Lesen in der Corona-Krise – Teil 1

Thomas Glavinic verfasst für die „Welt“ einen Fortsetzungsroman zur Corona-Krise

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

 

Schwierige Zeiten verlangen nach ungewöhnlichen Ideen. Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic führt seit dem 19. März eine Art ‚Corona-Tagebuch‘ auf der Website der Welt. Das Besondere daran ist, dass Glavinic die täglich erscheinenden Folgen als „Roman“ tituliert: Der Corona-Roman. Er stellt sich damit in die Tradition des Fortsetzungsromans –  mit unklarem Ausgang. Das Ergebnis ist ebenso erheiternd wie bedrückend. Der bekennende Hypochonder reflektiert in der ersten Folge auf gewohnt selbstironische Art, dass die Krise, wie er fürchtet, ihm auch psychisch zusetzen wird. Man denke nur an die endlose Recherche, die ihm bevorsteht, um immer die neuesten Daten für sich zu filtern.

Gleichzeitig ist sich natürlich jeder Leser bewusst, dass Glavinic hier eine Geschichte mit ungewissem Ausgang erzählt. Das betrifft nicht nur den Ich-Erzähler, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Auf jeden Fall, und hierüber lässt sich wunderbar spekulieren, setzt der Autor seine Figur „Thomas Glavinic“, von der niemand so genau weiß, wie sie zu nehmen ist, ins Zentrum der Corona-Krise und lässt sie hier agieren. Ob Glavinic tatsächlich eine Art Tagebuch verfasst, einen autofiktionalen Text oder aber einen Roman, bei dem die Grenzen von Realität (die ‚Außenwelt‘) und möglicher Fiktion (die Figur) verschwimmen, wird spannend zu beobachten sein.

Ein kleiner Wehrmutstropfen jedoch: Nach der ersten Folge erscheinen die Episoden leider hinter einer Paywall, die nur durch ein Welt-Abo zu beheben ist. Das allerdings ist für 30 Tage umsonst zu haben. Da muss natürlich jeder selbst entscheiden, ob er das braucht.

Zu finden ist der erste Teil des Romans mit Hinweisen darunter auf die bisherigen Fortsetzungen hier.

 

Hinweis: Alle bisher erschienenen Teile unserer Reihe „Lesen in der Corona-Krise“ finden Sie hier.

 

Rezensionen in literaturkritik.de zu früheren Veröffentlichungen von Thomas Glavinic:

Wer das Kämpfen will vermeiden, sollte sich dafür bereiten.
Thomas Glavinic liefert eine „Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung“ ohne die seichte Sachlichkeit reiner Ratgeberliteratur
Von Veit Justus Rollmann
Ausgabe 10-2018

Das sind doch wir.
Thomas Glavinic gelingt es in „Der Jonas-Komplex“, drei Biografien zu einem Ganzen zu verbinden
Von Stefan Jäger
Ausgabe 05-2016

Roman ohne Grenzen.
„Das größere Wunder“ von Thomas Glavinic führt zum Höhepunkt eines besonderen Lebens
Von Frank Riedel
Ausgabe 10-2013

„ … nennt mich Tom“.
Die Titelheldin in Thomas Glavinics neuem Roman „Lisa“ ist eine vagabundierende DNA-Spur
Von Dietmar Jacobsen
Ausgabe 04-2011

Die Ich-Frage.
Thomas Glavinics rätselhafte Romane „Die Arbeit der Nacht“ und „Das Leben der Wünsche“
Von Thorsten Gräbe
Ausgabe 09-2009

„He said it was a bad dream.“.
Wieder einmal ist jemand allein auf der Welt. Zu Thomas Glavinics Variation eines Schreckensszenarios: „Die Arbeit der Nacht“
Von Elisabeth Kapferer
Ausgabe 10-2006

Nicht die Toten zählen.
Thomas Glavinic‘ Novelle „Der Kameramörder“
Von Frank Herlitschka
Ausgabe 04-2001