Einsame und Versehrte
Christopher Isherwoods erstmals in deutscher Übersetzung vorliegender Roman „Das Denkmal“ porträtiert die englische Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg
Von Bernhard Walcher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDenkmäler werden errichtet, wenn etwas vorbei ist, aber auch, um eine Person oder ein Ereignis zu ehren und in Erinnerung zu behalten. Durch ein Denkmal wird der erinnerten Person oder dem erinnerten Ereignis materiell eine bleibende Gegenwart zugestanden, auch wenn die Zeitgenossen vielleicht nicht mehr viel mit der Erinnerung anfangen können, weil sich die Zeiten geändert haben. Ein solches Denkmal ist der im englischen Cheshire gelegene Landsitz „The Hall“ der fiktiven Familien Vernon und Gardimer, die Christopher Isherwood in seinem zweiten, 1932 erschienenen und nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegenden Roman Das Denkmal – wie es im Untertitel heißt – porträtiert. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die mit Oscar Wilde’scher Bissigkeit und Leichtigkeit operierenden Dialoge, die seelisch-psychologische Genauigkeit der Figurenzeichnung und die parlandohafte Erzählweise hat Georg Deggerich hervorragend ins Deutsche übertragen.
Im langsamen, aber stetigen Verfall der Architektur von „The Hall“, der jeweils bei den äußeren Ornamenten einsetzt, manifestiert sich der von Isherwood an diesem Bauwerk symbolisch aufgezeigte parallele Niedergang der sogenannten „middle upper class“ der britischen Gesellschaft nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Erzählt werden weniger Handlungen als Stimmungen, Mentalitäten und Momentaufnahmen in nicht chronologischer Reihenfolge von vier Kapiteln, in denen querschnitthaft die Jahre 1928, 1920, 1925 und 1929 eingefangen werden. Letzte Besitzerin des Landhauses und seiner üppigen Besitzungen, das nach seinem Verkauf wohl Platz machen muss für Neubauten, Kleingärten und Sportplätze, ist Lily Vernon, für die das Anwesen als Elternhaus ihres verstorbenen Mannes auch eine Erinnerung und ein Denkmal ihrer Ehe und glücklichen Jahre darstellt.
Wie in seinen späteren Romanen und autobiografischen Texten zeugt auch dieser frühe Roman von Isherwoods Meisterschaft und seiner scharfsichtigen Brillanz, gesellschaftliche Spannungen und Brüche literarisch einzufangen, was vor allem aufgrund der melancholischen, tief- und abgründigen Figuren gelingt. Die Folgen des Ersten Weltkrieges, die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen und die ökonomischen Umbrüche im Vorfeld der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 lassen die Protagonisten des Romans innerlich, genauso wie in ihren sozialen und familiären Beziehungen erstarren und erkalten. Das trifft nicht nur auf die Hauptfigur Lily Vernon zu, die ihren Mann verloren hat, sondern auch auf Edwarde Blake, den besten Freund ihres schwer traumatisiert verstorbenen Gatten, der den Ersten Weltkrieg als Flieger zwar überlebt hat, aber keinen sinnvollen Neuanfang finden kann. Gleichzeitig geben sich andere Familienmitglieder wie Anne und Tommy einem fatalen Gefühl von Sicherheit hin, das nur mehr noch die Überlebtheit und Überholtheit einer ganzen gesellschaftlichen Klasse und Lebensweise offenbart.
Isherwoods Porträt dieser Familie(n) ist gleichzeitig auch die Geschichte ihres Verfalls, der hauptsächlich durch äußere Ereignisse ausgelöst, von den Mitgliedern aufgrund ihrer Traumatisierungen aber auch mitgetragen wird.
Damit ist man auch bei einem Problem dieses Romans: Anders als der Klappentext vollmundig zusammenfasst, lässt die Erzählweise nicht das pauschale Urteil zu, Isherwoods zweiter Roman sei eine „Abrechnung“ mit der englischen „upper middle class“. Über weite Strecken nimmt der Erzähler immer wieder die Perspektive einzelner Figuren ein und legt damit deren Innenleben offen, was einerseits zur Plausibilität der Figurenpsychologie beiträgt, andererseits aber auch deutlich die Spannung zwischen Individuum und (Nachkriegs-)Gesellschaft problematisiert. Gerade das personale Erzählen bewahrt den Roman davor, allzu thesenhaft Gründe für und Urteile über den Verfall einer ganzen sozialen Schicht zu formulieren. Daher werden historisch gesehen einschneidende Ereignisse im England der 1920er Jahr wie der Generalstreik von 1926 und seine Folgen auch nur andeutungshaft erkennbar und die schon vor 1929 immer wieder aufkeimenden ökonomischen Depressionsphasen bilden nur das Hintergrundrauschen für Familien, die noch meinen, sich aus den Verheerungen des Ersten Weltkriegs mental und materiell retten zu können. In seinem autobiografischen Erinnerungsbuch Löwen und Schatten (1938, deutsch 2010) fand Isherwood deutlichere Worte für seine eigene Klasse, die er als ignorante „Schickokratie“ bezeichnete. Seine politische Haltung gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem Generalstreik von 1926 ist – anders als in Das Denkmal –tatsächlich als Abrechnung mit der eigenen Herkunft zu werten.
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