Krieg und Kunst

Zur Februar-Ausgabe 2016 mit erneuten Rückblicken auf die Zeit vor 100 Jahren

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Am 5. Februar 1916 eröffneten Hugo Ball und Emmy Hennings in Zürich das Cabaret Voltaire. Ein Plakat des polnischen Malers und Graphikers Marcel Słodki, 1892 in Łódź geboren, nach dem Studium an der Münchner Kunstakademie und dem Beginn des Ersten Weltkriegs nach Zürich exiliert und 1944 im KZ Auschwitz gestorben, kündigte die Veranstaltung an. Die Schweiz war 1916 Fluchtpunkt und Zentrum einer europäischen Internationale der Kriegsgegner.

Davon vor allem handelt der Themenschwerpunkt dieser Ausgabe. Mit ihm setzen wir fort, was bereits im Mittelpunkt etlicher früherer Ausgaben stand, zuletzt im Februar, Juli und August 2014 im Zusammenhang mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und den zahlreichen Neuerscheinungen zu diesem Anlass und noch einmal im Januar 1915. Schon im November und Dezember 2008 hatten wir die Schwerpunkte dem Thema „Erster Weltkrieg und Revolution“ gewidmet und im August 2004 dem Thema „Literatur und Erster Weltkrieg“. Eine 2014 eingerichtete Sonderveröffentlichung mit dem Titel Literatur, Kunst und Wissenschaft im Ersten Weltkrieg sammelt Dokumente aus der Zeit von 1914 bis 1918 und wird laufend ergänzt.

Das Thema wird uns weiterhin intensiv beschäftigen. Diese Ausgabe rückt den 100. „Geburtstag“ des Dadaismus in Zürich in den größeren Zusammenhang einer europäischen Friedensbewegung und versucht gleichzeitig zu zeigen, wie heterogen die Kriegskunst dieser Jahre war. Noch bevor die renommierte expressionistische Zeitschrift Die weißen Blätter 1916 nicht mehr in Leipzig erschien, sondern, um der Kriegszensur zu entkommen, von René Schickele in Zürich und später in Bern herausgegeben wurde, veröffentlichte der renommierte, dem Expressionismus nahestehende Schriftsteller, Kunsthistoriker und Diplomat Wilhelm Hausenstein dort einen Aufsatz mit dem Titel Für die Kunst. Die Leser wussten nach der Lektüre, wie sie den Titel zu ergänzen hatten: Gegen den Krieg. „Kein Krieg bringt Kunst hervor“, behauptete Hausenstein hier, und gegen die aufblühende Kriegsliteratur, die in diesen Jahren vor allem in der Lyrik große quantitative Erfolge aufweisen konnte, wendete er ein: „Weshalb ist das meiste, das mit künstlerischem Anspruch aus dem Krieg und für den Krieg gezeichnet und geschrieben wird, so belangslos? […] Wie kam es, daß ungefähr alle europäischen Dichter und gerade die Dichter Schwaches oder baren Unsinn geschrieben haben, als sie vom Krieg zu reden anfingen – wobei Inhalt und Form gleich unwert waren?“ Besonders mit den Abstraktionstendenzen in der neuen Kunst sei der Krieg unvereinbar:

Der Krieg ist etwas ungeheuer Gegenständliches. Nur die im Gegenständlichen wirken können, sind jetzt Künstler: Militärs, Politiker, Techniker, Organisatoren. Die Kunst, mit der wir bis an die Schwelle des Krieges gegangen waren, war nicht gegenständlich. Wir lebten im Sommer 1914 in einem Augenblick, in dem die Kunst zu einer unerhört abstrakten Formalität gediehen war.

In Hausensteins Parteinahme für die Kunst und gegen den Krieg fand freilich eine pazifistische Antikriegskunst, wie sie schon ab 1915 für die expressionistische Literaturszene prägend wurde, keine Berücksichtigung. Sie entsprach eher der aktivistischen Kunstauffassung, die sich gerade durch den Krieg besonders legitimiert sah. Und den anders gearteten Dadaismus gab es noch nicht, als Hausenstein seinen Aufsatz schrieb.

Die Februar-Ausgabe möchte in ihrem Schwerpunkt einen Eindruck davon vermitteln, wie vielfältig und widersprüchlich die Auseinandersetzungen der Literatur und Kunst mit dem Krieg vor hundert Jahren waren.