Ich erkenne, was ich sehe

Die Medienökologin Birgit Schneider untersucht in „Klimabilder“, wie grafische Visualisierungen das Weltklima beeinflussen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Erwärmung durch anthropogene Emissionen von der vorindustriellen Zeit bis heute wird über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende anhalten und weitere langfristige Veränderungen im Klimasystem bewirken“. So steht es unmissverständlich im neuesten Berichts des UNO-Weltklimarats (IPCC). Auch wenn der Bericht in schwarzen Farben malt, fällt das Titelbild des Summary for Policymakers durch seine Buntheit auf. Zwischen Hellblau, Rosarot und Zitronengelb ist nur noch andeutungsweise ein gravierendes Klimadiagramm erkennbar. Die künstlerische Grafik verzichtet darauf, die brennende Dringlichkeit des Berichts zusätzlich mit knalligen Rottönen anzufachen. Hat sich die Lage verbessert? Oder wurden bloß bildpolitische Retuschen vorgenommen?

Die Darstellung von abstrakten Fakten ist seit jeher ein Politikum. Bilder der Welt stehen auch für Weltbilder. Gegenwärtig führt besonders die ikonografische Vermittlung in der Klimapolitik zu Diskussionen. Im Unterschied zum täglich erlebten Wetter, über das wir gerne klagen, ist das Klima eine ungreifbare Größe: ein „statistisch erzeugtes, abstraktes Forschungsobjekt in einer Langzeitperspektive von mindestens dreißig Jahren“. Dafür gibt es kein Gespür, sondern nur tabellarisches Zahlenmaterial. In ihrem Buch Klimabilder untersucht die Professorin für Medienökologie Birgit Schneider die klimatologischen Visualisierungen mit einer „Mischung aus bildwissenschaftlichen und medientheoretischen Methoden“, um kritisch danach zu fragen, mit welchen Strategien das abstrakte Klima dargestellt wird. In weiten Teilen der Öffentlichkeit ist heute unbestritten, dass ein von Menschen gemachter oder zumindest verstärkter „Klimawandel“ (auch dieser Begriff wäre zu diskutieren) stattfindet, der von uns allen eine ungewohnte Praxis des Verzichts einfordert. Dazu bedarf es der richtigen Bilder.

Allerdings liegt dem Klima ein „gravierendes Wahrnehmungsproblem“ zugrunde, das die menschlichen Sinne übersteigt und nach einer, wie es der Philosoph Gernot Böhme vorschlug, „ökologischen Ästhetik“ ruft, in der sich Aisthetik (Erkenntnis) und Ästhetik (Veranschaulichung) miteinander verbinden. Gerade weil das Klima nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sind die bildlichen Darstellungen zentral für unsere Vorstellungen des Klimawandels. Sie sollen uns alle überzeugen, die Dringlichkeit unserer Lage erkennen lassen und die politischen Instanzen zum Handeln bewegen. Diesen „konstruierten Sichtbarkeiten“ respektive Visualisierungen gilt Schneiders Aufmerksamkeit bei ihrer kritischen Betrachtung der „Bildpolitiken des Klimawandels“.

In einem ersten Teil blickt die Autorin tief in die Geschichte der Wetterbeobachtung zurück. Sie macht dabei deutlich, dass für uns Selbstverständliches wie ein Wetterdiagramm auf eine komplexe Entwicklungsgeschichte zurückblickt, in der Alexander von Humboldt sowie die Pfälzische Meteorologische Gesellschaft in Mannheim um 1800 herum eine stilbildende Rolle einnahmen. Während letztere mit den Ephemerides 1792 erstmals ein mehrjähriges Tabellenwerk zur Meteorologie herausgab, prägte der „Visioneer“ Humboldt mit seiner Isothermenkarte von 1817 die moderne Darstellung von Wetter- und Klimadaten.

