Zeit zu erwachen

Marica Bodrožić taucht in das sonderbare „Wasser unserer Träume“ und entschlüsselt seine Botschaften

Von Sandy SchefflerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandy Scheffler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist Winter und die Zeit der Stille: Der Mann, der vom Krankenbett aus ohne Worte erzählt oder vielmehr wortträumt, ist in sich eingeschlossen und doch bekommt er alles mit, was um ihn herum geschieht. Niemand traut es ihm zu, aber er „kann die anderen lesen, ihre Gedanken, ihre Liebe, ihre Sehnsucht“, er kann „aus dem Inneren sehen“. Nüchtern stellt er fest, um diese „Gabe“ keineswegs „gebeten“ zu haben. Was ihm passiert, erlebt er als „Entmachteter“, als in Raum und Zeit „zurückberufener Mensch“. Entmachtet ist der Mann, da er „nichts allein machen“ kann mit seinem „stummen Körper“. Durch die Plastikschläuche der Maschinenmedizin ist er „an die Erde“ gebunden.

Alles sehen, alles hören, alles spüren, alles wissen: Marica Bodrožićs Roman beginnt mit der Beschreibung des allseitig bewussten Protagonisten. Eingesperrt in einen stummen gelähmten Körper nimmt er dennoch wahr, wie er mit allem verbunden ist. Dabei fehlen alle Voraussetzungen für Interaktion. Gesten und Sprache existieren nicht und doch kann er sich auf eine ganz rätselhafte, traumhafte Weise auf die anderen beziehen. Was ein Paradoxon zu sein scheint, ist in der „Welt der Träume“ möglich: Gedanken müssen nicht mit Stimmband, Kehlkopf, Lippen, Zunge und Zähnen in Sprache übertragen werden. Allein Gedanken genügen. Es ist eine sonderbare Welt, in die uns Bodrožić mitnimmt, ebenso sonderbar wie es Träume sind. Weil es niemanden gibt, der im physischen Sinne kommunizieren kann, gibt uns Bodrožić eine Idee davon, wer da tatsächlich erzählt: „Der Raum ist der allwissende Erzähler.“

Auch dem Sehen kommt eine zentrale Funktion zu: im Leben, im Tod und im Dazwischen des Traums. Es ist ein Sehen ohne Auge, vielmehr ein intuitives Schauen, ein Resonanzraum zum ganz individuellen Sein: „Ich sehe die Farben nicht, nicht so, wie ich früher die Welt und die Menschen, die Straßen und die Bäume gesehen haben muss. Das Sehen sieht mich und es stellt Fragen.“ Bodrožićs Protagonist stellt kluge aufrüttelnde Fragen: „Was sehen wir von den anderen Menschen, bevor uns das Sehen selbst sieht?“ Das Sehen ist kein jenseitiges Sehen, keine Todessehnsucht, bei weitem nicht. Und doch ist es ein buchstäblich jenseitiges Sehen, da es jenseits der Physiologie, jenseits der Augen erfolgt und weder Raum noch Zeit kennt. Es folgt einem inneren Bewusstsein, das erkennt: „In mir sind innere Stufen. So wie wir Glocken hören können, kann ich die Stufen in mir sehen. Ich bin noch mitten im Leben. Gerade jetzt sehe ich, wie der Anfang im Anfang entsteht und mich zu seinem selbstlosen Komplizen macht.“ Konterkariert wird der lebendige Stufenanfang vom „machtvollen schwarzen Quadrat“, denn „mitten im Leben ist der Tod“. Der russische Maler Kasimir Malewitsch hat das „Schwarze Quadrat (auf weißem Grund)“ (1915) geschaffen, um die Kunst zu befreien von aller Gegenständlichkeit. Keine Vorprägung durch Dinglichkeit mehr, nirgends. In der Leere des Nichts sollte das Formlose selbst empfundene Kunst sein dürfen. Die Höchste und die tiefste Erkenntnis, zu der der Mensch befähigt ist, werden eins und beenden die Fragen in Raum und Zeit. Der Tod, die „dunkle Nacht“, wohnt im „schwarzen Quadrat“, in dem die Erkenntnis die Fragen auslöscht. Seinen „machtvollen“ Charakter erfährt es durch maximale Konzentration der Erkenntniskraft: höchstes Bewusstsein.

