Phallisches Symbol, Abwehrzauber und Meereshaar

Jutta Person und Miek Zwamborn führen uns in die wunderbare Welt der Korallen und Algen

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jutta Persons Porträt Korallen ist in der seit 2013 existierenden Naturkunden–Reihe bei Matthes & Seitz erschienen, die von Judith Schalansky herausgegeben wird. Künstlerisch führt uns der Anblick des fadengehefteten Buches über Korallen in eine vergangene Welt der Naturwissenschaften: das Format so groß und schmal, dass es sich für die Rocktasche eignet, der Einband in sanftem korallenrot gehalten mit einer reliefartig geprägten naturwissenschaftlichen Zeichnung eines Korallenstocks auf dem Titel, darüber der Titel in einer Serifenschrift. Dieser erste Eindruck setzt sich im Innern fort: Die tiefblaue Schrift des Einbands wurde ebenfalls für den Vorsatz gewählt, womit sogleich eine Meeresassoziation geweckt wird. Auf dem Vorsatzblatt taucht der Korallenstock ein zweites Mal als zarte Silhouette auf, eine weitere kolorierte naturwissenschaftliche Zeichnung verschiedener Korallen aus dem 19. Jahrhundert bildet den Frontispiz und zugleich den Auftakt für eine ganze Anzahl älterer naturwissenschaftlicher und bildkünstlerischer Darstellungen der Korallen, die sich über den Text verteilen.

Das Buch setzt sich aus zwei ungefähr gleichgewichtigen Textabschnitten zusammen: Den ersten Teil bildet ein fließend und elegant geschriebener kulturhistorischer Essay, der sich wie ein Kaleidoskop mit den vielfältigen Aspekten der Auseinandersetzung mit Korallen vom Altertum in die Neuzeit in den einzelnen, sich thematisch überlappenden Disziplinen der Kultur, Geistes- und Naturgeschichte befasst. Der zweite Teil ist Porträts einzelner Vertreter der Gattung Korallen gewidmet, die jeweils aus einer wissenschaftlichen Beschreibung der Korallenart und der dazugehörigen Abbildung bestehen. Den Abschluss bildet ein Literaturverzeichnis zur vertiefenden Lektüre.

Wie bereits die Überschriften verraten, widmet sich der erste Abschnitt ausgehend von der Natur der Korallen als Wasserwesen der Geschichte ihrer langwierigen disziplingeschichtlichen Zuordnung zu den Tieren und ihrer durch ihre rote Farbe und knöcherne Struktur bedingten symbolischen Verwendung als Schmuck mit abwehrender Bedeutung im Christentum, ehe es zunächst mit William Shakespeare und dann mit Jules Verne literarisch in die unterseeische Heimat der Korallen geht: Sie dient hier Letzterem als Gegenstück zur moralisch verkommenen überseeischen Welt. Das Buch macht nachvollziehbar, wie die Wissenschaft dem Wesen der Korallen durch die Trias von zunehmend genauerer Untersuchung, Beschreibung und zeichnerischer Darstellung immer näher zu kommen versuchte.

Die von den „Blumentieren“, den Korallenpolypen, und ihrer Vergesellschaftung ausgehende Faszination führte in der Folge sogar zur Projektion des Karl-Marx’schen Gesellschaftsmodells auf die Korallen. Mit solcherlei Überraschungen wartet der assoziationsreich geschriebene kleine Band an vielerlei Stellen auf, was seine Lektüre zu einem abwechslungsreichen und bereichernden Vergnügen macht.

Das gleichzeitig erschienene Porträt Algen von Miek Zwamborn gleicht in seiner buchkünstlerischen Gestaltung dem der Korallen und setzt auch inhaltlich dieselben Schwerpunkte wie dieses: es hebt jedoch besonders auf die Algen als Lebensmittel und Nährstofflieferant ab. Deshalb bietet es als besonderes Highlight zusätzlich diverse Rezepte mit Algen, die bekanntlich äußerst vitaminhaltig sind. Ob sie aber auch gut schmecken? Die Autorin sagt: ja.

Titelbild

Jutta Person: Korallen. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
191 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576972

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Miek Zwamborn: Algen. Ein Portrait.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Bettina Bach.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
168 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576965

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