Der Glaube an Gerechtigkeit und Humanismus

Über eine Neuausgabe von Jakob Wassermanns „Faber oder Die verlorenen Jahre“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal ist es recht einfach, ein Buch in eine Kategorie (oder besser: in eine Schublade) zu stecken. So könnte man Jakob Wassermanns Roman Faber oder Die verlorenen Jahre in die Kategorien Heimkehrerroman, Ehe- und  Entwicklungsroman, Sittengemälde der Weimarer Republik, Auseinandersetzung mit dem Feminismus und der Reformpädagogik einordnen. Aber dies würde den Kern des Romans nur zum Teil treffend beschreiben. Zwar deckt Faber alle diese Kategorien ab, aber ihn nur in eine einzuordnen, würde der Tiefe und Aussage des Romans nicht gerecht werden.

Der Architekt Faber kehrt nach sechs Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurück. Aber das einstige Deutschland, für das er gekämpft hatte, existiert nicht mehr. Nicht nur Deutschland hat sich verändert, auch die Gesellschaft hat eine tiefgreifende Entwicklung durchlebt – so findet Faber seine junge Ehefrau Martina stark verändert vor: In seiner sechsjährigen Abwesenheit hat sich Martina der karikativen Organisation der Fürstin angeschlossen und geht in ihrer neuen Arbeit vollständig auf. Faber kommt sich als Fremder und Störenfried vor, da er keinen Anteil an der neuen Situation und der Hilfsorganisation nehmen kann. Er kann auch nicht mehr das Geld für den Lebensunterhalt bestreiten, da niemand Arbeit für einen Architekten hat. Auch die Betreuung des gemeinsamen Sohnes muss Faber an das Haus- und Kindermädchen Fides abgeben, weil ihm der Sohn fremd ist. In dieser trostlosen Situation schließt sich Faber einer sektiererische Splittergruppierung der Marxisten an, die gegen die Hilfsorganisation der Fürstin ist. Dieses Feindbild kommt Faber stark entgegen, der in der Fürstin den Grund für die in die Ehe eingezogene Gefühlskälte und Entfremdung sieht. Letztendlich  fordert Faber nur die verlorenen sechs Jahre seines Lebens zurück – ein Wunsch, den ihn niemand erfüllen kann.

Wassermanns Faber erschien erstmals 1924 und schildert mit großem Einfühlungsvermögen das Schicksal der Kriegsheimkehrer, deren Frauen sich in ihrer Abwesenheit eine neue Existenz aufbauen mussten, und die nun keinen Platz in der neuen gesellschaftlichen Ordnung haben. Ohne Frage steht Fabers Schicksal stellvertretend für eben jene Heimkehrer, die so wie Faber mit Existenzängsten, Depressionen und dem Gefühl der Wertlosigkeit zu kämpfen hatten. Es ist jenes Trauma, das Wassermann hier thematisiert. Der Roman ist aber noch weit mehr: Er wirft konsequent die Frage auf, ob man sich – egal ob Mann oder Frau – gegen die humanitäre Hilfe stellen sollte. Denn auch dies schildert Wassermann: Die Eifersucht Fabers auf die Fürstin, die armen Kindern helfen will und mit ihrer Idee von Liebe und Menschlichkeit die Menschen in ihren Bann zieht. Faber stellt sich dem entgegen und will seine Frau nicht mit diesem Ideal teilen, in dem Martina aufgeht. Aber es ist vor allem dieses höhere Ideal, welches die Gesellschaft braucht, denn sie ist über die Jahre verroht: Alkoholiker, Syphilitiker und dunkle Gestalten, die ihr Vermögen auf Kosten anderer machen, herrschen in der Nachkriegesgesellschaft vor. In letzter Konsequenz ist es aber gerade diese höhere uneigennützige Liebe, die Faber vom Joch der verlorenen Jahre befreit, indem Martina ihn in Liebe wieder für eine neue Liebe öffnet, sodass auch Faber glücklich sein kann. Es ist vor allen diese Frage, die den Roman auch heute noch so aktuell macht: Können wir uns noch vor dem Elend in der Welt und Gesellschaft verschließen, wenn wir sehen, dass andere Menschen Hilfe brauchen? Können wir wirklich uneigennützig handeln? Diese Intensität der Frage erreicht Wassermann damit, dass er die Figuren direkt handeln lässt. Der Erzähler nimmt sich zurück zugunsten der direkten Dialoge, Gedanken und Gefühle der Figuren, sodass sich der Leser für eine Position entscheiden muss, denn ein Wegesehen von den Problemen gibt es nicht.

Die Neuausgabe im Manesse Verlag wird durch ein Nachwort von Insa Wilke abgerundet, die sich bereits mehrfach mit der Frage nach Menschlichkeit in Faber beschäftigt hat. Die neue Ausgabe von Faber oder Die verlorenen Jahre ist vorbildlich gelungen und sollte gerade wegen der aktuellen Frage nach humanitärer Hilfe in unserer heutigen Zeit wieder gelesen und verstanden werden.

Titelbild

Jakob Wassermann: Faber oder Die verlorenen Jahre. Roman.
Manesse Verlag, München 2016.
416 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783717524168

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