Eine Dreiecksgeschichte in revolutionären Zeiten

Mit seinem Roman „Die Freiheit der Emma Herwegh“ erinnert Dirk Kurbjuweit an eine unbeugsame und freiheitsliebende Frau

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Revolutionärer Elan war ihr durchaus nicht in die Wiege gelegt. Emma Herwegh (1817–1904) stammte aus reichem Hause. Als sie im März 1843 den Dichter Georg Herwegh heiratete, bedeutete das einen Affront ihrer Herkunftsklasse gegenüber. Doch die Tochter des Berliner Kaufmanns und Hoflieferanten Johann Gottfried Siegmund ließ sich nicht beirren. Seit 1843 in Paris lebend, schloss sie sich 1848 der Pariser Deutschen Legion an, einer von ihrem Mann aus exilierten Deutschen gebildeten Freiwilligeneinheit zur Unterstützung der badischen Revolution. Nach deren Niederlage mit knapper Not dem Tod entronnen, lebte das Ehepaar von 1851 bis 1866 in Zürch. Die 1866er Amnestie für alle politisch Verbannten führte Emma und Georg Herwegh schließlich nach Baden-Baden zurück. Georg Herwegh starb dort am 7. April 1875. Seine Frau – nach Paris zurückgekehrt – überlebte ihn um fast 30 Jahre: im Alter verarmt, aber nichtsdestotrotz an den Idealen ihrer Jugend festhaltend.

Dirk Kurbjuweits Die Freiheit der Emma Herwegh ist keine Romanbiografie im herkömmlichen Sinne. Verfolgt wird nicht der 87 Jahre dauernde Lebensweg der Titelfigur mit seinen Höhen und Tiefen, sondern die neun Kapitel, in die sich das Buch gliedert – alle sind mit Ort, Monat und Jahr überschrieben, an und in dem sie spielen – konzentrieren sich auf drei Zeitabschnitte, in denen besonders deutlich wurde, was diese Frau in ihrem und für ihr Jahrhundert bedeutete.

Das Jahr 1842 ist das Jahr, in dem sich Georg Herwegh und seine zukünftige Frau zum ersten Mal begegnen. Emma Siegmund ist 25 Jahre alt, hochgebildet, sozial engagiert, aber auch schon so etwas wie ein spätes Mädchen, im Hause ihrer Eltern vis à vis des Berliner Schlosses vom Leibarzt des Königs Friedrich Wilhelm IV. hofiert, ohne selbst großes Interesse an diesem Mann zu haben. Der seit dem Erscheinen des ersten Bandes seiner Gedichte eines Lebendigen (1841) große Popularität genießende, aus dem Württembergischen stammende Vormärzdichter Herwegh ist nach Berlin gekommen, um in einer Audienz den preußischen König an das Versprechen von dessen Vater auf dem Wiener Kongress zu erinnern, dem preußischen Volk eine Verfassung zu geben. Aber er ist auch neugierig auf die Frau, die ihn über eine Hallenser Freundin in ihr Vaterhaus eingeladen hat, um mit ihm über seine Gedichte zu diskutieren und den Mann hinter den Zeilen „Und wo es noch Tyrannen gibt,/ Die lasst uns keck erfassen;/ Wir haben lang genug geliebt/ Und wollen endlich hassen.“ näher kennenzulernen.

Schnell kommen sich die behütete Bürgerstochter und der sich als „Kommunist im Sinne Fouriers“ verstehende Dichter näher. Und während seine politische Mission an der unverbindlichen Jovialität des preußischen König abprallt, gewinnt er das Herz der fortschrittsbegeisterten Emma im Fluge – man heiratet ein knappes halbes Jahr später und lebt ab 1843 gemeinsam im Pariser Exil.

Als zweiten Brennpunkt für sein Porträt einer ungewöhnlichen Heldin hat Kurbjuweit das Jahr 1848 ausgewählt. In ganz Europa revoltieren die Bürger, Barrikaden brennen, Könige danken ab. Nur in Deutschland passiert zu wenig. Und in Paris ist aus dem feurig den Fortschritt bedichtenden Georg Herwegh ein behäbiger Ehemann geworden, der sich neuerdings mehr für die Erforschung der Natur interessiert als für den Umsturz der Verhältnisse. Allein Emma gelingt es, ihn aus der Bequemlichkeit seiner Studierstube wieder hinauszulocken in die politische Öffentlichkeit. Und sie selbst zieht als einzige Frau – ausgerüstet mit zwei Pistolen – mit, als sich die aus emigrierten deutschen Handwerkern und Arbeitern gebildete Deutsche Demokratische Legion mit Herwegh an der Spitze aufmacht, um die badische Revolution unter Friedrich Hecker zu unterstützen. Von Idealisten geführt, schlecht ausgerüstet – ein gutes Drittel der um die 700 Männer ist lediglich mit Sensen bewaffnet – und soldatisch ungeschult, war der Zug über den Rhein ins Badische allerdings von vornherein zum Scheitern verurteilt.

1894 schließlich, 19 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, lässt Dirk Kurbjuweit in Gesprächen Emmas mit dem jungen Frank Wedekind, der hier unter einem seiner vielen Pseudonyme als Benjamin Franklin auftritt, noch einmal die wichtigsten Etappen ihres Lebens Revue passieren. Im Mittelpunkt der drei Kapitel, die in der Pariser Wohnung der inzwischen verarmten, aber nach wie vor von großem Enthusiasmus für die neue Rolle von Frauen in der Welt beseelten 77-Jährigen spielen, steht dabei das Verhältnis Herweghs zur Frau seines Mitkämpfers Alexander Herzen (1812–1870) Ende der 1840er-, Anfang der 1850er-Jahre. An diesem Punkt ihres Lebens scheitert sie fast, Emmas feste Überzeugung davon, dass der Mensch – unabhängig davon, ob Mann oder Frau – seine Freiheit in jedem Lebensbereich, also auch in dem der Liebe, leben müsse. Allein sie findet einen Weg, auch wenn der streckenweise auf Äußerste demütigend ist, sich mit der Affäre abzufinden, und bleibt an Herweghs Seite nach dem frühen Tod von Natalie Herzen, die 1852 an einer Lungenentzündung stirbt, bis zu dessem Lebensende. 

Kompositorisch geschickt hat sich Dirk Kurbjuweit in seinem neuen Roman einer Frau angenommen, die heute fast vergessen ist. Über deren Leben – mit Akzenten auf den Etappen 1842 und 1848 – gelingt es ihm, ein ganzes Jahrhundert ins Bild zu fassen. Eine Zeit, in der das Bürgertum erstarkte, Machtpositionen eroberte und mit Hilfe des wisssenschaftlich-technischen Fortschritts zu Reichtum gelangte. Eine Zeit aber auch, in der eine neue „Klassenfrage“ entstand und das ständig wachsende Arbeiterheer bald mehr geklärt wissen wollte als nur die „Suppenfrage“.

Männer wie der von Emma bewunderte Georg Herwegh gaben diesem Wollen dichterischen Ausdruck – versagten aber, wenn es darum ging, ihre revolutionären Gedanken in kämpferische Aktionen umzusetzen. Heinrich Heine, Herweghs ungeliebter Konkurrent im Kampf um die Lesergunst, hat das messerscharf erkannt und selbstironisch  in seinen Texten reflektiert. Der Schöpfer des „Bundesliedes“ für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, in dem es heißt „Mann der Arbeit aufgewacht!/ Und erkenne deine Macht!/ Alle Räder stehen still,/ wenn dein starker Arm es will.“, aber hatte eine starke Frau an seiner Seite, die ihm immer wieder zu Bewusstsein brachte, dass es für Veränderungen mehr bedurfte als lediglich starke Worte.

Emma Herweghs unbändigem Freiheitsdrang haftete allerdings auch etwas Tragisches an. Denn als Frau konnte sie sich zu ihrer Zeit nur im Schatten eines Mannes verwirklichen. Aus diesem Schatten herauszutreten, war nahezu unmöglich. Kurbjuweit lässt seine Heldin das deutlich erkennen: „Wir sind Wesen, sagte sie, die nur als Zierrat auf der Welt sind, Flitter, aber keinen Teil der Weltseele ausmachen. Was bleibt mir: Reitstunde, Singstunde, Zeichenstunde, Literaturstunde. Sie stopfen uns voll mit Bildung, und dann? Lassen sie uns verdorren.“ Das Leben an der Seite von Georg Herwegh aber gab dieser so zielstrebigen wie mutigen Frau die Chance, ihrem Ideal persönlicher Freiheit nahezukommen. Um nicht zu riskieren, es wieder zu verlieren, musste sie freilich Kompromisse machen, an denen sie fast zerbrach.

Titelbild

Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
336 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783446254640

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