Nur der Mann seiner Frau

Hans Eisenträger rettet einen braven Ehemann aus einer Existenz der Belanglosigkeit

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welche unerhörte Begebenheit ereignet sich in Hans Eisenträgers Novelle Der Mann seiner Frau von 1894? Im wilhelminischen Berlin, vermutlich in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts, lebt der 30jährige Ernst Steineck, studierter Jurist und mit einer vermögenden jungen Frau verheiratet, in gesunder Selbstzufriedenheit. Vor drei Jahren ging er in Rente, um als Privatier ein unbeschwertes Dasein zu führen – er konnte es sich leisten. Dem Assessor a.D. mögen Lebensinhalte fehlen, unerträglich ist ihm die Leichtigkeit seines Seins jedoch keineswegs. Als Müßiggänger genießt er den Tag, er liebt seine Klara aufrichtig und alles scheint bestens. Wenn da nicht die Außenwelt wäre, in der seine unbekümmerte Existenz für Unmut sorgt. Ausgerechnet seine Frau äußert ein gewisses Unbehagen. Dabei war sie es, die stets betonte, wie glücklich sie sei, dass ihr Mann nicht in der Tretmühle des Arbeitsalltags stecke. Was auf den ersten Seiten konzentriert vorgeführt wird, ist die Beschreibung eines großbürgerlichen Milieus mit Salons, befrackten Herren und Zigarrenqualm – und einer Krise, in die der Protagonist plötzlich gerät: Ihm werden ein persönlicher Mangel und eine subtile Geringschätzung von seinesgleichen bewusst. Weil er nicht wie alle anderen beruflich avancieren will und keinen Ehrgeiz an den Tag legt, gilt er als unproduktives Gesellschaftsmitglied, eben nur als Mann seiner Frau. In dieser zugespitzten Situation hat das Unerhörte seinen Platz, denn Steineck, dieser männliche Vertreter des patriarchalischen kaisertreuen Bürgertums, bringt die eigene Ehefrau dazu, sein Inneres zu erforschen und sein Leben zu ändern.

Für den Text lassen sich Schlüsselbegriffe wie „Freiheit“ und „Selbsterkenntnis“, zum Teil auch „Emanzipation“ in Anschlag bringen. Bevor Steineck Anstrengungen unternimmt, sein behagliches Dasein, ja wohliges Nichtstun für einen aufreibenden Arbeitsalltag aufzugeben, pocht er auf seine persönliche Freiheit. Muss er sich dem Gerede und Urteil der sogenannten guten Gesellschaft beugen? Ist er nicht sein eigener Herr? „Diese vielfach so oberflächlichen Naturen“, so sein Denken, „die ihre innere Hohlheit geschickt unter den gesellschaftlichen Formen zu verbergen verstanden, sollte er sie als Richter über sich und sein Thun anerkennen?“ Was Steineck als Zumutung empfindet, ist der Anpassungsdruck der preußischen Gesinnungs- und Pflichtkultur. Dem beugt er sich und tauscht seine scheinbare Unabhängigkeit von den Vorurteilen der Menge gegen die Selbsterkenntnis der eigenen Belanglosigkeit ein. Um anschließend loszulegen. Er wählt das journalistische Metier für den beruflichen Einsatz, findet Anstellung im Feuilleton des Merkur und wird durch anonym verfasste, authentische Reportagen aus den Arbeiterquartieren im Norden und Osten Berlins, also jenseits der Villen im Tiergarten, wo er zu Hause ist, zum Geheimtipp des Feuilletons. Seine Artikel legen den Finger in die Wunde der Hauptstadt mit ihren sozialen Ungerechtigkeiten und einer gärenden Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung. Am Ende kann er beweisen, dass er sein eigener Herr und sogar ein ganzer Kerl ist.

Die Veränderung Steinecks vollzieht sich hinter dem Rücken der gutbürgerlichen Gesellschaft, aus der er stammt. Im Gegensatz zu seiner eindimensionalen Frau ist er wandlungsfähig, wenngleich in eingeschränktem Maße. Diese Einschränkung sorgt dafür, dass die Novelle glaubwürdig bleibt. Würde Steineck zu einer altruistischen, den Klassenkampf der Proletarier sogar unterstützenden Figur, wäre es um die Erzählung geschehen. Entsprechend zügelt der Text auch Karlas Charakter, die nicht mitzureden hat, wo es lang gehen soll, und das auch gar nicht will. Der paternalistische Kuss Steinecks auf die Stirn seiner „guten Karla“, diesem „lieben Herz“, „lieben Kind“ und „kleinen Frauchen“, ganz am Ende der Handlung ist somit bezeichnend für die Intention der Novelle wie für den Realitätssinn des Autors: Mit einer unerhörten Begebenheit, deren Wirklichkeitsgehalt gut erkennbar ist, kann er bestens unterhalten. Das Unerhörte und Außergewöhnliche ist folglich ambivalent: Ein Mann aus guten Verhältnissen könnte sich leicht erwartungskonform verhalten, den Pflichten nachkommen und Ansehen erwerben. Er will es aber nicht, es bedarf seiner Ehefrau, damit er die Herausforderungen der Zeit annimmt. So weit, so gut. Karla indessen personifiziert mitnichten ein emanzipiertes weibliches Selbstverständnis, ihr Aktivsein resultiert einzig aus einer konventionellen Hörigkeit und der Aussicht auf Statuserhöhung. Sie will, dass ihr Mann sich selbst und ihr alle Ehre macht. Steineck richtet seine Aufmerksamkeit auf das antagonistische Gegenüber seiner eigenen Klasse, bleibt aber kritischer Beobachter und auf Distanz. Ihn versichert die Krise letztlich seiner Frau, die als Accessoire des Mannes die geschlechterpolitischen Spielregeln nicht in Frage stellt. Neben dem Gespür für fiktionale Wahrscheinlichkeiten hat der Autor poetisches Geschick. Seine Figuren sind gut gezeichnet und die Krise des Protagonisten koinzidiert nicht von ungefähr mit dem nahenden Frühling, dessen Kapriolen bekanntlich für manche Unruhe sorgen.

Die Geschichte liest sich flüssig und porträtiert nicht nur die Lebenskultur und Haltung des Berliner Großbürgertums um 1900, sondern nimmt mit wenigen Schwenks auch die Lebensbedingungen in den Arbeitervierteln in den Blick. Die Herausgeberin, Nikola Roßbach erläutert im Nachwort pointiert, wie Eisenträger das ansatzweise kitschige Kammerspiel einer Ehe in eine kleine aber feine Milieu- und Sozialstudie transponiert. Sie flankiert den Text mit autorenbiografischen Details, bettet ihn in den gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Kontext ein und rekapituliert das Geschlechterrollenverständnis und den geschlechterpolitischen Aufbruch der Zeit. Das Bändchen füllt nicht nur eine kurze freie Stunde, es eignet sich auch ganz hervorragend als Fernrohr in die Mentalität der Bourgeoisie als auch die der Arbeiter im historischen Berlin.

Titelbild

Hans Eisenträger: Der Mann seiner Frau.
Mit einem Nachwort und herausgegeben von Nikola Roßbach.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2018.
65 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783865256416

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