Einen visuellen Link zur Gegenwart stellt auch ein historisches Gemälde von Karl Friedrich Schinkel her. Seine Ansicht Dresdens durch ein Fernrohr (1803–11) weist auf die distanzierte Weltall-Perspektive voraus, wie sie 1972 durch ein Bugfenster der Raumfähre Apollo 17 festgehalten wurde. Die Fotografie der Blue Marble, die die Welt als schwebende verletzliche Kugel vor schwarzem Hintergrund zeigt, hat sich in unser Weltbild eingeprägt – mit Google Worlds lässt sich heute damit spielen. Diese Fernsicht auf unseren Heimatplaneten stößt ein zweites Weltbild an: die „Burning World“, mit der seit Jahren die sich überhitzende Erde als gleichsam brennende Kugel dargestellt wird. Zwischen diesen perspektivisch verwandten Bildikonen spielt sich momentan ein Ringen um die Visualisierbarkeit der Klimakatastrophe ab. Es geht dabei um die Prägnanz und Wirksamkeit der eigenen Botschaft, sei es jener der Klimaforschung, sei es jener der „Klimaleugner“ bis hinauf in die höchsten politischen Ämter, deren manipulativer Bildpolitik das Buch ein erhellendes Kapitel widmet.

Schneider verhält sich gegenüber beiden Seiten skeptisch, nicht was die anerkannten Fakten angeht, sondern in Bezug auf deren Bildpolitik. Kritisch und differenziert kontextualisiert und analysiert sie die Metaphorik und Ikonografie des Klimawandels, die sich beinahe krampfhaft an die rote Signalfarbe und die nach rechts steil aufragende „Hockey Stick“-Grafik hält. Mit Blick auf die bloß zu erahnende Zukunft erweist sich, dass es „auf der Ebene der Struktur wie der grundsätzlichen Narration von Klimazukünften ein begrenztes Repertoire gibt“, das wenig Raum für Möglichkeiten lässt. „Den popularisierten Wissenschaftsbildern scheint die Überzeugung zugrunde zu liegen“, bemerkt die Autorin mit skeptischem Unterton, „dass mit zunehmender Eindeutigkeit ihrer Präsentation die Handlungsfähigkeit der Politikerinnen und Politiker wächst“. Aber wäre nicht auch ein Effekt der Gewöhnung möglich? Birgit Schneider stellt die gesellschaftlich-politische Wirksamkeit der oft stereotyp anmutenden Veranschaulichung in Frage. In dieser Hinsicht liest sich das Buch mit großem Erkenntnisgewinn. Die Akribie ihrer Analysen hat allerdings auch zur Folge, dass sie etwelche Wiederholungen zulässt, die Ähnliches unterschiedlich variieren. Das macht die Lektüre etwas länger als vielleicht nötig, doch die stoffliche Dringlichkeit verzeiht es.

Immer wieder bezieht Schneider zur Veranschaulichung ihres kritischen Blicks auch künstlerische Arbeiten mit ein, in denen Klimafragen auf oft wunderbar erhellende Weise anders dargestellt sind als in den geläufigen Visualisierungen und Klimanarrativen. „Dass die Kunst etwas für die Wahrnehmungs- und Darstellungsprobleme des Klimawandels tut, also das Unvorstellbare in begreifbare Formen bringen könne, diese Hoffnungen kehren heute wieder.“

Vielleicht ist das Cover des neuesten Klimaberichts ein Resultat von solchen Überlegungen. Kreativ Schaffende sind demnach besonders herausgefordert, nicht nur ihren eigenen Lebensstil zu hinterfragen, sondern vor allem auch ihren ästhetischen Ideen freien Lauf zu lassen. Birgit Schneider weist in ihrem Buch mehrfach darauf hin. Es brauche mehr Bilder, neue Bilder und vor allem auch andere Bilder, die aus einem transdisziplinären Dialog heraus entstehen mit dem Ziel, die Klimazukunft nicht nur darzustellen, sondern abzuwenden. Die Kunst erhält so die Möglichkeit, bekräftigt sie, mit ihren eigenen Mitteln „die Wirklichkeit mitzugestalten“.

Titelbild

Birgit Schneider: Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
462 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783957575456

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch