Von der Schönheit und der Angst

In der Graphic Novel „Die Leichtigkeit“ verarbeitet die Karikaturistin Catherine Meurisse den Anschlag auf ihre Kollegen und Freunde von „Charlie Hebdo“

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Momente im Leben eines Menschen, die so belastend, so unmittelbar und katastrophal sind, dass der, dem sie widerfahren, sie nur schwer wieder loswird. Zweifellos ist das Miterleben eines Terroranschlags ein solches traumatisches Ereignis. Mit der wachsenden Zahl von Anschlägen mit terroristischem Hintergrund in den vergangenen Jahren steigt auch die Zahl derer, die sie er- und überlebt haben. Groß war und ist direkt danach die (nicht nur mediale) Anteilnahme mit den Angehörigen der Toten, mit jenen, die verwundet wurden oder der Situation gerade noch entkommen konnten. Weniger Aufmerksamkeit wird zumeist jenen zuteil, die durch glückliche Umstände erst gar nicht zu unmittelbar Betroffenen eines Anschlags geworden waren. Doch auch diese meist namenlosen Opfer leiden mitunter schwer an den psychischen Folgen der Gewalttaten eines solchen Tages.

Einer dieser Tage war ein trüber Mittwoch im Januar 2015. Eine dieser Namenlosen war die Karikaturistin Catherine Meurisse.

Zwei maskierte Männer hatten das Redaktionsgebäude der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris betreten und elf Menschen – und damit einen Großteil der Redaktion – mit Sturmgewehren ermordet, bevor sie auf ihrer Flucht einen weiteren Mann erschossen. Nach tagelanger Verfolgungsjagd wurden sie schließlich selbst von Sicherheitskräften getötet. Den Anschlag verstanden die beiden radikalen Islamisten u.a. als eine Reaktion auf die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed – durch eine Zeitschrift, deren Kritik auch sonst vor kaum einem Thema Halt macht. Es sollte zugleich der Auftakt für eine ganze Reihe weiterer islamistischer Attentate im europäischen Raum bis in die Gegenwart sein.

Catherine Meurisse, die seit 2005 Teil der Redaktion von Charlie Hebdo war, kam an diesem trüben Morgen ausnahmsweise zu spät zur Arbeit. Sie hatte wegen Liebeskummer die halbe Nacht keine Ruhe finden können und verschlafen. Sie kam nicht nur zu spät zur morgendlichen Redaktionskonferenz, sondern auch zum Attentat der beiden Islamisten. Kollegen warnten sie kurz vor dem Betreten des Gebäudes: Es sei eine Geiselnahme im Gange.

Damit beginnt die autobiographische Graphic Novel Die Leichtigkeit (La Légèreté, 2016), in der Meurisse ihren langen Weg durch den Schock, die Trauer, die Vorwürfe – kurz: das Trauma – zurück ins Leben nachzeichnet. Der Band, der nun auch auf Deutsch vorliegt, zeigt auf eindrückliche und berührende Weise, was in jenen vorgeht, die unverletzt überleben. Und wie der Terrorismus auch die trifft und versehrt, die er nicht tötet oder verwundet.

Die Illustratorin verarbeitet dabei einen langwierigen Prozess aus kleinen und großen Schritten, von der Suche nach einem Cover für das „Heft der Überlebenden“ wenige Tage nach dem Anschlag bis zur Suche nach Sinn und Halt für das eigene Leben in den Monaten darauf. Immer wieder gibt es bei der Vermittlung des Unvorstellbaren Situationen, in denen sich die richtigen Worte nicht finden lassen. „Der Terrorismus ist der Erzfeind der Sprache“, bemerkt ihr alter ego treffend. Doch es ist die große Stärke des Comics als Medium, dass Meurisse bei der Schilderung des Unsagbaren eben nicht auf Sprache allein angewiesen ist.

An vielen Stellen gelingt es ihr, illustrativ zu zeigen, was Sprache nur schwer formulieren kann. Das Aus-der-Welt-Fallen im Schock. Das In-Watte-gepackt-sein gegenüber den Eindrücken der Wirklichkeit. Die Einsamkeit der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Einsamkeit (und Isolation) durch Polizeischutz. Die Albträume. Die Ängste. In mal traumähnlich-abstrakten, mal detailreich-realistischen aber meist schlichten Illustrationen nähert sich Meurisse dem Begreifen dessen, was ihr widerfahren ist. Denn nur so ist ein Ausweg aus diesem Zustand der Dissoziation möglich.

Halt findet Meurisse schließlich in den Künsten. Zahlreich sind die – mal expliziten, mal impliziten – Auseinandersetzungen mit Proust und Stendhal, Gontscharow und Baudelaire. In Rom, wo sie im Atelier Ingres’ in der Villa Medici arbeitet, entdeckt sie die Kunst der Antike und der Renaissance neu, Caravaggio, aber auch Streetart. Sie findet mit Chopin, Liszt, Bach, Ravel einen Teil ihres alten Lebens wieder. Davor schon sieht sie sich im Wasser treibend über Turner und Rothko sinnieren – zugleich ein zeichnerisches Zitat der Ophelia von John Everett Millais.

So entwickelt sich der eindrucksvolle Band nach und nach auch zu einer multimedialen Meditation über die eigene (westliche) Kultur. Dabei gelingt es Meurisse trotz des bedrückenden eigentlichen Themas, ihre Geschichte nie im Düsteren, Depressiven versinken zu lassen. Auch in den dunklen Momenten leuchten Ironie und Witz zwischen den Zeilen und Bildern.

Und so setzt Die Leichtigkeit – zudem mit einem rührenden Vorwort des beim Anschlag schwer verletzten Kollegen Philippe Lançon – dem Terror und der Angst den Humor und vor allem die Schönheit entgegen. Still und einfühlsam. Ein Werk, das tröstet.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Catherine Meurisse: Die Leichtigkeit.
Graphic Novel.
Carlsen Verlag, Hamburg 2017.
133 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783551734242

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