehe zum Beispiel. Barbara H. Rosenwein, Generations of Feelings, 2015, mit Schwerpunkt allein auf England und Frankreich). Bei den hier abgedruckten Aufsätzen geht es um die (manchmal) lustvolle Wahrnehmung von Gewalt vor allem in der Öffentlichkeit (beispielsweise bei einer Hinrichtung), ohne dass damit Sadismus gemeint wäre, weil die juristischen und theologischen Rahmenbedingungen doch ganz andere gewesen sind. Zugleich sollen hier aber auch Gefühle wie Zorn generell angesprochen werden. Hinzu tritt die Frage, was für Lachgemeinschaften auftreten. Dies sind sehr unterschiedliche Aspekte, die schwer unter einen Hut zu bringen sind, was auch dieser Band nicht so recht bewerkstelligt.

Dagmar Schmidt behandelt (auf englisch) die Beurteilung von englischen Königen zwischen 1066 und 1216, die entweder Todesurteile austeilten oder als hervorragende Kämpfer in verschiedenen Schlachten geschildert werden. Ihr Status bedeutete gemeinhin, dass ihnen das Recht zustand, hart durchzugreifen und Strafen zu verteilen, wobei aber die öffentliche Zustimmung nicht unbedingt mit “Gewaltgenuss” gleichzusetzen wäre, denn die hier zitierten Chronisten erblickten darin schlicht die königliche Legitimation. Nebenbei sei angemerkt, dass eine Durchsicht seitens eines native speakers den Beitrag hätte bereichern können.

Silvan Wagner behandelt das mære Der Wiener Meerfahrt (spätes 13. Jahrhundert), in dem eine Gruppe Betrunkener zu Gewalttaten schreitet, ohne sich bewusst zu sein, was sie wirklich anstellt. Einerseits enthält der Schwank deutliche Kritik am übermäßigen Alkoholkonsum, andererseits geht es, so Wagner, um die Frage, wie der Gewaltakt wirklich zu beurteilen wäre, denn der vermeintliche Kreuzzug der Trunkenen ist ja nur imaginiert. Der Versuch, hinter dieser Verserzählung Kritik etwa des Adels an den sozialen Anmaßungen der Wiener Bürger wahrzunehmen, erscheint problematisch, und auch der Begriff “Lachgemeinschaft” will hier nicht recht greifen. Von einem “kollektiven Genuss an erzählter Gewalt” wird man wohl nicht ausgehen dürfen. Obwohl Wagner stark auf das Motiv des Lachens abhebt, hat er sich fast gar nicht um die einschlägige Forschung zu diesem Thema gekümmert (vergleiche den vom Rezensenten 2010 herausgegebenen Band Laughter in the Middle Ages).

Christoph Schanze geht auf Gewaltaspekte im Eneas Heinrich von Veldekes ein, wo kämpferische Konflikte durchwegs von Zornausbrüchen begleitet sind, womit der Text sich gut dafür eignet, die Gestaltung von Affekten im militärischen Kontext zu untersuchen. Der Autor geht auf sehr viele einzelne Szenen ein, ohne damit unbedingt tiefer in die emotionsgeschichtlichen Dimensionen einzudringen; zugleich nimmt sein Aufsatz wegen der Masse an Material, häufig in Paraphrase wiedergegeben, einen relativ großen Umfang ein, von dem zu hoffen bleibt, dass er nicht zu Lasten der anderen Beiträge ging. Es bleibt unbestimmt, ob der Dichter tatsächlich Kritik am unkontrollierten Affektausbruch übt, oder nicht eher die tragischen Folgen des universalen Konflikts – der ja durch die Vertreibung der Trojaner aus ihrer brennenden Stadt verursacht ist – vor Augen führen will, oder gleich beides zusammen darstellen wollte.

Titus Knäpper untersucht Szenen von Zorn und Freude (nicht “pleasure”, wie es im englischen Abstract heißt) in Hartmanns von Aue Erec und im Prosalancelot. So stellt er fest, dass die Kampfhandlung auch im höfischen Roman weiterhin zentrale Bedeutung besitzt, selbst wenn Affektkontrolle angestrebt wird. Diese setzt aber nur dann ein, wenn der Übeltäter oder Verbrecher bestraft oder hingerichtet worden ist. Interessant wirkt Knäppers Beobachtung, dass gerade im Prosalancelot häufiger unmäßiger und unbeherrschter Zorn als gefährlich und verurteilungswürdig geschildert wird.

