Geisteswissenschaftliche Blütenlese

Der interdisziplinäre Konferenzband „Floriographie“ untersucht Blumenkonzeptionen und deren mediale Repräsentationen

Von Lydia DolivaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lydia Doliva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ganz unverblümt hat sich der Sammelband Floriographie. Die Sprachen der Blumen zum Ziel gesetzt, Pionierarbeit auf dem Forschungsfeld der kulturwissenschaftlichen Blumenforschung zu leisten und dieses wissenschaftlich zu erschließen. Die Beiträge betrachten dabei den floralen Gegenstand aus ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin heraus. Aufgrund der interdisziplinären Konzeption des Bandes bietet das Vorhaben einen vielfältigen Erkenntnisgewinn und neue Anknüpfungspunkte. Untersucht wird in medien- und kulturwissenschaftlicher Perspektive die Konzeption der Wissensfigur Blume sowie ihre Funktion als Subjekt oder Objekt von Kommunikation. Blumen nähmen dabei, so die Herausgebenden, „als hybride Natur-Kultur-Objekte eine Vermittlungsposition“ ein, da sie selbst „schon zwischen den Disziplinen und Wissensbereichen angesiedelt“ seien.

Auf den 415 Seiten versammeln sich neben der Einleitung der Herausgebenden siebzehn breitgefächerte Beiträge, die dem Thema entsprechend in den Sektionen „Dissemination“, „Animation“ und „Zirkulation“ angeordnet sind. Zahlreiche Abbildungen in den einzelnen Aufsätzen lassen die Floriographie – wenn auch nicht mit allen Sinnen – so doch visuell erfahrbar werden und erleichtern den Zugang zu möglicherweise fremden Wissensgebieten.  Im Folgenden werden die drei Sektionen anhand von jeweils zwei Beiträgen ausführlicher vorgestellt.

(1) Dissemination: In dieser Sektion wird dem dekonstruktivistischen Titel entsprechend nach den Grenzen der Blumensprachen gefragt. Vor dem Hintergrund von Jacques Derridas Aufsatz Die weiße Mythologie untersuchen Bettine Menke und Gerhard Neumann florale Metaphorik und ihre Verweiskraft. Menke studiert „Wort-Blüten“ und kommt zu dem Schluss: „Blüten wie Wörter sind nicht sie selbst […], sondern zitierbar, iterierbar sind sie potentiell je schon andere, anfänglich schon in/von sich entstellt“. Gerhard Neumann betrachtet anhand von Rainer Maria Rilkes Persisches Heliotrop, Heinrich von Kleists Penthesilea und Adalbert Stifters Narrenburg „die Inter-Relation von Einzelnem und Ganzem, von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, von Kosmos und Individuum, von Epiphanie und Absturz“. Dabei zeige die Denkfigur des Heliotrops die „Stellung des Menschen im Kosmos“, wohingegen die Herbstzeitlose die „Einbettung in die Geschichte und ihre Zeit“ verdeutliche. Alexandra Heimes arbeitet in ihrem Beitrag zu Botenstoffenheraus, wie in Goethes Metamorphosenlehre anhand der Betrachtung von abnormer Schönheit das „Übergängige und beständig Schwankende“ nach dem „Wesen des Lebendigen“ forscht. Abgeschlossen wird der erste Teil mit einem Wiederabdruck von Elaine Scarrys Imagining Flowers. Perceptual Mimesis (Particularly Delphinium).