Im Roman katapultiert ein Unfall den Erzähler in das schwarze Quadrat und schließt ihn in einer Welt zwischen Diesseits und Jenseits ein. Was den Erfahrenden mit dem Jenseits in Kontakt bringt, ist seine Befähigung, ohne Augen zu sehen und ohne Sprache zu sprechen. All diese neuen Fähigkeiten spielen sich jedoch in der diesseitigen irdischen Welt ab. Seine Empfindungen sind sensibilisiert. Der Erzähler liebt und leidet mit den Menschen, die in seinem Krankenzimmer für seinen Körper sorgen. Er spricht mit ihnen und nimmt Anteil an ihren persönlichen Schicksalen. Es scheint, als sei sein Getrenntsein von den Menschen nötig gewesen, um nunmehr eine innige Verbundenheit mit allen zu spüren: „Die Welt ohne die anderen Menschen wäre die schrecklichste aller möglichen Welten. Die Frauen kommen und gehen. Schön und tief ist die Fülle im Geheimnis der Verbundenen.“

Die Erinnerung an das alte Leben ist verschwunden oder zumindest in der alten Form nicht mehr evident, so dass der Erzähler in seinem Körperkokon auf die Verwandlung wartend resümiert: „Ist das Warten eine Handlung? Ich bin neu in der Welt, ein zurückgesegelter Jongleur, noch nicht eingebunden in die Spiele der anderen. Und von den alten Vergnügungen, Tändeleien, Täuschungen, Leidenschaften und Geselligkeiten bin ich silberschnurgenau getrennt worden.“

Durch die Verschachtelung von Gedanken, Fragen und inneren Selbstbetrachtungen erscheint der Roman fast wie ein poetisches Gedankentagebuch. Zwischendrin durchbrechen oftmals Fragen oder auch Feststellungen die sprachlichen und fantastischen Fantasiegebilde der Romanträume, die an Fragen oder Erscheinungen des existentiellen menschlichen Daseins gekoppelt sind: „Wenn ich mich nicht bewege und keinen Körper habe, der selbsttätig handelt, wer bin ich dann?“ Mit dieser Frage weist Bodrožić weit über die Grenzen der Romanerzählung hinaus und rüttelt an archetypischen Themen: Was ist der Mensch? Ist er mehr als sein Körper und dessen fehlerfreies Funktionieren? Und wenn ja, was ist er dann? Aus der Antwort wird keine große Sache gemacht. Im Grunde kommt sie ebenso schlicht und unprätentiös daher wie die uralte Menschheitsfrage: Wer bin ich? Die Antwort lautet: „Ich bin Zeuge.“ Warum kann diese Aussage so schlicht getroffen werden? Es gibt keine Erklärungen, keine strittigen Debatten. Das ganze Buch kommt ohne solches aus, denn was Bodrožić ihrem Protagonisten an die Hand gibt, ist die ureigene körperliche wie seelische Erfahrung. Er kann sich nicht mitteilen, ist eingeschlossen in den eigenen Körperraum und doch ist ihm bewusst, was er weiß. Er „weiß, dass die Sonne allezeit da ist, ohne Bedingungen. Und keine Krähe kann ihr etwas anhaben. Die Wolken am Himmel begehren nicht auf, wenn ein paar Krähen auftauchen. Sie wissen, dass alles, auch sie selbst, einmal vorübergegangen sein werden. Der Himmel bleibt. Ich sehe mir jeden Tag das unsterbliche Blau an.“ Gegen das endlose Himmelsblau hinter den Wolken gibt es keine Argumente.

