Ein langer Abschied

Annette Pehnt lässt in ihrem Roman „Briefe an Charley“ ihre Protagonistin schreibend Distanz finden

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt unzählige Möglichkeiten, eine oft schmerzhafte Trennung zu verarbeiten und wieder in den Alltag zurückzufinden. Und dieser Prozess kann von unterschiedlicher Dauer sein.  Eine eher außergewöhnliche Form, Distanz zum Ex-Geliebten zu finden, wählt die Protagonistin in Annette Pehnts neuestem Roman „Briefe an Charley“, sie schreibt ihm – der Titel sagt es bereits – Briefe. Am 2. Januar beginnt sie – wieder –, müsste es heißen, denn offensichtlich hat sie ihrem Verflossenen schon mehrfach geschrieben. Auch die Trennung, so wird deutlich, dürfte schon einige Zeit zurückliegen. Sie erzählt von ihrer gemeinsamen Geschichte, wobei sie schon ganz zu Beginn klarstellt, dass sie sich eigentlich nicht anmaßen könne, von „unserer Geschichte“ zu schreiben: „Ich habe damals etwas mit dir erlebt, das ist meine Geschichte; du etwas mit mir, das ist deine, und ob sich Überschneidungen ergeben, können wir nicht mehr nachprüfen.“

Ein Briefroman, der sich den Jahren zuwendet, die man gemeinsam verbracht hat und diese wieder erzählt, könnte sehr schnell langweilig werden. Doch Pehnt macht aus der Story sehr viel mehr: Sie lässt auf behutsame und subtile Weise ihre Protagonistin sich immer weiter von Charley entfernen und zu sich selbst finden. Diese Briefe, die wir zu lesen glauben, sind es überhaupt Briefe? Sind es nicht eher Tagebucheintragungen, in denen ein Ich von den Briefen erzählt, die sie an den Mann, der sie verlassen hat, schreibt – oder vielleicht auch nur schreiben möchte? Denn immer wieder findet sich der eingeschobene Satz: „schreibe ich an CHARLEY“ (Charley in Großbuchstaben!), womit sie eine Linie zieht zwischen sich und ihm, eine Grenze. Das Tagebuch mit dem jeweiligen Datum als Kapitelüberschrift ist privat und hat keinen Adressaten, es wird in der Regel nicht von anderen gelesen, auch wenn es sich doch an jemanden richten sollte. Und im Tagebuch darf alles gesagt werden. Ja, es ist der eigentliche Ort, wo eine Trennung verarbeitet werden kann, wo es – wie es hier passiert – gelingt, sich vom Du allmählich zu lösen und zum Ich zurückzufinden.

Es sind nicht in erster Linie spektakuläre Geschichten, die die Ich-Erzählerin notiert. Sie schreibt vom „Meisenkrieg“ vor dem Fenster, von Kaffeehausbesuchen, von flüchtigen Begegnungen. Doch es gibt auch die anderen: etwa die Geschichte von der Tochter, Zimmi – „etwas gegen den Namen einzuwenden, CHARLEY? Es ist ihr Kosename, ich werde es dir nicht erklären“ –, deren Vater nicht da war. Zimmi ist bereits ausgezogen, als sie von ihr schreibt, das heißt auch, dass CHARLEY bereits vor langer Zeit weggegangen sein muss. Dass er zu Beginn des Romans noch so gegenwärtig ist, um dann doch allmählich in den Hintergrund zu treten – oder vielmehr gebracht zu werden –, dürfte damit zusammenhängen, dass sich die Erzählerin, die übrigens ohne Namen bleibt, ihrer Vergangenheit endlich stellt, sich ihr stellen will, indem sie sich alles von der Seele schreibt. Weil sie erkannt hat, dass sie genau dieses Schreiben, das sich eben nicht an das verlorene Du richtet, braucht, um ihre Eigenständigkeit wiederzuerlangen.

Unterstrichen wird diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und jener gemeinsamen, die vielleicht doch keine gemeinsame ist, dadurch, dass die Verfasserin verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, ihrem Charley eine Geschichte zuzuschreiben und diesen mehrmals neu zu erfinden. „Versuch über CHARLEY“ heißen diese eingestreuten Texte, die immer neue Sichtweisen auf diesen einen Mann aufzeigen und die Frage aufwerfen, ob dieser tatsächlich immer der Gleiche ist oder ob der Name Charley nicht für eine Vielzahl von Männern steht. Die Selbstsicherheit des Ich nimmt zu, gleichzeitig nehmen jedoch die Gewissheiten für die Leserin ab. Auch schwindet beim Lesen das Interesse für diesen Namen in Großbuchstaben, was jedoch nicht weiter schlimm ist, denn dem Ich folgt man gerne weiter durch diese sechs Wochen vom 2. Januar bis zum 17. Februar.

Im Roman gibt es noch eine weitere Ebene, die unbedingt erwähnt werden muss: Es handelt sich dabei um Zitate aus Roland Barthes‘ „Fragmente einer Sprache der Liebe“, die als Mottos jeweils über den Kapiteln stehen. Liest man nur diese Texte, ergibt sich wiederum eine Geschichte, eine neue Möglichkeit, den Trennungsschmerz zu verarbeiten und neue Stärke zu finden.

Sehr kunstvoll gelingt es Annette Pehnt, die verschiedenen Ebenen dieses Romans miteinander in Beziehung zu setzen, Elemente miteinander zu verbinden und so die Geschichte einer Frau zu Papier zu bringen, die von Liebe, Sprache und vom Schreiben handelt. In diesem Sinne sind auch die Sätze von Roland Barthes zu verstehen, die als Motto über dem ganzen Roman stehen: „Wissen, daß man nicht für den Anderen schreibt, wissen, daß diese Dinge, die ich schreibe, mir nie die Liebe dessen eintragen werden, den ich liebe, wissen, daß das Schreiben nichts kompensiert, nichts sublimiert, daß es eben da, wo du nicht bist, ist – das ist der Anfang des Schreibens.“ Wie viel Nachdenken wird da in Gang gesetzt bis zum Schluss eines Romans, der mit dem Satz endet:

„Die grüne Wollmütze aufsetzen, die Schuhe binden, aufhören zu schreiben zu überlegen: und dies ist mein letztes Wort.“

Titelbild

Annette Pehnt: Briefe an Charley. Roman.
Piper Verlag, München 2015.
174 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057288

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch