Sprachführer für das Jammertal
Zum „Wörterbuch des besorgten Bürgers“
Von Darius Watolla
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Autorenteam um Robert Feustel, Nancy Grochol, Thomas Prüwer und Franziska Reif liefert mit ihrem Wörterbuch des besorgten Bürgers einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit aktuellen Tendenzen des politischen Diskurses. Sie konstatieren dabei eine neue Sprachvariante, die sie als „Besorgtensprech“ bezeichnen.
Dieses Besorgtensprech steht für eine angenommene gemeinsame Sprache der neuen Rechten, die, um AFD und PEGIDA gruppiert, konsequent Grenzen der sprachlichen Konventionen mit dem Hinweis auf eine subjektiv empfundene Gefährdung des Abendlandes verletzt. Der erste große Verdienst des Wörterbuchs besteht darin, dass die Bestimmung dessen, was Besorgtensprech sein soll, nicht über einen Korpus geschieht, in dem eine Auflistung bestimmter Wörter und Redewendung untersucht wird, sondern über die Analyse der in diesen Äußerungen wirkenden Mechanismen. Konsequenterweise führen diese Überlegungen zu einer bewusst unabgeschlossenen Arbeit, deren Fortgang im Internet unter www.sprachlos-blog.de verfolgt werden kann. Die Fokussierung auf die Wirkungsweisen des Besorgtensprechs führt außerdem zu Erklärungsversuchen der Virulenz mancher Formulierungen und verhindert so eine nur auf bestimmte politische Akteure beschränkte Sicht.
Das Wörterbuch besteht aus drei Teilen – der Einleitung, dem lexikalischen Abschnitt und dem Gespräch „Ein Volk, ein Reich, kein Syrer“ zwischen Georg Seeßlen und Klaus Theweleit, welches von Marit Hoffmann moderiert wurde.
In der Einleitung wird die Bedeutung der Sprache für den politischen Diskurs thematisiert und ein erster Beweggrund für die Entstehung des Wörterbuchs mit dem Hinweis auf die Gefahr einer Deutungshoheit der Rechten und der Besetzung ganz normaler sprachlicher Ausdrucksmittel im Sinne einer populistischen Agitation benannt. Die beobachteten Phänomene werden dabei kontextualisiert, indem auf die Wiederkehr bestimmter sprachlicher Bilder und Argumente hingewiesen wird. Außerdem wird die Wesensverwandtschaft der Besorgten mit den Angry White Men herausgestellt. Als ein erstes Ziel des Werks wird die Vorgabe genannt, die mit dem Auftreten des Besorgtensprechs beobachtbaren „sprachlichen Wandlungen […] – unvollständig und selbst wertend – zu sammeln und zu kritisieren“. Eine Beschreibung der Arbeit der Autoren erfolgt hier durch die Benennung der Auswahlkriterien und der grundlegenden Systematiken des Besorgtensprechs, wie die Umdeutung eigentlich positiv besetzter Begriffe, radikale Umkehrung der Bedeutung, Pauschalisierung, Mimikry-Tabubruch oder offene Verrohrung inklusive Entzivilisierung und Entmenschlichung. Strukturell wird hier immer wieder zwischen der mehr oder weniger reinen Beschreibungsebene und ganz konkreten Beispielen aus dem politischen Diskurs gewechselt, wodurch bereits in der Einleitung ein erster Erkenntnisgewinn verbucht werden kann. Es wird nachvollziehbar, dass Argumente in aktuellen Diskursen wirkungslos verpuffen können, da ihre Bedeutung substantiell oder funktionell längst neudefiniert worden sein kann. Die Einleitung schließt mit dem Wunsch, die Lektüre des Wörterbuchs solle einerseits Argumentationshilfen anbieten, beziehungsweise Orientierung in der Einschätzung der öffentlichen Diskurse ermöglichen, und andererseits eine Art Grundimmunisierung gegen manipulative Beiträge in der politischen Diskussion bereitstellen. Schließlich wird auch der unterhaltsame Charakter der Lektüre als ein weiteres Ziel angegeben, mit dem Hinweis, dass eben das Humoristische zur treibenden Kraft in der Auseinandersetzung mit Besorgtensprech werden kann.
Der Hauptteil des Wörterbuchs, in dem in alphabetischer Reihenfolge 150 Einträge besprochen werden, erweist sich als sehr informativ, da in den Beiträgen auf bloßes Anprangern verzichtet wird und stattdessen die politischen, historischen oder kulturellen Hintergründe eine Bewertung jenseits von Sprachreglementierung sichtbar machen. Zu den Beiträgern zählen neben den Herausgebern sechs weitere Autoren, die ihre jeweiligen Wissens- und Interessenschwerpunkte mit einbringen. Die einzelnen Artikel profitieren ganz klar von dieser Vielfalt. Exemplarisch kann der Beitrag von Tobias Prüwer genannt werden, der die Kritik an der Verwendung von Begriffen wie „Negerküsse“ oder „Zigeunerschitzel“ von Versuchen der Diffamierung befreit, indem er den historischen Entstehungshintergrund exponiert und die Verfechter des Ausdrucks „Zigeunerschitzel“ mit dem eben fehlenden Traditionswert konfrontiert. Die Einträge sind größtenteils leicht verständlich und in einer Sprache verfasst, die meistens ohne spezielle Fachbegriffe auskommt. In den jeweiligen Artikeln sind zudem Verweise auf andere Beiträge des Wörterbuchs enthalten, was die Lektüre durch die Entstehung einer inneren Landkarte des Besorgtensprechs sehr plastisch wirken lässt. Allerdings können die Beiträge an jenen Stellen erklärungsbedürftig wirken, an welchen die historischen und gesellschaftlichen Kontexte verkürzt mit Schlagwörtern angesprochen werden. Wenn zum Beispiel die Einvernahme des „symbolträchtigen Montags“ durch Pegida erwähnt wird, erschließt sich das Zynische des Vorgehens nur dann, wenn einem die Montagsdemonstrationen der untergehenden DDR ein Begriff sind. Leider enden auch die Einlassungen zu bestimmten Phänomenen gerade dann, wenn entscheidende Erkenntnisse greifbar scheinen. Der Beitrag zu „passdeutsch“ kann als ein Beispiel für das jähe Ende vielversprechender Ausführungen dienen. Der Eintrag gehört zu den interessantesten Artikeln des Wörterbuchs, auch deswegen, weil hier Angela Merkel zitiert wird und der Frage nachgegangen wird, wen die Bundeskanzlerin mit „Wir“ bezeichnet und wen nicht. Der Begriff „passdeutsch“, der eine Wortneuschöpfung mit bewusst diskriminierendem Charakter ist, soll unterstreichen, dass man sich nicht durch die im Personalausweis vermerkte Staatsangehörigkeit täuschen lässt und genau weiß, wer ‚wirklich deutsch‘ ist (und vice versa: wer nicht). Jan Prüwer verweist am Ende des Beitrags auf die Absurdität der Eigenschaftenzuschreibung gemäß der Nationalität am Beispiel des Olympiapark-Amokläufers von 2016. An dieser Stelle nähert Prüwer sich stark der Erwähnung des britischen Philosophen Anthony Flew an, der den Ausdruck „Kein wahrer Schotte“ prägte und versäumt es leider, darauf einzugehen. Der als „Kein wahrer Schotte“ bezeichnete Trugschluss hätte eine Deutung grundlegender Natur angeboten, da der Diskurs um Zugehörigkeit eigentlich nur eine der Fehlannahmen illustriert, die das Besorgtensprech so bedrohlich wirken lassen. Für humoristische oder bildungsaffine Momente sorgen im Hauptteil vor allem die Hinweise auf die Hintergründe bestimmter Konzepte, Phänomene oder Traditionen, denn durch diese Einlassungen wird das Widersprüchliche oder gar das Schizophrene der neurechten Sprache sichtbar.
Eine beunruhigende Erkenntnis schleicht sich dann ein, wenn man während der Lektüre feststellen muss, dass viele der besprochenen Wörter und Phrasen einem schon begegnet sind und man sich fragt, wo die Quelle dieses Sprachkontakts liegt. Man kann dem Wörterbuch des besorgten Bürgers jedenfalls nicht nachsagen, die analysierte Sprache würde nur an den äußersten Rädern der Gesellschaft vorkommen. Die Auseinandersetzung mit ihr wirkt daher an keiner Stelle übertrieben.
Das am Ende des Buchs gekürzte Gespräch zwischen Georg Seeßlen und Klaus Theweleit weist einen anderen Schwerpunkt auf. In dieser Diskussion geht es nicht mehr vordergründig um die Sprache der Besorgten, sondern um die Art, wie politische Diskurse aktuell geführt werden. Die Entscheidung, dieses Gespräch, das in voller Länge in der Zeitschrift „Konkret“ im Jahre 2016 erschienen war, in das Wörterbuch aufzunehmen, erweist sich als ein Glückfall für die Leser, da hier versucht wird, Antworten auf Fragen zu finden, die schon während der vorangegangenen Lektüre aufkamen. Zum einem ist es die Frage nach den Konsequenzen des Besorgtensprechs für das Zusammenleben in Deutschland. Zum anderen sind es Fragen zum Umgang mit dem Sprachphänomen an sich, wie auch mit den Akteuren, die zu einem solchen Sprachgebrauch greifen. Das Gespräch schafft somit die nötige Distanz zu den einzelnen besprochenen Wörtern, die erforderlich ist, um zu einer persönlichen Einschätzung zu gelangen. Noch stärker als im Wörterbuchteil selbst wird hier deutlich, dass Sprachreglementierung keine Lösung sein kann, da die verwendete Sprache eigentlich nur ein Symptom der zugrunde liegenden Probleme ist.
Insgesamt betrachtet liefert das Wörterbuch des besorgten Bürgers einen wichtigen Beitrag zu der Auseinandersetzung mit den Culture Wars, wie sie für die USA u.a. von James Davison Hummer und Patrick Buchanan beschrieben wurden. Versteht man das Wörterbuch als work in progress, mithin als den Beginn eines längeren Prozesses der Reflexion, der Metakritik am politischen Diskurs, kann das Fazit eigentlich nur eine klare Leseempfehlung sein, selbst dann, wenn die ausgewählten Beispiele nur eine Momentaufnahme darstellen mögen. Die Lektüre kann dazu führen, dass man zukünftige Sprachphänomene zuverlässig analysieren und in ihrer Wirkung einschätzen kann – noch bevor sie Eingang in eine eventuelle Neuauflage des Wörterbuchs finden.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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