Ein Gecko im Haus eines „Vergangenheiten-Verkäufers“

Der ausgezeichnete Roman „Das Lachen des Geckos“ von José Eduardo Agualusa jetzt auch als Taschenbuchausgabe

Von Britta WaltherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Britta Walther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Unsere Erinnerung nährt sich zu großen Teilen aus dem, woran sich andere über uns erinnern. Fremde Erinnerungen halten wir für unsere eigenen – auch die erfundenen.“

Wie wäre es, sich eine neue Vergangenheit kaufen zu können? Ein der Leserin/ dem Leser zu Anfang unbekannter Mann möchte in dem Roman Das Lachen des Geckos von José Eduardo Agualusa genau dies: Eine neue Identität – und diese muss glaubwürdig sein.

Die Geschichte spielt im heutigen südwestafrikanischen Staat Angola. In der Mitte des 16. Jahrhunderts litt Angola als ehemals portugiesische Kolonie zunächst sehr stark unter Sklavenhandel, später unter der Zwangsarbeit der einheimischen Bevölkerung. Viele Ureinwohner versuchten zu fliehen, andere organisierten Widerstand. Trotz Befreiungsbewegungen und Friedensbeschlüssen waren die Angolaner nahezu durchweg dem Bürgerkrieg ausgeliefert. Und bis heute ist Angola für seinen Ölsektor und für seine Diamantenzone bekannt und von Armut, Ausbeutung und sozialer Ungleichheit gezeichnet.

Die Figuren in Das Lachen des Geckos sind mit der angolanischen Geschichte und ihren Geschehnissen verwoben: Der Protagonist Félix Ventura, ein hellhäutiger Angolaner, ist von Beruf Antiquar. Er selbst nennt sich jedoch „Genealoge“ und verkauft Vergangenheiten. Er denkt sich mit größter Präzision Lebensläufe und Stammbäume aus, welche er mit wahren Identitäten, Begebenheiten und Fotografien verknüpft. Vorwiegend nimmt die wohlhabende Bevölkerungsschicht seine Dienste in Anspruch, um die eigene Biografie verdecken oder aufpolieren zu lassen.

Doch dann taucht dieser unbekannte Mann, eine neue Identität benötigend, bei ihm auf. Félix Ventura, der zunächst dagegen ist, „Ich stelle Träume her, keine Fälschungen…“, besorgt letztlich doch alles für den Unbekannten. Der fremde Mann, nun José Buchmann heißend, nimmt sich dieser fiktiven Figur vollständig an, taucht immer tiefer in seine neue Lebensgeschichte ein. Doch immer mehr holt ihn seine Vergangenheit ein, und so fügen sich die Ebenen von Realität und (ausgedachten) Erinnerungen ineinander.

Zum Ende der Erzählung bilden die parallel verlaufenden Geschichten, die an verschiedene Figuren wie die Geliebte Venturas gebunden sind, einen größeren (Sinn-)Zusammenhang. In einem spannenden Finale zeigen sich die miteinander verflochtenen wahren Vergangenheiten der Figuren, und es wird deutlich, dass die Geschichte Angolas tiefe Einschnitte bei ihnen hinterlassen hat.

Der Roman zeichnet sich besonders durch die Erzählperspektive aus: Félix Ventura lebt nicht alleine in seinem Haus; ein nachtaktiver Gecko, welcher in seinem vorherigen Leben ein Mensch war, leistet ihm Gesellschaft. Dieser reinkarnierte Gecko liest gerne in den offen gebliebenen Büchern Venturas, beobachtet die nächtlichen Geschehnisse im Haus und erzählt und kommentiert, was er wahrnimmt. Auf diese Weise lässt der Gecko die Leserin/ den Leser an der Handlung aus einer sehr ungewohnten Perspektive teilhaben.

Der Gecko, eine in den Tropen häufig vorkommende Echse, die sich oftmals an den Wänden der Häuser aufhält und, für die Bewohner praktisch, Insekten frisst, ist für Félix Ventura viel mehr als das. Ihn und den Gecko verbindet beinahe eine freundschaftliche Beziehung, die sich durch das vertrauensvolle Erzählen Venturas und das stetige Zuhören des Geckos auszeichnet. Der Gecko reagiert an einigen Stellen des Romans sogar mit einem Lachen auf Ventura, worauf auch der deutsche Titel Das Lachen des Geckos referiert. Er weicht stark vom Originaltitel O Vendedor do Passados („Der Verkäufer von Vergangenheiten“) ab, der mehr auf die Hauptfigur und den thematischen Schwerpunkt der Erinnerungen und Vergangenheiten von Menschen Bezug nimmt. Der literarische Stil von Agualusa zeichnet sich durch prägnante Sätze aus. Sprachliche Bilder veranschaulichen Vorstellungen und Gedanken der Figuren. So vergleicht beispielsweise Ventura sein Zuhause mit einem Boot, wobei dieses Bild im Roman häufiger aufgegriffen wird: „Dieses Haus ist für mich wie ein Boot. Ein altes Dampfschiff, das sich angestrengt durch den gewaltigen Schlamm eines Flusses wühlt. Ein riesiger Wald. Die Nacht drum herum.“

Das Lachen des Geckos wurde 2007 als erstes afrikanisches Buch mit dem britischen Independent Foreign Fiction Prize ausgezeichnet. In Deutschland erschien die Erzählung erstmals 2008 von Michael Kegler übersetzt als gebundene Ausgabe im A1 Verlag. Das Lachen des Geckos ist nun im Juli 2018 auch als Taschenbuchausgabe vom Unionsverlag herausgegeben worden. Agualusa, der wie die Hauptfigur in Angola geboren ist, hat eine Geschichte verfasst, die das Land der Leserin/ dem Leser mithilfe von Erinnerungen der Figuren und deren teilweise traumatischen Erfahrungen aus dem angolanischen Bürgerkrieg näherbringt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

José Eduardo Agualusa: Das Lachen des Geckos. Roman.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Michael Kegler.
Unionsverlag, Zürich 2018.
186 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783293208056

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