Wie stark mittelalterliche Literatur durch die Linse der Emotionsforschung betrachtet werden kann, illustriert noch einmal Claudia Ansorge, indem sie die altfranzösische Geste des Loherains, das heißt die beiden Werke Garin le Loherain (vor 1200) und Gerbert de Metz (um 1200) daraufhin überprüft, was sie über Leid, Rache und andere Emotionen auszusagen haben. Insbesondere die sich ständig höher schaukelnde Spirale von Racheakten – stets von intensiven Gefühlen begleitet – kommt hier zur Sprache. Wenn auch manche Figuren Trauer über den Tod von Gegnern der verfeindeten Familie ausdrücken, gelangt Ansorge nicht zu einer klaren Aussage darüber, welche Position denn die Dichter diesbezüglich einnahmen. Ein Vergleich zum altspanischen Poema de Mío Cid hätte sich hier gut angeboten (siehe die Rolle der Carrión-Brüder).

Dem schließt sich eine Untersuchung Marina Klamts zu den Haymonskindern Johanns II. von Simmern von 1535 an, wo eine Fülle von Episoden auftritt, die stark von Emotionen geprägt und zugleich von heftigen Gewaltmaßnahmen bestimmt sind. Der riesige Umfang dieses Romans macht es nicht leicht, eine klare Sicht darauf zu gewinnen, und Klamts sicherlich verdienstvolle Bemühungen, Manifestationen von Emotionen zu isolieren und zu analysieren, erweisen sich daher als nicht ganz erfolgreich, so wenn sie vage formuliert: “Eine Funktion, die der Darstellung von Emotionen dabei zukommt, besteht in der Organisation der verschiedenen Identitätsangebote für diese Figuren”.

Werner Röcke diskutiert die Präsentation der Gesellschaft von Teufeln in der Hölle (es gibt nur eine, der Plural im Abstract ist irreführend), wo die armen und leidenden Seelen fürchterlich traktiert werden, worüber aber die Teufel laut dem geistlichen Spiel im Spätmittelalter natürlich nur lachen. Diese Gewaltausübung sei, so Röcke, konstitutiv für die Herstellung von Gemeinschaft, was sich aber kaum anhand der Textaussage beispielsweise des Redentiner Osterspiels oder des Alsfelder Passionsspiels verifizieren ließe. Er entdeckt im Spiel die Thematisierung einer Gewalt- und Lachgemeinschaft, wodurch eine Komik der Inversion entstehe, was zwar erwägenswert ist, aber nicht wirkliche Beweiskraft besitzt.

Zuletzt widmet sich Cora Dietl in ihrer ausgezeichneten Studie der Darstellung der Leiden Johannes’ des Täufers im geistlichen Spiel und im Bibeldrama der frühen Neuzeit, indem sie die folgenden Werke kritisch diskutiert: das Alsfelder Passionsspiel, Johannes Krügingers Tragoedia von Herode und Joanne dem Tauffer und Johannes Aals Tragoedia Johannis des Täufers. Das Leiden Johannes’ wird noch vor der protestantischen Reformation eng parallel zur Passion Christi geführt und der Zuschauer dazu aufgerufen, compassio zu empfinden und damit das eigene Verhalten entsprechend zu ändern. Im lutherischen Kontext geht es stärker um die Heilserfahrung und die Einsicht in die Größe Gottes, während der Katholik Aal wieder mehr auf das Mitleid drängt, das dazu verhelfen soll, selbst zum Teil der Erlösung zu werden.

Der Band endet ohne einen Index, ohne Kurzbiographien, ohne eine Art Epilog, von einer Bibliographie zu schweigen. Die Beiträge werden von Abstracts begleitet, die leider meistens durch ein schlechtes Englisch gekennzeichnet sind. Die Herausgeber haben sich zwar gut um die formale Einrichtung der Aufsätze gekümmert, aber die wenigsten besitzen das erwünschte wissenschaftliche Niveau, fehlt ja insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit der zur Zeit sehr kräftig sprudelnden Forschung zu diesem Globalthema (wie Codierungen von Emotionen im Mittelalter, herausgegeben von C. Stephen Jaeger und Ingrid Kasten). Der Begriff “Gewaltgenuss” wirkt bestenfalls anachronistisch und die Kombination von Zorn und Gelächter erzielt nur dadurch den erwünschten Effekt, weil beides einen Gefühlsausdruck spiegelt. Wenn man aber bedenkt, dass es sich hier meistens um Nachwuchskräfte handelt, dann ist man doch davon beeindruckt, was insgesamt geleistet wurde.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Claudia Ansorge / Cora Dietl / Titus Knäpper (Hg.): Gewaltgenuss, Zorn und Gelächter. Die emotionale Seite der Gewalt in Literatur und Historiographie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015.
181 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783847102571

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch