Schule der Zukunft: Quo vadis?

Digitale Transformationsprozesse gestalten: theoretische Grundlagen, Modelle, Umsetzungsbeispiele

Von Nicola KönigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicola König

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie eine Schule der Zukunft aussehen soll, bewegt alle an Bildung Beteiligten: Was sind die Inhalte und Kompetenzen, die es sich lohnt, in zehn Jahren noch zu vermitteln? Welche Rolle wird in unserer Gesellschaft künstliche Intelligenz spielen? Wie verändert sich die Arbeitswelt und in welcher Weise ist Schule in der Lage, seine Schüler*innen darauf adäquat vorzubereiten? Die Diskussion um eine Schule der Zukunft oszilliert zwischen den Befürchtungen einer digitalen Demenz der Lernenden und den Visionen, der Heterogenität durch die digitale Revolution begegnen zu können. Wenn der Titel des Bandes Schule digital – wie geht das? die Frage nach den Umsetzungsmöglichkeiten der digitalen Revolution stellt, dann zeichnen die Autoren die Stationen dieser digitalen Reise gleichermaßen, wie sie einzelne Akteure zu Wort kommen lassen. Auch wenn sich das Ziel der Reise noch nicht klar bestimmen lässt, sind die Intentionen des Aufbruchs doch eindeutig: Lernende dazu zu befähigen, an der sie umgebenden, sich rasant verändernden Welt aktiv partizipieren und Zukunft gestalten zu können. Sollen Schüler*innen nicht in einer Parallelwelt leben, müssen Bildungsprozesse die digitale Transformation vollziehen.

Die Dreiteilung des Bandes spiegelt dabei die Komplexität des Gegenstandes wider. In einem ersten allgemeinen Teil werden die theoretischen Grundlagen dargestellt: Was zeichnet die Gegenwart und damit die Lebenswelt der Lernenden sowie Lehrenden aus und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Bildungsprozesse? Im zweiten Teil werden anhand von kurzen Berichten aus Silicon Valley Zukunftsvisionen aufgezeigt, die im dritten Teil anhand konkreter Umsetzungsbeispiele deutscher Schulen präzisiert werden.

Burow zeichnet in seinem einleitenden Beitrag nach, wie die Digitalisierung Alltag, Berufswelten und damit auch den Wissenskanon verändert hat und aktuell beeinflusst. Nicht nur das Verhalten einzelner wurde und wird verändert, sondern vor allem das der Gesellschaft. Damit sind politische ebenso wie wirtschaftliche Systeme betroffen. Auf der Bildungsebene sind dabei optimistische Positionen, die auf die Machbarkeit und globale Vernetzung fokussieren, ebenso vertreten wie pessimistische, die das Ende der Demokratie, der Selbstbestimmung und damit eine digitale Demenz postulieren. Burow, der an der Universität Kassel Allgemeine Pädagogik lehrt und sich unter anderem neben der Digitalisierung mit der positiven Pädagogik beschäftigt, geht es dabei weniger darum, sich in diesem Kontext zu positionieren, als vielmehr die sich rasant verändernde Umwelt als Ausgangspunkt von Konstruktionsprozessen zu nehmen. Prägnant fasst er die Herausforderungen in sieben „Revolutionen“ zusammen, die die zentralen Bereiche der Bildung umfassen und einen Überblick über die aktuelle Forschungslage schaffen. So ist zunächst die Pädagogik im Allgemeinen betroffen, darauf aufbauend die Gestaltung von Schule und Unterricht und in diesem Zusammenhang die Organisation. Übergeordnet aber geht es auch um Fragen der Kreativität, des Design for Happiness und um eine Nachhaltigkeitsrevolution. Die im zweiten und dritten Teil des Bandes vorgestellten Umsetzungsbeispiele konkretisieren diese unterschiedlichen Ebenen.

Die Zusammenstellung der verschiedenen Ebenen der Digitalisierungsprozesse verdeutlicht, dass sich das Verhältnis zum Wissen, seiner Auswahl und Vermittlung grundlegend ändern muss. Entscheidend ist, Zukunftskompetenzen in den Blick zu nehmen, die Bildungsprozesse nachhaltig wandeln. Zu diesen zählen das kritische Denken, die Kommunikation und Kollaboration, Kreativität und damit verbunden die Innovation sowie das Metalernen. Diese, von zahlreichen Wissenschaftlern ähnlich bewerteten Zukunftskompetenzen haben weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung von Räumen, Lernarrangements, die Zusammensetzung von Lerngruppen, aber auch das Verhältnis von Schüler*innen und Lehrer*innen sowie die Auswahl der Medien, die bei der Umsetzung gewählt werden. Steht in der aktuellen Diskussion um den DigitalPakt Schule häufig die Ausstattung der Schulen im Zentrum, so macht Burow deutlich, dass es sich bei Handys und Tablets vorrangig um „digitale Messer des 21. Jahrhunderts“ handelt, die ein entscheidendes Potenzial haben, Schüler beim Lösen von Problemen oder beim Umsetzen von Ideen und Kreativität zu unterstützen, damit Schule zur Zukunftswerkstatt werden kann. Damit verschiebt sich die Debatte von einem Lernen über digitale Medien zu einem Lernen mit digitalen Medien.

Vertieft wird dieses Plädoyer durch vier weitere Beiträge, die die Perspektive auf das Wesen der Transformation (Christian Filk), die Veränderungsprozesse und deren Management (Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt sowie Arnd Gottschalk) sowie das Wesen des Digitalen (Bardo Herzig) lenken. Es wird deutlich, dass eine Triebfeder der unterschiedlichen Umsetzungsformen nicht nur die sich durch die Digitalisierung verändernde Lebenswelt war und ist, sondern ebenso die Heterogenität der Schülerschaft. Damit bilden Differenzierung, Inklusion und Digitalisierung für zahlreiche Modellschulen eine Trias. Filks Plädoyer für eine „inklusiv-digitale Bildung“ fasst diese Forderung prägnant zusammen. Die Bedeutung der Digitalisierung für die einzelnen Fächer thematisiert Herzig in seinem Beitrag Digitale Medien – bildende Blicke hinter das Interface, indem er ausführt, dass Modelle eine Semiotisierung der Inhalte darstellen, die die jeweiligen Daten in kontextlose, interpretationsfreie Signale übertragen. Es wird deutlich, dass die Arbeit mit Modellen Herausforderungen und Erkenntnisgewinn gleichermaßen beinhaltet: Jedes Schulfach muss klären, was die jeweiligen bedeutungskonstituierenden Inhalte sind, die in Signale transformiert werden. Dies stellt einen zutiefst kreativen und interaktiven Akt dar, der in Bildungskontexten genutzt werden muss.

Diesem ersten theoretischen Teil schließen sich Berichte Martin Fugmanns aus dem Silicon Valley an, die exemplarisch aufzeigen, wie sich Visionen entwickeln und umsetzen lassen. Die kurzen Skizzen beruhen auf Hospitationen an den jeweiligen Schulen, die ein globales Bild der Veränderungen einer digitalen Schullandschaft vermitteln. Aufgrund der Kürze der Beiträge und der Tatsache, dass nicht allerorts der Besuch des Unterrichts möglich war, bieten sie jedoch nur oberflächliche Einblicke, die die Grundlage einer sich anschließenden Recherche bilden können. Den Beispielen ist jedoch gemeinsam, dass Lernen zunehmend personalisiert wird; Schüler*innen arbeiten individualisiert mit unterschiedlichen Materialien, die Diagnose und Evaluation werden rechnerbasiert durchgeführt. Damit wird der Rechner zum Lernhelfer, der die Lernenden instruiert, trainiert und navigiert. Dass sich Schule und Lehrer*innen trotz der Digitalisierung nicht abschafft, wird im dritten Teil anschaulich und eindrücklich aufgezeigt, wenn fünf Schulen dargestellt werden, die sich auf den Weg gemacht haben, die digitale Revolution umzusetzen. Die unterschiedlichen Projekte verbindet die Einsicht, dass Schule und damit Lernen von Beziehungen, von Anregungen und vom Austausch lebt. Digitale Schule justiert, so Otto Seydel, nur die Eckpfeiler des Unterrichts – Instruktion, Übung, Transfer und Kritik – neu: So lassen sich durch digitale Hilfsmittel vor allem Instruktions- und Übungsphasen individualisiert und ortsunabhängig gestalten. Für die Stärkung der Selbst- und Sozialkompetenz und damit die Lernbegleitung könne die Digitalisierung (Frei)Raum schaffen. Damit aber werden Lehrer*innen entlastet und können sich auf eine ihre Kernkompetenzen konzentrieren.

Die fünf Beispiele machen neugierig und den an Schule Beteiligten Mut, neue Lernräume zu betreten und den digitalen Wandel als Kulturwandel zu begreifen, der es ermöglicht, dass junge Menschen erfahren, dass ihr eigener Lernprozess gestaltbar ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass es nicht (nur) um die Anwendung bestimmter Apps und die Ausstattung der Schulen mit Geräten gehen kann. Digitale Schule muss größer und damit auch globaler gedacht werden. Sie erfordert ein Umdenken aller an Schule Beteiligten: der Forschung, der Bildungsadministrationen, der Schulleitungen, der Lehrer*innen, der Schüler*innen, aber auch der Eltern. Konzeption und inhaltliche und sprachlich-anschauliche Gestaltung des Bandes spricht dabei Schulentwickler*innen und Bildungsforscher*innen gleichermaßen wie Lehrkräfte und interessierte Eltern an.

Titelbild

Olaf-Axel Burow (Hg.): Schule digital – wie geht das? Wie die digitale Revolution uns und die Schule verändert.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2019.
189 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783407631312

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