(Selbst-)Reflexivität im Film

Lisa Gotto und Sebastian Lederle haben kluge Beiträge zu „Hollywood im Zeitalter des Post Cinema“ in einem Sammelband zusammengetragen

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es doch nur so einfach wäre („Would that it were so simple“), so verholpert ein Cowboy-Darsteller in einem drawing room drama seinen Text. Es ist eben nicht so einfach. Der Schauspieler bekommt den Satz aus seinem Drehbuch einfach nicht hin. Sprechen ist keine Rolle für ihn. Er ist im falschen Film. Und der ist ein Film im Film: in Hail, Caesar! von den Coen-Brüdern (2016). Es gibt aber viele Filme in diesem Film. Das liegt daran, dass die Coen-Brüder in ihrem Film an die silbernen und goldenen Jahre Hollywoods erinnern, als wenige große Studios eine Menge an erfolgreichen Genrefilmen produzierten. Die Spätzeit des klassischen Hollywood ist längst vorbei, das New Hollywood (19671975) auch. Heute spricht man vom postklassischen Hollywood-Kino, von Hollywood in Zeiten des Post Cinema. Was daran so neu und anders ist, beschreibt ein Sammelband der Filmwissenschaftler Lisa Gotto und Sebastian Lederle in klug angeordneten Beiträgen über Theoriefähigkeit, Welthaltigkeit und Kontextualisierung des Post Cinema.

Das zentrale Argument bzw. das kulturell-mediale Dispositiv im Sinne der Herausgeber stammt von Thomas Elsaesser. Der Hollywood-Turn schlage sich in einer Ausdifferenzierung der Reflexivität nieder. Das klingt komplex, lässt sich aber schon an den Franchisefilmen Lord of the Rings (NZ/USA 20012003) und Harry Potter (UK 20012011) zeigen, die als Blockbuster funktionieren und als offenes Dienstleistungssystem: „the book, the look and the hook“ (Justin Wyatt) sind die Kriterien für Marketing. Zugleich ist diese Selbstreferenz ein allgemeines Merkmal des Studiosystems in Hollywood wie auch ein spezielles Markenzeichen der einzelnen Produktionsfirma. In diesem Regelkreis von ökonomischer Aufmerksamkeit und Unterhaltungswert kursieren die einzelnen Filme, die Hollywood als Film und Hollywood im Film vorführen.

Für den Zuschauer und den Forscher hat das die Auswirkung, dass man nicht sieht, als ob man sehen würde, sondern so sieht, dass man stets weiß, dass man sieht. Das Kino im Kopf ist im Grunde immer schon ein vor- und weiterfabriziertes Hollywood-Kino, das gar nicht mehr verbergen muss, wie viel es unsichtbarem Schnitt, Kontinuitätssystem, Genrekino – und dem Bruch mit diesem Erbe – verdankt und das auch in neueren Feedback-Schleifen dokumentiert, die Elsaesser positiv wertet: den Video-Portalen, Streaming-Diensten und User-Kommentaren im Netz.

Die Beiträge sehen sich im postheroischen Film, im digitalisierten Katastrophenfilm, im mindgame movie, in der Netflix-Serie House of Cards (20132018) und in der Genreparodie – am Beispiel von Way out West (1937) mit Laurel und Hardy um. Letztlich aber kommt auch hier wieder nichts anderes heraus, als dass das Kino des Kinos liebstes Kind ist. In den multi-autoreflexiven Filmen kommt das Post Cinema zu sich selbst und die Forscher können das wunderbar untersuchen. Der Cowboy-Darsteller in dem Coen-Film ist übrigens gar kein so naives one trick pony. Er schafft schließlich seinen Satz doch noch und sagt, was der Zuschauer im Post Cinema manchmal denken mag: „It’s complicated.“

 

Titelbild

Sebastian Lederle / Lisa Gotto (Hg.): Hollywood im Zeitalter des Post Cinema. Eine kritische Bestandsaufnahme.
Transcript Verlag, Bielefeld 2020.
334 Seiten, 34,99 EUR.
ISBN-13: 9783837645200

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