Der Protagonist darf das wissen, er liegt eingebettet in seinem Traum. Die Ärzteschaft darf es nicht. Besonders nicht der Mann mit der „Fitzelstimme“. Gerade er ist als Gegenpart einer auf Gerätemedizin und Formeln setzenden Realität konzipiert, von der der Protagonist in seiner Zwischenwelt Abstand nimmt. Abstand nehmen muss, wenn er nochmal erwachen will: „Ich weiß ganz genau, dass ich vorzeitig sterben werde, wenn ich mich auf seine nutzenorientierte Gedankenwelt einlasse. Er hat Interesse an seiner Theorie und nicht an meinem Leben.“

So macht der Roman das Leben des Einzelnen zu einer inneren Angelegenheit, die von außen nicht erkannt werden kann. Die Erfahrung ist der Schlüssel zu solch einem Leben, das aus der Stille, aus der Zwischenwelt des Traums aufsteigt. Der Protagonist vertraut seinem „Innenkern“, den er „nicht beweisen kann“. So steht das Unbeweisbare gegen das Beweisbare. Beides hat seine Gültigkeit in der jeweiligen Welt. Und es gibt nicht einmal zwei Welten. Alles ist eins. Beides befindet sich unter dem Blau des Himmels.

Wenn das Bewusstsein des Protagonisten nicht nur sieht, sondern von den Dingen gesehen wird, ist die Entkopplung vom Körper deutlich; dann kann kaum noch überraschen, dass dieses Bewusstsein auf dem Krankenhausflur des 13. Stockwerks nach Worten, nach der Sprache der anderen sucht. Es will sich durch diese fremden Gedanken auch selbst lesen. Erfahren, was es mit seinem eigenen körperlichen Zustand tatsächlich auf sich hat. Diese Bewusstseinsforschungen gelingen dem Protagonisten zumindest für eine gewisse Zeit, denn er weiß – oder besser: es weiß – es „muss zu [s]einem Körper zurückkehren, sonst vergisst er“ ihn.

Und immer wieder dreht sich alles um die Liebe. Nicht in erster Linie als jene romantisierte Zweierbeziehung, sondern als ein Zustand, als der Kitt zwischen allem Beweisbaren und Unbeweisbaren. Was dem Leser damit offeriert wird, ist nicht Liebe als ein Ziel, als eine emotionale Begegnung zwischen zwei Menschen, sondern nicht weniger als ein dem Höheren entstammender und dem Höheren zugewandter Seinszustand. Die Autorin folgt dem existentiellen Ruf und nicht der Konvention. Traum und Erfahrung vereinen sich im Zustand der Liebe zu einem unverbrüchlichen Wissen. Eine Hypothese? Kaum, denn der scheinbar leblose, schon unter der Beobachtung des „Organsammlers“ stehende Protagonist weiß, dass er da ist, also – in welcher Form auch immer – am Leben ist, und er fühlt auch, dass er liebt. Den ihn pflegenden Schwestern ist er innig zugetan. Sie glauben an ihn. Er orientiert sich an der Liebe, weil er in dieser Zuneigung sich selbst erkennt. In der Gier des „Organsammlers“ hingegen, der als falscher Prophet seinen Tod voraussagen will, zeigt sich die Abwesenheit existentieller Liebe.

Vielleicht ist dies dem Umstand geschuldet, dass der „Organsammler“ die Kenntnis über die „Schönheit“ der Träume „mit den flirrenden Gedanken ins Exil“ geschickt hat und er sich vom Kern der Stille endlos entfernt hat. So weit fort vom Zentrum werden „die Gedanken zu Maschinen“, wie der Erzähler vermutet: „Dann schießen sie kenntnisreich um sich, legen sich über alle Sinne, werfen ihre Anker in das Wasser des Lebens aus.“ Nur dann kann man so verliebt in die Prophezeiung des Todes sein. Mehr noch, Gedanken ohne eine metaphysische Zentrierung nach innen, ohne einen Kontakt zum inneren existentiellen Lebensfluss, der ein Traum sein mag, sich jedoch stets und ständig weiterbewegt, sind bereits tote Konstrukte. So bilden die Sinne am ehesten eine Brücke zum rätselhaften Fluss des Lebens. Wenn sich allerdings die Gedankenkonstrukte über sie legen, sich ihrer vollkommen bemächtigen, dann werden die Sinne in einen Kokon eingewebt. Eine Verwandlung wird immer unwahrscheinlicher, je lauter der Gedankenfluss und je stiller der Lebensfluss wird.

