Warum uns die Kartoffel Micky Maus brachte
Markus Gassers „Eine Weltgeschichte in 33 Romanen“ lädt zur kurzweiligen Zeitreise zu den großen und kleinen Stationen der Menschheitsgeschichte ein
Von Vanessa Rosellen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelbsterklärend greift das Cover den Titel auf: Ein Mann steht auf dem Globus und stützt mit seiner linken Hand einen hohen Stapel Bücher. Ebenso vielversprechend liest sich der Klappentext des Romans, in dem dem/der Leser/in eine Entdeckungsreise durch die Epochen der Welt- und Literaturgeschichte angepriesen wird, auf die Markus Gasser ihn/sie in seiner Weltgeschichte in 33 Romanen mitzunehmen gedenkt. Der Roman stellt ein literarisches Experiment dar, bei dem Gasser in den zu verschiedenen Zeiten der Menschheitsgeschichte spielenden Geschichten Anekdoten der Weltgeschichte erzählt, welche aneinandergereiht wiederum ein Ganzes ergeben sollen.
So springt der/die von der Idee des Buches begeisterte Leser/in zunächst voller Zuversicht an Bord und geht auf große Reise, um Homers Troja und Thornton Wilders Rom zu erblicken, mit Umberto Ecos Templern ins Gelobte Land zu ziehen, Vermeer, Kepler oder Jeanne D’Arc bei ihren Taten zu begleiten, von Grönland über China und Texas nach Namibia zu gelangen und ganz nebenbei knapp 3.000 Jahre Menschheitsgeschichte zu durchlaufen. Von der Antike bis zur Gegenwart gestaltet Gasser die Reise durch die 33 mehr oder weniger bekannten Romane chronologisch, wobei er Schwerpunkte in Europa und Amerika setzt. Außerhalb dieser Ordnung steht der erste Beitrag, Evelyn Waughs Wiedersehen mit Brideshead, der insofern programmatisch zu werten ist, als er das Leitthema des Buches vorwegnimmt: „Man glaubt man hätte nur ein Leben; dann öffnet man ein Buch, tritt ein, hängt ein Schild vor die Tür, ‚Bitte nicht stören, bin auf Zeitreise‘ − und schon hat es einen mitten hineinverschlagen in die fernsten Epochen, als gehörten sie unserer privaten Erinnerung an.“ Das klingt zunächst nach einer schönen Idee, nach einer Kreuzung aus Endes Unendlicher Geschichte und Hararis Kurzer Geschichte der Menschheit, einer Mischung von Belletristik und Sachbuch, das dem/der Leser/in Wissen nicht bloß vermittelt, sondern Historie geradezu erleben lässt. Diese Erwartung wird nun leider nicht erfüllt.
Gassers Geschichte fehlt der rote Faden, der lediglich in Form des zweiten Lesebandes im Buch vorhanden ist. Anders als dem Herrn auf dem Cover gelingt es dem Autor nicht, die Handlung zusammenzuhalten. Im „verblüffenden literarischen Spiel“ geht das vom Verlag angekündigte „große Lesevergnügen“ bei Gassers intertextueller Verflechtung und seiner stilistischen Selbstinszenierung verloren, so dass der/die Leser/in auf der Strecke bleibt, wenn Gasser zu sehr in seiner Rolle als literaturwissenschaftlicher Privatdozent aufgeht. Ausdruck findet dies insbesondere in seinen Adjektivkomposita vom „eifersuchtsgeschärftem Dolch“, über die „kohlefeuerkeuchende Stadt“ bis hin zur „zuckerhutbespitzten Schleierhaube“, die dem Lesefluss nicht unbedingt zugutekommen und scheinbar lediglich der Schaustellung des eigenen sprachlichen Vermögens dienen.
Anders als im 2014 veröffentlichten Werk Das Buch der Bücher für die Insel präsentiert Gasser weder den Inhalt der Romane, noch die Biografien der Verfasser. Vor allem durch die unmittelbare räumliche wie zeitliche Verortung der Romanhandlungen, wie zum Beispiel im Falle von Thomas Manns Joseph und seine Brüder, auf Heliopolis in Ägypten und das Jahr 1350 v. Chr., vermittelt Gasser den Anschein historisch belegbarer, wahrer Begebenheiten. So überschreitet er die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion, Historischem und Literarischem. Selbst wenn im äußerst umfangreich ausfallenden Quellenanhang Gassers historisches Hintergrundwissen belegt und betont wird, bleiben die Texte doch literarische Fiktion.
Das Buch ist ein Experiment, das als eine Verschmelzung eigener literarischer Arbeit mit den Grundelementen bestehender Werke zu verstehen ist, aus der kurze Geschichten, die meist keine zehn Seiten umfassen, geformt werden, welche gleichsam Momentaufnahmen der Weltgeschichte darstellen. Gleichwohl finden diese Sprünge durch die Zeit und der Wechsel in die nächste Geschichte oftmals allzu rasch statt, so dass der/die Leser/in die erzählerischen Entwicklungen wie auch den überordneten Zusammenhang kaum nachvollziehen kann. Nicht explizit beantwortet wird die Frage, weshalb es gerade 33 Romane sind. Gasser lässt den Astronomen Kepler lediglich andeuten, dass die Zahl 33 „die gesamte Geschichte der Welt in sich schließen“ könnte, „wenn man nur …“, aber da bricht er diesen Gedanken ab. Die Anspielung könnte hier darin bestehen, dass auch Christus 33 Jahre alt wurde und ebenfalls gleichsam die gesamte Geschichte der Menschheit in sich schließen konnte.
Wer indes ein geschichts- oder literaturwissenschaftliches Werk erwartet hatte, wird enttäuscht sein. Denn am Ende der gut dreihundert Seiten ist man der Weltgeschichte nicht unbedingt gewahr geworden und fühlt sich auch den thematisierten Romanen nicht näher als zuvor. Allenfalls wurde das Leseinteresse für diese Bücher geweckt. Dennoch beinhaltet das Hybrid aus Belletristik und Sachbuch neben den menschheitsbestimmenden Themen von Krieg, Liebe, Exzess, Mord, Gier und Aberglaube durchaus unterhaltsame Anekdoten über Marie Antoinettes Frisur und ihr Kutschfahrtenproblem, über die Zufälle, welche hinter der Entstehung berühmter Gemälde von Delfter Dienstmägden stecken oder über die Verbindung von Barack Obama, Walt Disney, Kurt Cobain und der irischen Kartoffelernte im 19. Jahrhundert.
Ohne die Erwartung, weiterführendes Wissen über die präsentierten Werke, Autoren oder gar den geschichtlichen Fortgang der Welt zu erlangen, kann das Buch durch seine kurzweilige, episodenhafte Erzählweise durchaus amüsieren. Es ist ein literarisches Experiment, das gleichwohl nur teilweise zu überzeugen vermag.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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