Gerhard F. Strasser eröffnet mit seinem Beitrag über die orientalische Blumensprache Selam die Sektion der Dissemination. Er arbeitet anhand der im Titel genannten französischen Quelle aus dem 17. Jahrhundert detailliert das dort präsentierte Wissen über den Austausch von orientalischen Selam-Botschaften und ihren möglichen kommunikativen Funktionen heraus. Dazu untersucht Strasser zunächst die Überlieferungsgeschichte der zugrunde liegenden Manuskripte und die damit auftretende Frage der Verfasserschaft. So sieht er Verbindungen zwischen dem für die Lettres muettes verwendeten Pseudonym Duvignau de Lissandre und dem Autor Édouard de La Croix. Vor diesem Hintergrund entfaltet Strasser anhand des Manuskripts die Struktur und Funktionsweise der Selam-Botschaftenund weist auch auf das dem Konzept innewohnende Spannungspotential hin: So müssen die Codes einerseits allgemein bekannt sein, um verstanden zu werden, andererseits eignet sich ein allgemein bekannter Code nicht für die Übermittlung von geheimen Botschaften. Für Strasser bietet diese Blumensprache sowohl einen Zeitvertreib in Form eines sprachlichen Gesellschaftsspieles, als auch die Möglichkeit zu einer Form von geheimer Kommunikation. 

Isabel Kranz untersucht die literarische Präsentation der Blumensprache in dem Bestsellerroman The language of Flowers (2011) von Vanessa Diffenbaugh. Dabei arbeitet sie überzeugend heraus, dass Diffenbaugh im Medium des Romans mit einer nahezu medienlosen Diegese ein ahistorisches Jetzt erschafft, in welcher die Kommunikation der Protagonisten eng mit der (viktorianischen) Blumensprache verknüpft wird. Kranz analysiert treffend das im Roman vertretene Sprach- und Kommunikationsverständnis: So werde nicht reflektiert, „was die am Beispiel der Blumensprache zutage tretende Verunsicherung über die Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem vielleicht grundlegend für jede Form von Sprache und für literarische Sprache im Besonderen bedeuten könnte“. Vor dem Hintergrund der historischen Quellen zeigt Kranz vielmehr, dass die dortigen Vorannahmen, der Blumencode sei nicht wandelbar und verspreche somit eine Sprache ohne Missverständnisse oder Doppelbedeutungen, durch die Romanprotagonistinnen übernommen werden. Somit weist Kranz in ihrer Studie „die Persistenz und den Erfolg des sentimentalen Paradigmas“ nach, da der Roman als „klassischer Fall einer invented tradition“ den bereits im 19. Jahrhundert nostalgischen Blumencode als ebenfalls nostalgisches Element mit dem impliziten Kommunikationsverständnis tradiert.

(2) Animation: Unter der Überschrift Animation vereint der Tagungsband Beiträge aus der Kommunikationstheorie, Choreographie und Kunstwissenschaft. Animation wird dabei dreifach als „Beseelung, Belebung und Bewegung“ verstanden.  Chonja Lee betrachtet im Werk des tschechischen Künstlers František Kupka die visuellen Repräsentationen pflanzlicher Beseelung, welche buddhistische Implikationen mit Elementen der damaligen Populärkultur verbinden. Gabriele Brandstetter untersucht in ihrem Beitrag zu ephemeren Plastiken das avantgardistische Element des Ephemeren in Fullers Tänzen und zeigt dabei eine bis in die Gegenwart reichende Verbindung bis hin zu zeitgenössischen KünstlerInnen wie Mette Ingvartsen. Eike Wittrock beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Tanz und Pflanzenzeitrafferfilmen der Moderne und weist nach, wie die gefilmten Wachstumsbewegungen der Pflanzen im Tanz zu neuen Bewegungsmodellen und Ausdruckskonzepten geführt haben.