Marica Bodrožić stellt in ihrem Roman mit solchen feinen Beobachtungen weder eine Philosophie auf, noch folgt sie einer, vielmehr besinnt sie sich und uns auf ein existentielles Sein, das weit über jede Philosophie hinausweist. Ihre Zeilen und sogar der Raum zwischen den Zeilen zeugen von einer gewissen Unbestechlichkeit, die tatsächliche, beziehungsweise erfahrene Weisheit mit sich führt. Diese ist dem intellektuellen Gedanken fremd, weswegen der kenntnisreiche „Organsammler“ im finsteren Dunkeln irrt und den Traumkandidaten bereits vorsätzlich als Todeskandidaten auserkoren hat. Der Gedankenfluss ist nicht schlecht, nicht falsch, nicht grundsätzlich unnütz, aber der Roman zeigt, wie er leblos, kalt und berechnend wird, sobald er von der Wärme des menschlichen Zentrums entkoppelt ist.

Der Erzähler durchstreift im Roman die vier Jahreszeiten, nach denen die Kapitel benannt sind. Das langsame Erwachen des Protagonisten vollzieht sich im Rhythmus von Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Im Winter nimmt er nur wahr, ohne einer äußerlich sichtbaren, körperlichen Regung fähig zu sein. Im Frühling kann er seine Augen wieder bewegen, allerdings bleiben die Lider geschlossen. Der Sommer kommt und mit ihm seine fast vergessene Ehefrau. Die alte Beklemmung erwacht unter ihrem Blick zu neuem Leben. Es bleibt rätselhaft, wieso diese Frau wieder auftauchen muss, wenn man zugleich solch kluge Sätze liest wie: „Die Liebe ist nichts anderes als jene Aufmerksamkeit, die uns alles schenkt, was wir in unserem Leben brauchen. Und die uns zeitgleich alles nimmt, was wir nicht brauchen.“ Daraus spricht Glück. Ein Glück, dass unabhängig ist von Meinungen und Forderungen anderer. Denn des Erzählers Herz glüht ganz von allein aus lauter Liebe, die sich nichts anderem als der Existenz verdankt, die ihn am Leben lässt. Besonders warm empfindet er für die ihn versorgenden Krankenschwestern. Es sind fremde Menschen, denen er in seiner abgesperrten Innenwelt Zuneigung entgegenbringt, welche er nicht einmal zum Ausdruck bringen kann. Allein es genügt, dass er sie empfindet. Im Sommer erwacht auch der Körper nach und nach zu neuem Leben, bis der Protagonist eines Tages sogar die Augen öffnet. Die beiden Schwestern weinen vor Ergriffenheit.

Ein Blick auf sein Foto im Personalausweis, der ihm zur Selbstidentifikation vorgehalten wird, löst im Protagonisten einen wahren Bilderstrom aus, von dem er weiß, dass er selbst das Bindeglied in dieser Kette ist. Wir erfahren von Krieg, Hunger und Flucht, ohne dass Ort, Zeitpunkt und Umstände zunächst ausgeführt werden. Auch der Leser gerät in den Bilderstrom, wird Teil einer Geschichte, die durch ihre gewisse Vagheit suggeriert, sich überall ereignen zu können. Wir erfahren von der Heirat mit Milena nachdem sie im fremden Land in Sicherheit sind, mit in Venice Beach, Kalifornien, gekauften Ringen. Die Erinnerung an Milenas Worte katapultiert den Protagonisten wieder ins Hier und Jetzt: Von ihr sieht er nur die russischen Bücher auf dem Kirschholztisch. Ihre Worte sind noch da wie diese Bücher, sie selbst ist gegangen, ihm fremd geworden. Sein Freund Wheeler rettet ihn aus der Krise, die Milenas Betrug auslöst. Die Reise im Bilderstrom führt sodann nach Europa, wo der Protagonist sich erinnert, nicht lange vor dem Unfall seine Eltern besucht zu haben. Er weiß nicht, ob sich das Krankenzimmer in Europa oder sonstwo befindet. Er erinnert sich, auf einem Kongress Nadushka begegnet zu sein – Liebe Nummer zwei.

