Nicht alles Gold, was glänzt?!

Ein Tagungsband hinterfragt negative Konsequenzen der Reformation

Von Sylvia MeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sylvia Meyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Sammelband entstand als Ergebnis der im Juli 2014 stattgefundenen Tagung mit demselben Titel. Die enthaltenen Beiträge behandeln ein breites Feld von Aspekten, darunter die durchaus üblichen Themen der Geschlechterordnung und der Bildung und Zensur, aber auch seltener beachtete Fragestellungen sind zu finden. Stellvertretend sollen an dieser Stelle zwei ausgewählte Aufsätze besprochen werden.

Kai Lehmann diskutiert in seinem Beitrag „Hexenwahn und Hexenverfolgung als Folge der Reformation?“ die Frage, inwieweit ein Zusammenhang zwischen den religiös-konfessionellen Spannungen dieser Zeit und der gerade im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen prominenten Verfolgung von Hexen besteht. Auf der Grundlage dreier, pointiert formulierter Einzelfragen wird versucht, die Hauptfrage zu beantworten: Hatte die Hexenverfolgung etwas mit der Reformation zu tun? War der Hexenwahn eine Folge der Reformation oder vielmehr der Gegenreformation? Welche Rolle kam Martin Luther zu?

Lehmann weist zunächst darauf hin, dass erste Hexenverbrennungen bereits deutlich vor der Reformation einsetzten und verbindet diesen Umstand mit der Entstehung des Buchdruckes, der eine schnelle Verbreitung von Hexenlehren (wie dem „Hexenhammer“) erstmals möglich macht. In diesem Sinne ist die Hexenverfolgung zunächst ein mediales Ereignis.

Während Hexenverfolgungen in der heißen Phase der Reformation (ab 1520) nahezu unbekannt sind, flammen sie ab den 1560er Jahren in einem vorher nicht gekannten Ausmaß wieder auf, und zwar sowohl in katholischen als auch in evangelischen Regionen. Die Frage, ob diese Intensivierung auf den Einfluss Martin Luthers zurückzuführen ist, bleibt unentschieden: Wie in vielen anderen Fragen auch, ist Luther hier „janusköpfig“, kann sowohl von der einen, als auch von der anderen Seite zur Rechtfertigung herangezogen werden. Zwar existieren keine systematischen Äußerungen des Reformators zu diesem Thema, auch nicht in seinen vielen Briefen, doch in einer Predigt aus dem Jahre 1526 äußert sich Luther explizit. Anschaulich arbeitet Lehmann Luthers ambivalente Haltung, sein halb mittelalterliches, halb „reformiertes“ Denken sowie die Rezeption seiner verstreuten Äußerungen, auch anhand diverser Fallbeispiele, heraus. Erstaunlich, weil banal anmutend, ist die abschließende Antwort des Artikels: Eine monokausale Erklärung sei nicht möglich. Neben der konfessionell-religiösen Unsicherheit seien auch „die kleine Eiszeit“ und damit verbundene Missernten in Verbindung mit starkem Bevölkerungswachstum sowie der stark mediale Charakter der Hinrichtungen verantwortlich zu machen.

Abschließend verweist Lehmann auf ein bisher selten beachtetes Forschungsfeld und stellt die spannende Frage: Aus welchen Beweggründen heraus handelten die Täter (also die Verfolger)? Dieser Frage nachzugehen, erscheint in der Tat vielversprechend.

Julia A. Schmidt-Funke widmet sich in ihrem Beitrag „Reformation und Geschlechterordnung. Neue Perspektiven auf eine alte Debatte“, wie der Titel bereits andeutet, einer Frage, die in den 1970er Jahren im Zuge der feministischen Frauengeschichte dahingehend beantwortet wurde, dass die Reformation nicht, wie vielfach behauptet, eine Befreiung der Frau mit sich brachte, sondern vielmehr die verfügbaren Handlungsspielräume stark einschränkte. Die regelmäßig in der Forschung betrachteten Frauen seien bestenfalls Ausnahmeerscheinungen, die in deutlichem Kontrast zum Gros der Frauen stehen. Schmidt-Funke stellt ihre Überlegungen im Rahmen der Kontinuitätsforschung unter die Stichworte ‘Kontinuität’ und ‘Wandel’ und versucht mittels dreier ausgewählter und zugespitzt formulierter Fragen ohne Anspruch auf Vollständigkeit der alten Debatte neue Relevanz zu verleihen.

Ihre ersten Überlegungen gelten der gesellschaftlichen Bewertung weiblicher Autorschaft im Zuge der Reformation. Obwohl der Gedanke der ‘Priesterschaft aller Gläubigen’ weibliches Schreiben zwar (theologisch) legitimierte, wurde es doch, wie beispielsweise auch Ehe- und Kinderlosigkeit, als deviant wahrgenommen. Durch die Analyse des polemischen Gebrauchs typisch weiblicher Symboliken in Flugschriften der Reformationszeit versucht Schmidt-Funke, geschlechtsspezifische Asymmetrien und ihre Affirmation aufzudecken. Dieser Versuch gelingt meiner Ansicht nach nicht vollständig.

Interessant ist die Frage, inwieweit männliche Handlungsspielräume durch die neu geschaffene Rolle des Hausvaters eingegrenzt und andere Männlichkeitsentwürfe damit marginalisiert und diskriminiert wurden. Hier weist die Autorin nach, dass die von den Reformatoren als Ideal propagierte Rolle des frommen, treuen und vernünftigen Hausvaters zum Einen durchaus als Bürde empfunden wurde, zum Anderen aber Gegenentwürfe, wie beispielsweise der des unverheirateten Gelehrten, so schnell an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren, dass auch führende Köpfe der Reformation sich diesem gesellschaftlichen Druck – wenn auch widerstrebend – fügten.

Die dritte Frage thematisiert die Stellung des Pfarrhauses und die neu geschaffene Rolle der Pfarrfrau innerhalb der städtischen Gesellschaft. Anhand von Fallbeispielen wird der gesellschaftlich noch ungeklärte Stand der Pfarrfrau besprochen. Nicht unbeachtet bleibt dabei ihre Behandlung in zeitgenössischen Kleiderordnungen.

Auch in diesem Fall erstaunt das Fazit: Aussagen über DIE Auswirkungen DER Reformation auf DIE Frau / DIE Geschlechterordnung seien nicht möglich.

Interessant, fast schon erschreckend, sind derartige Aussagen gerade in geisteswissenschaftlichen Kontexten, in denen monokausale Erklärungen per se nicht zu erwarten sind. Warum ist es in Fachrichtungen, die sich täglich mit gesellschaftlicher und kultureller Dynamik und Diversität konfrontiert sehen, notwendig, als Fazit Erklärungen einzufordern, die dieser Vielschichtigkeit gerecht werden? Diese Erkenntnis ist Prämisse und nicht Ergebnis einer jeden geisteswissenschaftlichen Untersuchung!

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Werner Greiling / Armin Kohnle / Uwe Schirmer (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470-1620.
Böhlau Verlag, Köln 2015.
438 Seiten, 50,00 EUR.
ISBN-13: 9783412501532

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