Szenen des weiblichen Begehrens?

Lisa Taddeos erzählendes Sachbuch über „Drei Frauen“

Von Charlotte LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lisa Taddeos Three Woman – Drei Frauen gehört zu einem Genre, das die Buchbranche gerade als „erzählendes Sachbuch“ feiert. Wer nicht genau weiß, was das überhaupt sein soll – oder warum man das braucht –, dem soll gesagt sein, dass die Autorin über drei Liebesgeschichten von drei real existierenden Frauen schreibt, fundiert durch den Realitätsgehalt zahlreicher Dokumente (E-Mails, Zeitungsberichte, Gerichtsunterlagen, SMS usw.), die dem fiktional anmutenden Text Authentizität verleihen sollen. Dafür ist sie jahrelang durch die USA gereist, um Frauen nach ihrem Begehren zu befragen und ihre Geschichten aufzuschreiben.

In den USA wurde dieses Buch extrem gefeiert, es war auf Platz 1 der New York Times Bestsellerliste, es wurde ihm sowohl literarische Brillanz attestiert als auch das Potential, endlich ein Psychogramm der weiblichen Lust und Sexualität zu entwerfen, ja geradezu zu enthüllen.

Im Vorwort erklärt die Autorin ihr Vorhaben: „Als ich anfing, an diesem Buch zu arbeiten, einem Buch über das menschliche Begehren, reizten mich zunächst die Geschichten von Männern. Ihre Sehnsüchte. […] aber fast jede dieser Geschichten gipfelte im zuckenden Pulsen eines Orgasmus. Und während die Lust der Männer mit dem finalen Schuss erlosch, flackerte die Lust der Frauen an diesem Punkt gerade erst auf. Es lag eine Komplexität, eine Schönheit, ja auch eine gewisse Heftigkeit darin, wie Frauen denselben Vorgang erlebten“.

Taddeos Entschluss, weder die männliche Sexualität beschreiben zu wollen noch die Geschichten, die zum Höhepunkt der Lust führen, stimmt so nicht ganz. Denn die Geschichten dieser drei Frauen sind auch Geschichten von Gewalt, physischer und psychischer, die von Männern herrührt. Der Schwerpunkt des Buches liegt nicht auf Momenten der Begierde und Lust, gesucht wird nach Gründen und Zusammenhängen, wie diese drei Liebesgeschichten zustande kommen und auf ihrem Gipfel scheitern konnten. Die Autorin rekonstruiert hierfür die Vergangenheiten der drei Frauen: Es sind Maggies, Linas und Sloanes Vor- und Familiengeschichten, die ihre Verliebtheit und letztlich ihr Scheitern begründen.

So ist es bei Maggie, die als 16-jährige in ihren Schullehrer verliebt ist und ein Verhältnis mit ihm eingeht, eine problematische Beziehung zu ihren Eltern hat, die Alkoholiker sind. Nun ist sie Anfang 20 und verklagt ihren mutmaßlichen Geliebten, da sie zum Zeitpunkt des Geschehens minderjährig war. Die Gerichtsverhandlung endet mit einem Freispruch des Lehrers und Maggie ist in der Öffentlichkeit immer wieder mit Demütigungen und Verunglimpfungen konfrontiert. Sie kellnert in einem Diner und hat depressive Tendenzen.  

Lina ist 15, als sie sich in einen Jungen verknallt. Auch wenn sie später einen anderen Mann heiratet und Kinder bekommt, bleibt er durchgehend ihre große Liebe. Die Hausfrau Lina wird von ihrem Mann seit Jahren nicht mehr berührt und beginnt eine Affäre mit eben dieser Jugendliebe. Doch auch ihre Jugendzeit ist belastet: Sie wurde von drei Jugendlichen vergewaltigt. Jetzt ist sie 32 und will sich von ihrem Mann trennen, ihre Ehe verläuft nach ähnlichen Dynamiken und Kompensationen wie die ihrer Mutter.

Sloane ist im College-Alter, als sie entscheidet, dass sie in Restaurants arbeiten will, obwohl sie aus einer wohlhabenden jedoch emotional unterkühlten Familie stammt und ihr damit sämtliche Türen innerhalb der New Yorker Gesellschaft offenstehen. Sloane führt offene und bisexuelle Beziehungen ohne größeren Ernst, bis sie einen Koch kennenlernt, in den sie sich verliebt, ihn heiratet, mit dem sie zwei Töchter bekommt und ein gemeinsames Restaurant eröffnet. An ihrem 27. Geburtstag kommt es zu einem ersten Dreier mit einer Angestellten. Sloanes Mann will ihr fortan dabei zuschauen, wie sie Sex mit verschiedenen anderen Männern hat, und wählt diese für sie auch aus. Irgendwann kommt es zur Eskalation mit einem anderweitig gebundenen Mann, den beide fest in ihre Beziehung integriert haben, weil seine Partnerin davon erfährt. 

Taddeo liefert passenderweise schon im Vorwort eine Zusammenfassung des Liebesverhaltens von Männern, die als Motto für das ganze Buch gelten könnte: „Männer haben die Herzen von Frauen schon immer auf eine ganz bestimmte Weise gebrochen. Sie lieben sie oder sie lieben so halb und fühlen sich irgendwann ausgelaugt […]. Die Frauen aber warten. Je verliebter sie sind und je weniger andere Optionen sie haben, desto länger warten sie“.

Männer sind demnach die Täter. Frauen die Opfer. Männer brechen die Herzen der Frauen und Frauen vergeben den Männern nachsichtig und warten liebend auf sie. Es geht also vielmehr darum, dass die drei Frauen hoffen, die Männer würden ihre Wünsche erkennen und umsetzen. Sie wünschen sich, nicht nur begehrt – und das ist vielleicht der Moment der unzureichenden begrifflichen Unterscheidung von weiblicher Begierde und Liebe –, sondern auch geliebt zu werden. Diese Sichtweise ist natürlich konsequent, insofern jemand, der liebt und begehrt, sich gleichermaßen wünscht, ebenfalls geliebt und begehrt zu werden. Lust sollte aber nicht mit Liebe verwechselt werden. Es werden hier nicht die Begehrlichkeiten der Frauen geschildert, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, sondern lediglich ihre gesteigerten Selbstwertgefühle, wenn es ihnen gelingt, die Begierde des Mannes auf sich zu ziehen und ihr zu entsprechen. Die Tragik liegt weiterhin darin, dass sich die drei Frauen zufrieden geben mit den Arrangements der jeweiligen Männer, die letztlich die Beziehungen definieren und reglementieren. Sie ordnen sich unter. Sie sind machtlos. Und nicht nur das: Diese Männer behandeln ihre Frauen letztlich schlecht, manipulieren sie, weichen aus und sind nicht vertrauenswürdig.

Gleichzeitig ist das Verhalten der Frauen von einer Passivität und Unentschlossenheit gekennzeichnet, die dem Begriff des Begehrens zuwiderlaufen. Im Grunde ist es die eigene Geschichte, die eigene Verzweiflung, die sie prägt, und der Blick des Mannes (und der Gesellschaft), mit dem sich diese Frauen selbst betrachten. Die Erzählerstimme jedoch versucht nicht zu beurteilen, das Ganze mutet an wie ein Bericht. Dennoch finden Wertungen statt, von außen, aus der Gesellschaft: von Gerichten, in Gruppensitzungen, bei Ärzten, durch Freundinnen und betrogene Partnerinnen. Wie man sich vorstellen kann, ist der wertende Blick nicht wohlwollend.

Bei all diesen Feststellungen tun sich Fragen auf. Wie kann man adäquat ein Buch über weibliches Begehren schreiben? Und wie konnte dieses Buch in den USA so erfolgreich sein? Liegt es an diesem Genre, der erzählerischen Vermittlung faktischer Erlebnisse? Oder an der Tabuisierung des Themas? Und sind die Drei Frauen ein gewagtes Buch (nicht nur für die amerikanische Gesellschaft)?

