Kafka in der Wüste

In ,,Waldes Dunkel“ verarbeitet Nicole Krauss die Trennung von ihrem Mann Jonathan Safran Foer und begibt sich dabei auf die Suche nach Franz Kafka sowie ihrer jüdischen Identität

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicole Krauss war lange mit dem ehemaligen amerikanischen Literatur-Wunderkind Jonathan Safran Foer verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebte lange Zeit, so verkaufte es sich jedenfalls einer interessierten Öffentlichkeit, als modernes, urbanes, fortschrittliches, vor allem aber unglaublich erfolgreiches Schriftsteller-Ehepaar. Eine jüngere Ausgabe der natürlich zum Freundeskreis zählenden Verbindung Paul Auster/Siri Hustvedt. Beide schrieben Romane wie aus der Creative-Writing-Schule, leicht neurotische junge New Yorker, die inmitten einer immer verrückter werdenden Welt um sie herum nach dem Sinn des Lebens suchen. Das Judentum, dem sie beide angehören, und vor allem die jüdische Geschichte und Gegenwart, spielen in ihren Romanen eine bedeutende Rolle, anders etwa als bei Auster, bei dem sein Glauben stets nur im Hintergrund auftritt.

Nun trennte sich das Paar jedoch vor einigen Jahren, und das ist deswegen von so großer Bedeutung, weil Safran Foer einen seltsamen, dicken Roman über diese Trennung schrieb, Hier bin ich, der ein Meisterwerk hätte werden können, wenn er sich nur auf die sterbende Liebesbeziehung der – vorgeblich fiktiven, doch deutliche Spuren des Paars Safran Foer/Krauss tragenden – Protagonisten beschränkt hätte. Leider kam ihm ein absurder Plot um einen neuen israelischen Krieg in den Weg, den der Ich-Erzähler – also Safran Foers Alter Ego – nutzt, um mit sich selbst (und seinem Glauben, der ihm abhandengekommen schien) ins Reine zu geraten. Nun folgt Krauss‘ Version der Geschichte, und, so viel vorweg, die Trennung spielt zwar eine ausschlaggebende, jedoch keine allzu zentrale Rolle, zumindest nicht auf der Oberfläche.

Anders als ihr Ex-Mann versucht Krauss erst gar nicht, den Eindruck der Fiktionalität aufkommen zu lassen, denn die Person, die uns den Roman erzählt, trägt den Namen und auch viele Züge von Nicole Krauss. Auch sie merkt, dass sich ihre Ehe in der Krise befindet und sie wagt eine Flucht. Der Sehnsuchts- (oder Bestimmungs-?) Ort ist der gleiche wie beim Protagonisten Safran Foers: Israel. Die Erzählerin Krauss verschwindet über Nacht dorthin, um sich selbst zu finden. Was sie tatsächlich findet ist allerdings einen seltsamen Literatur-Professor mit Mossad-Verbindungen, der Kenntnis über sämtliche Originalmanuskripte Franz Kafkas hat, denn – jetzt kommt der Clou – dieser ist seinerzeit nicht in Prag an Tuberkulose verstorben, sondern hat seinen Traum einer Auswanderung nach Israel mit Hilfe Max Brods verwirklicht. Dort lebte er ein bescheidenes Leben in Tel Aviv, inmitten all seiner Manuskripte, und irgendwann entschloss er sich, als Eremit in die Wüste zu gehen. In einem einsamen, kleinen Häuschen lebte er friedlich weiter, bis er in den 60er Jahren starb. Seine gesammelten Manuskripte lagern übrigens bei der verbitterten Tochter von Max Brods ehemaliger Geliebten Esther Hoffe in Tel Aviv, und der findige Leser darf nun raten, wo die Reise der Erzählerin Krauss‘ endet.

Parallel wird – nach Kapiteln alternierend – die Geschichte eines 68-jährigen Anwalts namens Jules Epstein erzählt, der sich ebenfalls nach Tel Aviv begibt. Epstein, ein ehemals materialistischer und vor allem selbstsüchtiger Mensch, hat in den vorangegangenen Jahren nach einer auch ihm nicht zu erklärenden Eingebung nach und nach seinen Reichtum aufgegeben und arbeitet an der Gründung einer gemeinnützigen Stiftung. Dann begegnet ihm im Flug nach Israel ein Rabbiner, der ein Treffen von Nachkommen König Davids plant, zu denen er Epstein ebenfalls zählt. Auch hier beginnt ein Ringen um die eigene (jüdische) Identität und die Frage nach der Rolle, die man selbst in diesem Kontext einzunehmen bereit ist. Wie zu erwarten, treffen die beiden Protagonisten irgendwann aufeinander. Oder doch nicht? Dem Leser lässt Nicole Krauss sehr viel Spielraum zur Deutung, und, so viel sei gesagt, leicht zu deuten ist das Ganze nicht.

Einerseits ist Waldes Dunkel ein sehr komplexes Buch, in dessen Mittelpunkt Fragen nach jüdischer Identität, Künstlertum und dem Verhältnis amerikanischer Juden zu Israel steht. Die Figur Krauss scheint dort ein regelrechter Star zu sein, überall wo sie auftritt, wird sie als Botschafterin Israels in der amerikanischen Literaturszene gefeiert, eben weil sie sich bereits in früheren Texten mit besagten Themen auseinandergesetzt hat. Doch Krauss hat Schwierigkeiten diese Rolle anzunehmen, sie fühlt sich in Israel gleichzeitig auf unerklärliche Weise heimelig und fremd. Sie inszeniert sich selbst, auf den Spuren Kafkas, als kafkaeske Figur, die von unsichtbaren Kräften gelenkt wird und es nicht vermag, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Letztlich kann man – und soll man wohl auch – in die gegen Ende immer surrealer anmutende Geschichte eine Allegorie auf Krauss‘ eigene Lebenskrise lesen. So geht sie auf der einen Seite viel kunstvoller und ästhetisch ansprechender mit der Geschichte über ihre Trennung um als ihr Ex-Mann, andererseits ist „Waldes Dunkel“ auch schwerer verdaulich, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Längen und den vielen Fragen, die am Ende des Romans nicht beantwortet werden.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Nicole Krauss: Waldes Dunkel. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Grete Osterwald.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
377 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783498035761

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