Stefan Rieger betrachtet aus historischer Perspektive die Untersuchung der Pflanzenkommunikation und die damit einhergehenden Fragen: Kommunizieren Pflanzen? Und wenn ja, welchen Status haben Pflanzen als Subjekt von Kommunikation? Seine Untersuchung entwickelt er diachron anhand der einschlägigsten Experimente auf dem Gebiet der Pflanzenkommunikation (bspw. Bose, Ritter und Backster). Rieger verweist auf die immer noch aktuelle Relevanz dieser Frage, was sich an der Empörung großer Teile der Botanik gegenüber dem neu entstehenden Zweig der Pflanzenneurobiologie zeige. In den experimentellen Anordnungen zur Erforschung der Pflanzenkommunikation bleibe offen, so Rieger, wie aus den erhobenen Signalen Informationen und eine tatsächliche Kommunikation werde. Dies geschehe häufig durch Sinnunterstellung. Er zeigt dabei pointiert, dass der Faktor Mensch auch in rein technischen Versuchsanordnungen immer wieder aufzufinden ist: So liege nach Rieger allen Versuchsaufbauten eine „Semantik der Kommunikation“ und eine „Angleichung der Pflanzenkommunikation an menschliche Verhaltens- und Verständigungsweisen“ zugrunde.

Alexander Schwan untersucht in seinem englischsprachigen Aufsatz chronologisch an ausgewählten Beispielen den Zusammenhang von Blumenbewegung und vergänglicher Flüchtigkeit: „Plant movement, and specifically the movement of flowers, has become a regular allegory for the fleeting an impermanent nature of life, especially the life of human beings“. Das Innovative sei laut Schwan im Tanz um 1900, dass nicht nur die Verkörperlichung von Blumen mit dem tanzenden Körper gezeigt werde, sondern auch das Verwelken oder Sterben der Blume, was z. B. im Werk Loïe Fullers oder Anna Pavlovas zum Vorschein komme. Im Ausdruckstanz werde der Körper zum Medium für die Bewegung der Natur, mit der er sowieso untrennbar verbunden ist: „The central idea of Ausdruckstanz, that flowers and humans participate in the same overarching principle of movement, and hence that florality and choreography are always already related to one another, remains singular within the history of dance“. Im amerikanischen postmodernen Tanz zeigt Schwan weitere künstlerische Verarbeitungsformen, welche in der Verbindung von Performance, Kunstinstallationen oder visuellen Darstellungen inszeniert werden.

(3) Zirkulation: In dieser Sektion wird gefragt, unter welchen Bedingungen eine Verbreitung von Wissen über Blumen stattfinden kann. Nils Güttler plädiert in seinem Beitrag zu Pflanzenökologie dafür, dass die in der Botanikgeschichte in Vergessenheit geratenen Akteure des praktischen botanischen Wissens wie Gärtner oder Floristen in den Blick genommen und als „wissensrelevante Akteure“ näher untersucht werden. In Alison Symes Beitrag wird anhand von Produktion, Verbreitung und Rezeption der Literatur über vermeintlich menschenfressende Pflanzen wie dem Upas-Baum (Madagaskar) oder der Teufelsschlinge (Nicaragua) ein Zusammenhang von pflanzlichem Vampirismus und dem Medienkonsum dieser Literatur untersucht. Melanie Eva Boehi behandelt in ihrem Aufsatz die Inszenierung und Verbreitung politischer Darstellungen ‚durch die Blume‘, indem sie die Verwendung der Blumensymbolik vor bzw. nach Apartheid untersucht und so z.B. die durch Pflanzenausstellungen transportierten Inszenierungen der Regierung Südafrikas vorstellt. In seinem Aufsatz beleuchtet Peter McNeil in diachroner Perspektive beginnend bei den englischen Macaroni bis zu Oscar Wilde die (queeren) Implikationen, welche das Anstecken einer Blume oder eines Blumengebindes im männlichen Knopfloch mit sich bringen.

Dieter Volkmann beschreibt in „Die Sinne der Pflanzen“ aus biologischer Sicht kompakt und verständlich die komplexen Wahrnehmungssysteme der Landpflanzen und zeigt am Beispiel der Orientierung im Raum, dem Gravitropismus, wie wichtig diese als Überlebens- und Anpassungsstrategien sind. Die Pflanzenkommunikation sei bisher kaum verstanden, jedoch wurden auch bei Pflanzen sogenannte Transmittermoleküle gefunden. So „wurden im letzten Jahrzehnt im Bereich Kommunikation der Landpflanzen Moleküle, Strukturen und Prozesse nachgewiesen, die analog zu solchen im Tierreich sind“. Es sei ferner möglich, dass die Wurzeln als „dezentrales System für Koordination und Integration von internen und externen Signalen fungieren“. 