Hätte es weniger Dokumentationscharakter und würde es „nur“ um die Darstellung sexueller Lust gehen, wäre es vielleicht ein Buch mit pornographischen Elementen. Wäre es stärker literarisiert, verdichtet und fiktionalisiert, dann müsste es über sich selbst hinausweisen. Das tut es nicht. Die Drei Frauen bieten weder reine Fallstudien noch literarische Figuren. Sie bleiben im Raum dazwischen, in dem vor allem nach psychologischen Erklärungen für ihr Unglück gesucht wird. Die verbotene Lust als solche muss als Ursache dafür herhalten, dass  das jeweilige Konzept der Liebe der drei Frauen scheitert. Doch dafür braucht es weitere Gründe. Diese finden sich woanders – nämlich in der Kindheit und Jugend der drei Frauen, in der sie alle sehr viel Unschönes und Schreckliches durchleben mussten.

Wäre nicht zum Verständnis der (weiblichen) Begierde die erzählende Form des Romans geeigneter? Wenn die Autorin im Vorwort des Buches schreibt, sie wollte ursprünglich über männliche Lust schreiben, „aber immer dann, wenn das Begehren zielgerichtet war, auf einen Endpunkt aus, […] schwand mein Interesse. In den Geschichten jedoch, in denen sich das Begehren nicht steuern ließ, […] fand ich den größten Zauber und den größten Schmerz“, nun, dann erscheint das etwas trivial. Denn Begehren ist wohl zwangsläufig auf ein Ziel gerichtet – auch bei Frauen. Und es ist oft genausowenig steuerbar – auch nicht von Männern. Das ist dann ein klassisches Thema: Weibliches Begehren, das Motiv der Frau als Natur, ist angeblich der Kultiviertheit des Mannes unterlegen, es ist weniger selbstkontrolliert und gerät dadurch zwangsläufig in „den größten Schmerz“.

Was man in den Drei Frauen bestätigt findet, sind gesellschaftliche Strukturen und Muster, die es seit jeher gibt und die sich hier unverändert vorfinden. Dazu gehören das Rollenbild der (Ehe-)Frau (ihr eigenes und das immer mitschwingende männliche), die Irrungen heterosexueller Ehen und Partnerschaften und die Ungleichheit der Geschlechter. Das ist das Gegenteil vom Wagnis aller Abweichungen von solchen Vorgaben, nämlich ein Abbild der Welt, in der wir leben. Dies will das Buch auch eigentlich schon mit seinem Cover zum Ausdruck bringen: schwarz-weiß gehalten, mit einer halbnackten, gesichtslosen, dem Betrachter abgewandten Dame. Schablonenhaft, gewollt mysteriös, leicht anrüchig. Obwohl es höchstwahrscheinlich die weibliche Käufer-Klientel anspricht, ist auch dieses Entre gefärbt durch einen männlichen Blick.

Einzig bei Sloane meint man zwischendurch Ausbrüche aus und Abweichungen von Geschlechterstereotypen zu erkennen, allerdings nur in Ansätzen. Gibt es also eine Enttabuisierung der weiblichen Lust in Lisa Taddeos Drei Frauen? Nein, wie auch? Denn eigentlich erfährt der Leser wenig bis nichts über die sexuelle Lust und Begierde der drei Frauen.

Ist es also die Absenz der weiblichen Begierde und die Sprachlosigkeit der Autorin, die aus diesem Buch spricht? Lesen Sie selber – oder vielleicht besser: Lassen Sie es! Schauen Sie einen frauenfreundlichen Porno, wenn Sie hofften, Sie würden hier einen Blick auf weibliches Begehren erhaschen. In jedem Fall kann man seine Zeit sinnvoller investieren.

Titelbild

Lisa Taddeo: Three Women – Drei Frauen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Maria Hummitzsch.
Piper Verlag, München 2020.
416 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492059824

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