Zur Geschichte des Spiels von und mit der Evolution
Marianne Sommer hat eine kurze, aber konzise Geschichte der Evolutionären Anthropologie geschrieben
Von Julian Köck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWieso parken Frauen noch einmal so schlecht rückwärts ein und wieso stammen sie von der Venus? Man möchte antworten: zum Wohle des (deutschen) Buchhandels – und weil in der Steinzeit jenes so und so gewesen ist. Bücher wie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ verkaufen sich gut. Das Verhalten von Menschen und die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen durch evolutionstheoretische Betrachtungen zu erklären, kann geradezu als intellektuelles Gedankenspiel begriffen werden. Die Grundlagen des Evolutionsprozesses sind leicht zu verstehen, aus Hypothesen lassen sich spielerisch große Gedankengebäude zimmern. Dass dieses Spiel von und mit der Evolution schon lange gespielt wird, ist eine der grundlegenden Erkenntnisse, die der Leser von Marianne Sommers Buch „Evolutionäre Anthropologie zur Einführung“ mitnehmen wird.
Die Autorin geht in ihrer Einführung, die eigentlich eine kurze Geschichte der Evolutionären Anthropologie ist, diesem Phänomen in drei chronologisch gefassten Kapiteln nach. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit Darwins berühmter Schrift „On the Origin of Species“ und deren Rezeption, wobei sich Sommer dabei vornehmlich auf den englischen, französischen und deutschen Kulturraum bezieht. Geschickt verbindet sie in ihrem Text verschiedene Ebenen: Man erfährt nicht nur etwas über die Theorien, die Darwin und andere Autoren entwickelten, sondern bekommt auch die Bedeutung von institutioneller Machtausübung einzelner Wissenschaftler wider unbequeme Gedanken vorgeführt. So wehrten sich beispielsweise die Jünger Georges Cuviers, die am Muséum d’Histoire Naturelle und an der Académie des Sciences saßen, aus nicht zuletzt politischen Gründen gegen die über den Kanal schwappende Evolutionstheorie.
Ganz anders in Deutschland: Ernst Haeckel und Carl Vogt werden von Sommer als „deutsche Darwins“ apostrophiert. Dass auch hier politische und weltanschauliche Interessen starke Motive für die Propagierung der Evolutionstheorie waren, macht die Autorin deutlich. Besonders Haeckel, der die Evolutionstheorie in Deutschland in breite Kreise getragen hat, war daran gelegen, mit Hilfe des Evolutionsgedankens einen wissenschaftspolitischen Feldzug zu führen, der mit der Unterwerfung der Geisteswissenschaften unter den Primat der naturwissenschaftlichen Methode enden sollte. Auch dieser Gedanke ist nicht gänzlich zu den wissenschaftsgeschichtlichen Akten zu legen, das macht Sommer besonders in ihrem dritten Kapitel deutlich. Dort beschäftigt sie sich mit der zeitgenössischen Soziobiologie und den „molekularen Synthesen“, also dem Versuch, Menschheitsgeschichte über die Auswertung der DNS und RNS zu schreiben. Harte Naturwissenschaft und weiche Geistes- oder – neuerdings terminologisch mehr en vogue – Kulturwissenschaft prallen hier aufeinander.
Davor und dazwischen kommen natürlich auch die Schädelvermesser, die Paläoanthropologen und ihre Fossilien, und, vor allem im zweiten Kapitel, das Verhältnis von Kulturanthropologie und früher Genetik sowie der Eugenik zu ihrem Recht. Das alles ist flüssig geschrieben, die Knappheit im Hinblick auf den Veröffentlichungsort angemessen. Ein kleiner Kritikpunkt bleibt dennoch: Bei einem Buch, das sich ausdrücklich an den interessierten Laien richtet, kann nicht unbedingt die Kenntnis vorausgesetzt werden, was Amerinder sind und wobei es sich bei einem Goniometer handelt.
Wer sich für Sommers „Evolutionäre Anthropologie zur Einführung“ interessiert, sollte wissen, dass es sich eben nicht um eine Einführung in die zeitgenössische Evolutionäre Anthropologie nebst lehrbuchartigen Erläuterungen ihrer Methoden handelt, sondern um eine konzise Geschichte der verschiedenen Stränge des Fachs, die um einen kurzen Blick in die Gegenwart ergänzt ist. Wer sich dafür erwärmen kann, dem sei das Buch ohne Vorbehalte empfohlen.
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