David Sittler untersucht die medienpraktische Relevanz einer botanischen Metaphorik für die Dynamik und das Entstehen von revolutionären Bewegungen. Für ihn sei es keine zufällige Beobachtung, „dass gerade Blumen für diese Revolutionen namensgebend werden konnten“. Ausgehend von diesem Befund fragt Sittler nach den Funktionen der Blumen innerhalb des Verlaufs von Protesten oder Revolutionen. Dabei erforscht er auch die Durchsetzungsmechanismen sowie die „symbolische Kraft und emotionale Wirkung von Blumen als medialen Instrumenten“. Sittler zeichnet dafür anhand von exemplarischen historischen Fallbeispielen den medialen Einsatz von Blumen wie der Rose, Nelke oder dem Jasmin in revolutionären Kontexten seit der französischen Revolution nach. Auf Basis dieser Befunde regt er den Entwurf einer Politischen Botanik als Forschungskonzept und -feld an und legt überzeugend dar, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Blume als Medienoberfläche sowie Politik und Herrschaft besteht. 

Trotz der unterschiedlichen wissenschaftlichen Verortung der Beitragenden setzt sich der Konferenzband schlüssig und überzeugend zu einer ersten Annäherung an das breite Forschungsfeld der Floriographie zusammen. Der Blick auf die Pflanzenwelt bildet dabei ein wichtiges Gegenstück zu der ausdifferenzierten Tierforschung in den Kulturwissenschaften. Gleichzeitig ergibt sich aus dieser Konzeption ein heterogenes Bild, sodass sich vor diesem Hintergrund die Frage stellt, ob mit dem Titel Floriographie nicht bereits eine implizite Eingrenzung auf die Schrift- und Textmedien stattfindet, wohingegen eben diese Medien nur in einem Teil der Beiträge verhandelt werden und stattdessen das Verhältnis von Pflanze und Kommunikation den Schwerpunkt des Sammelbandes darstellt.

Diskutabel ist teilweise die Zuordnung der Beiträge in die jeweiligen Sektionen, so würde sich der Beitrag von Dieter Volkmann beispielsweise auch gut im Bereich der Animation einfügen und wäre eine hilfreiche Grundlage, um die Beiträge zu Bewegung und Tropismus oder der Pflanzenkommunikation aus biologischer Sicht zu ergänzen. Wünschenswert wäre eine Erweiterung auf zusätzliche Forschungsrichtungen, wie zum Beispiel der Musik oder Architektur. In der Architektur bieten sich Arabesken oder florale Ornamente, welche auch in einigen Beiträgen erwähnt werden, zu Untersuchungen an. Der Bereich der Musik ist insofern wichtig, da die Figur der Blume aus der visuellen Repräsentation herausgelöst und in einem anderen Medium als Klang verarbeitet wird. Hier wären sowohl die zu Kunstliedern vertonten Gedichte als auch zeitgenössische Musikprojekte, welche durch Pflanzen Musik produzieren (lassen), ergiebige Untersuchungsgegenstände. 

Insofern hält der Sammelband, was er verspricht und bietet in den siebzehn interdisziplinären Detailstudien einen gelungenen und vielfältigen Überblick über das Forschungsfeld der Floriographie. Gleichzeitig verweist er auf die vielfältigen, interdisziplinären Forschungspotentiale, die in diesem Gebiet zu Tage treten, sodass die Lektüre zu weiteren Studien und Forschungen anregt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Isabel Kranz / Alexander Schwan / Eike Wittrock (Hg.): Floriographie. Die Sprachen der Blumen.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016.
415 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783770559947

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