Auch wenn Marica Bodrožić sensibel beobachtet und dabei bevorzugt durch das innere Auge blickt, bleibt gerade aus dieser Perspektive die Verkettung der so genannten Liebenden fragwürdig. Dazu weiß der Erzähler zu viel: „Wir hielten uns aneinander fest. Liebe ist das Gegenteil davon. Wenn wir uns hätten lassen können, wäre uns eine Rettung möglich gewesen.“ Trotz solch existentieller Wahrheiten lösen sich die Protagonisten nicht aus ihrer Klammerung und müssen dem konventionellen Mainstream folgen: Liebe, Heirat, Fremdgehen, Ängste, Unsicherheiten, Hass, Lügen. Bodrožić operiert an einer hochsensiblen Grenze. Wer solch eine Wahrheit, wie das Zitat sie preisgibt, in seinen Texten sät, muss eine andere Liebe kennen oder zumindest erhoffen. Vielleicht ist dieser Roman jedoch die Schnittstelle zwischen Konservatismus und dem Sprung in eine vertrauensvolle Freiheit, von der klar ist, dass sie nur in jedem selbst beginnen kann. So wie es der Freund Wheeler verkörpert, der frei ist und damit ein magisches, ein „ungezähmtes Feuer“ in Menschen entfacht, wie es nur wirklich freiheitlichen Menschen gelingt.

Im Kapitel „Herbst“ scheint sich der Zyklus der Erinnerungen zu vervollständigen. Milena erscheint mit dem fremden Sohn, der nur zu ihr gehört. Die Menschen, die ihn umsorgten, ziehen fort in ihr eigenes Leben. Alles steht auf Anfang. Und der Protagonist? Er will lieben. „Alle. Und alles. Das Wasser unserer Träume.“ Denn „das Wasser aber ist das Ganze.“ Als es ihm gelingt, sich im Krankenbett wieder aufzusetzen und sogar die Kiste mit den Briefen, die man zu ihm gebracht hat, zu öffnen, nähert er sich weiter seinem Erwachen an. Er liest die Briefe seines Freundes Wheeler. Dieser Freund ist es letztlich, dem die unzerstörbare, wahrlich erwartungsfreie Liebe gilt. In diese Freundschaft mündet das Wasser seiner Träume. Sie ist der Kern und Spiegel seines eigenen unverbrüchlichen Selbst, so dass der Aufbruch in Wheelers Heimatort Petaluma zusammen mit dem Freund auch ein Zeichen für die endlich eingestandene, unverbrüchliche Liebe zur Wahrheit des eigenen So-Seins ist. Damit beendet der Roman seine Reise der inneren Reflexivität mit einem markanten Wendepunkt, der zugleich Schlusspunkt ist: (Lebens-)Lüge löst sich in Wahrhaftigkeit und tatsächlich bedingungsloser Liebe auf. So ist es nur folgerichtig, dass beide Frauenfiguren verschwinden.

Marica Bodrožić ist ein poetischer, bildstarker Roman gelungen, der erfahrene Wahrheit mit existentiellen Lebensdingen kombiniert. Die Figuren agieren dennoch in herkömmlichen Rollen. Der Protagonist muss sich seine innere Freiheit im durch einen Unfall erzwungenen Stillstand seines Körpers erkämpfen. Wer die erfahrene Wahrheit hingegen in sich trägt, wird frei von sämtlichen Verstrickungen, so wie der treue Freund Wheeler. Einerseits kann man das konservative Verhalten und die Handlungsmuster zwar als für den Protagonisten entwicklungsnotwenig lesen, andererseits entbehrt es einer gewissen Logik, wenn die Kraft aus der Weisheit des Gesamtkorpus‘ mit der Unkenntnis der Hauptfigur korreliert. Im Ganzen überwiegt jedoch die tief erfahrene Klarheit, die aus dem Text spricht und sich einprägt. Dafür steht Marica Bodrožić. So bleibt sie mit diesem Roman sich selbst und der ihr eigenen poetischen Wahrhaftigkeit treu.

Titelbild

Marica Bodrožić: Das Wasser unserer Träume. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2016.
223 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783630873961

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