Poetischer Katzenjammer

Justus Friedrich Wilhelm Zachariae macht einem Kater den Garaus

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für eine Gaudi! In einem „veralteten Schloß am Ufer der Elbe“ leben der greise Schlossherr Raban, seine Nichte Rosaura und deren Zofe Lisette mit einem namenlosen Papagei und dem Kater Cyper behaglich in den langen Tag hinein. An einem schläfrigen Morgen fliegt die übelgelaunte „schlangenhaarichte Furie“ Alekto an Rosauras Fenster vorbei. Dem Papagei im „güldenen Käficht“ fällt nichts Besseres ein, als lauthals zu krakeelen: „Du Scheusahl!“. Woraufhin die Furie, noch schlechter gelaunt, sofort auf Rache sinnt. Anstatt nur den Beleidiger zu bestrafen, macht sie den armen Kater zum Komplizen. Ihm flüstert sie die Mordtat ein: „Du Abkunft der Tyger […] Wie mancher Canarienvogel Ward von deinen tapferen Anherrn im Käficht zerrissen! Würge dann du auch den plaudernden Spötter, und streu im Triumphe Seine Gefieder, worauf er so stolz ist, in alle vier Winde!“ Der aus dem Dösen erwachende Murner stürzt sich tatsächlich auf den kleinen Flieger und hätte ihn in Stücke gerissen, wäre nicht der alte Onkel ins Zimmer gekommen. Der schlägt im Nu „Seiner Nichte Liebling aufs Haupt […] und Cyper, entselet, Fiel von dem Käficht, der Käficht auf ihn, und über den Käficht Stürzte der Alte.“ Es folgen Tumult und Trauergeheul, Lisette klagt mit Rosaura um die Wette und selbst den Greis ficht sein Mordschlag an. Doch das Leben geht weiter, schon bald ist das „arme Cyperchen“, diese „Krone der Kater“ vergessen.

Lisette, so stellt sich heraus, hat die ganze Zeit nur so getan, als liebte sie den Murner wie ihre Herrin; statt dessen war sie eifersüchtig auf den endlich „verblichenen Liebling“ Rosauras: „Sie warf auf den Leichnam des Katers, Den sie so sehr im Leben gehasst, zufriedene Blicke. […] Dem Himmel sey Dank, daß Du endlich Deinen verräthrischen Hals gebrochen, verworfnes Geschöpfe!“ Kaltherzig entsorgt sie den toten Cyper und wirft ihn durchs Fenster „auf den schimpflichen Mist.“ Nachdem sich die Seele aus seinem verblichenen Körper gelöst hat, macht sie sich gleich auf den Weg in die Unterwelt. Am Ufer der Stygischen Wasser wartet sie allerdings vergeblich darauf, vom grimmigen Charon über den Totenfluss geschifft zu werden. Der befördert nur jene, deren Körper auf Erden die letzte Ehre erhalten haben. So muss der arme Cyper in die Oberwelt zum Schloss zurück, wo sein verachteter Leichnam immer noch auf dem Misthaufen liegt, „ein Abscheu des Knechts und der Viehmagd.“ Des Nachts jagt er dann als Gespenst Lisette, Rosaura und dem Onkel einen gehörigen Schrecken ein, damit die erkennen: „Ach, wir Undankbaren! wir haben den Cyper vergessen In die Erde zu scharren!“ Unverzüglich wird die ordentliche Beerdigung des Katers angeordnet, danach „flog [dessen] irrender Schatten Wieder zur Hölle hinab, und mischte sich unter die Seelen, Die um den schwankenden Kahn des alten Charons sich drängten.“

Mit der Überfahrt ist Cyper aber noch nicht am Ziel, sondern er muss auch der Gefahr der falschen Platzzuweisung trotzen. Das gelingt ihm ausgerechnet mithilfe seiner Verderberin, der Furie Alekto, die ihm das Gefilde der Pein zu umgehen hilft, sodass er den Weg „Bis […] zu jenen glückseeligen Wäldern und Auen [meistert], Wo die milderen Thiere nach ihrem Tode spatzieren. Hier ist ewiger Frühling; hier fließen die Quellen des Aethers Sanfter aus gütigen Sonnen; und über die lachenden Felder Hat die Natur ihr ganzes blumichtes Füllhorn verschüttet.“ Dem chthonischen Paradies des Katers entspricht die sonnige Zufriedenheit der Schlossbewohner. Ein Epitaph, das der von der Muse geküsste Küster der Schlossdomäne gedichtet hat, wird schließlich für alle Zeit den Kater rühmen: „Hier liegt ein Kater der schönsten Art, Der Cyper von Fräulein Rosauren zart. Zu seinen Ehr’n hat dieses g’stellt Der Küster, Martin Schinkenfeld.“

Die Geschichte von Cypers traurigem Schicksal hat Zachariae in fünf Gesänge und holprige Hexameter gekleidet, erschienen ist sie erstmalig 1757. Für den komischen Effekt sorgt die Mixtur aus Adelssatire, Parodie des klassischen Epos mit burlesker Verhöhnung der antiken Mythologie und augenzwinkernder Moralkritik. Der Kontrast zwischen epischem Pathos, gewitzter Verkehrung der erwarteten Sprache und Metrik sowie zugleich tollpatschiger wie gestelzter Atmosphäre im Schloss ist amüsant und bereitet Lesevergnügen. Angeregt und initiiert durch Alexander Popes ‚mock heroic‘ The Rape of the Lock: An heroic-comical poem (1712, 1744 deutsche Übersetzung von Luise Adelgunde Victorie Gottsched), wurde das sogenannte komische Versepos für einige Jahrzehnte im Aufklärungsjahrhundert zu einer Modegattung. Zachariae zählt zu den namhaften Pope-Nachfolgern in Deutschland, er ist vor allem wegen seines Stücks Der Renommist (1744) bekannt und berühmt. Die Rezeption seiner komischen Werke war dennoch zwiespältig, zumindest was den Murner betrifft. Einerseits bescheinigte man dem Autor literarische Begabung, anderseits sei er ein verunglücktes Talent. Der Autoreneintrag in der Allgemeinen Deutschen Biographie (Carl Schüddekopf, 1898) etwa urteilt negativ über seine Abwendung vom Alexandriner und Entscheidung für den Hexameter als bevorzugtes Versmaß. Wie nur könne er den von ihm meisterlich gehandhabten Alexandriner gegen einen „lottrigen Hexameter“ eintauschen? Während Zachariae mit dem Renommisten Vorzügliches geleistet habe, gehöre der Murner „in die lange, abwärts führende Reihe von epischen Dichtungen“ (Schüddekopf).

Außer den Wiederabdruck der Erstauflage des Murner bietet das Büchlein als Zugabe auch noch vier kurze zeitgenössische Rezensionen sowie eine 1794 in Wien erschienene Stück-Paraphrase, die mit sechs Kupfern aufwartet. Eine literarhistorische Rahmung bekommt man durch den Herausgeber Matthias Wehry in seinem Nachwort, das gut informiert aber übereilt verfasst worden sein dürfte, denn es finden sich mehrere Lapsus. Die vorliegende Ausgabe ist Teil der Edition Wehrhahn, die abseitige, übersehene und wiederzuentdeckende Literatur aus der Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert auf den Markt bringt − wie gut, dass sie das tut!

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Justus Friedrich Wilhelm Zachariae: Murner in der Hölle. Ein scherzhaftes Heldengedicht.
Nach der Erstauflage 1757 und mit den Kupfern von Johann Caspar Weinrauch aus dem Jahre 1794. Herausgegeben von Matthias Wehry.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2017.
63 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783865255846

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