Höfische und städtische Dimension(en) aus neuer Perspektive erhellt

Das Schaffen von Johanna Thali liefert methodische Anstöße zur Erforschung des Verhältnisses zwischen Text und Bild

Von Salvatore MartinelliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Salvatore Martinelli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Schriftenreihe Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen erscheinen regelmäßig Themenschwerpunkte, die sich mit kommunikativen Praktiken, der Dynamisierung von Medienformen sowie den Bedingungen von Kommunikation auseinandersetzen. Dies gilt ebenso für die Arbeit von Johanna Thali, die die Bilddimensionen literarischer Kommunikation im Mittelalter und Früher Neuzeit zum Gegenstand ihrer Reflexion erhebt. Sie analysiert das Text-Bild-Verhältnis anhand handschriftlicher Illustrationen sowie profaner Wandmalereien und Alltagsgegenständen unter Berücksichtigung höfischer und städtischer Dimensionen. Die Erörterung umschließt dabei im Kern zentrale Punkte, die sich mit dem Zusammenhang von Text und Bild, dem Verhältnis von kulturellen Traditionen sowie dem extraterritorialen Interesse im Umgang mit Literatur auseinandersetzen. Die Arbeit umfasst drei Kapitel: Am Anfang stehen Untersuchungen zu den Forschungskontexten literarischer und visueller Zeugnisse als Gegenstand der Literaturgeschichte, anschließend folgt eine Analyse der Literatur als Teil der aristokratischen Selbstdarstellung am Beispiel des Zyklus der Wandmalereien im Schloss Lichtenberg, zum Schluss beleuchtet Thali die Urdimension von Malerei, Spiel und Politik anhand von Wandmalereien in Luzerner Patrizierhäusern des 16. Jahrhunderts.

Im ersten Abschnitt konzentriert sich Thali vorrangig auf eine eingehende wissenschaftliche Gesamtschau, stellt systematische Zusammenhänge her, erklärt Korrelationen und erarbeitet in methodischer Feinarbeit das Fundament ihrer Auswertung. Damit hebt sie die Zugehörigkeit des Bildnisses zur literarischen Kultur sowohl des Mittelalters wie der Frühen Neuzeit hervor und erschließt ein breites Spektrum an Fragen, Methoden und Thesen, die sich aus zeitgenössischer Text-Bild-Forschung der Mediävistik ergeben. Besonders erwähnenswert ist, dass nicht nur illustrierte Manuskripte den Weg in ihre Arbeit gefunden haben, sondern auch verschiedene Materialien wie Wandmalereien, Wandteppiche und Alltagsgegenstände. Dabei wendet sich ihre Aufmerksamkeit auf unbekannte Sujets, um diese einerseits in der Forschungsarbeit zu ergänzen, andererseits neue Impulse zu vermitteln.

Ausgehend von der These, dass narrative Bild-Zyklen als eigenständige Sprachfassungen literarischer Inhalte festzulegen sind, ergibt sich eine analysierende Bestandsaufnahme des Text-Bild-Forschungsinteresses der Germanistik in seiner mouvance, die sich in Varianten, Fassungen und Adaptionen artikuliert. Bedingt wird diese Zusammenführung durch die Materialität des Bildträgers, den räumlichen Kontext, den sie mit ihrer oft stark politisch akzentuierten Wirkung als Kreuzungspropaganda an den Fassaden öffentlicher Gebäude sowie an zugänglichen Kirchenräumen an die Allgemeinheit richten. Demgegenüber sind Bildzyklen des höfischen Romans der praktischen Sphäre vorbehalten, die ihrerseits nur einem sehr begrenzten, privilegierten Publikum zugänglich waren. Sie richteten sich also durch die idealisierte Intensivierung der eigenen Lebensweise, aber auch durch die postulierten höfischen Werte ausschließlich an die gehobenen Gesellschaftsschichten. Thali illustriert, dass sich der Adel mit der Notwendigkeit konfrontiert sah, seine Stellung ständig zu erneuern, was sich mit Augen, Ohren sowie allen Sinnen wahrnehmen lässt. Dies gelang mit unterschiedlichen medialen Maßnahmen: Zeremonien, Musik, Banketten, Turnieren, Jagd, exklusiver Kleidung oder Luxusartikeln.

Ausgangspunkt und Kernstück des zweiten Abschnitts bildet die höfische Dimension des um 1400 auf Schloss Lichtenberg bei Glurns im Vinschgau entstandenen Wandmalereiprogramms. Seine Fresken gehören neben den Bilderzyklen von Rodenegg und Runkelstein zu den bedeutendsten profanen Gemälden des literarischen Stils in Südtirol. Thalis Forschungsarbeit basiert auf der Analyse der fragmentarischen Laurin-Fresken, die einen Bilderzyklus aus verschiedenen Motiven wie höfische Liebe, Turniere, Tanz oder Jagd sowie Szenen aus Fabeln und aus dem ikonografischen Reservoir der Genesis enthalten. Die entscheidende Schlüsselfrage bei ihrer Betrachtung ist der Aspekt des Kontextes, ob es sich um eine aleatorische Kombination von Schrift und Bild oder um ein zielgerichtet konzipiertes Programm handelt. Daraus resultiert eine spannungsreiche sowie überzeugende Auseinandersetzung mit der Funktionsweise sowie der Rezeption kultureller Denkmuster.

Nach Thali fungiert die Schrift als visuelles System zur Aufzeichnung von Sprache, weswegen sie als ikonisches Zeichen auf dem Bild auftreten kann, sodass sich die Medialität des Sujets in geschriebenen Versen auf diesem Medium reflektiert. Damit konstatiert sie, dass Schrift als Bestandteil des Bildes nicht einfach nur als Text zu lesen ist, sondern ein ikonisches Zeichen bildet. Dabei verweist die Autorin auf den Umstand, dass die ikonische Dynamik des Schriftbildes und seine Semantik auch Illiteraten zugänglich ist. Folglich bieten sich Wandbilder als Teil des höfischen Repräsentationsmediums für die Selbstdarstellung des Adels an, wobei enge Kreise mit identitätsstiftender Funktion dazu gehören. Somit spielen die Bilder sowohl im halböffentlichen als auch im öffentlichen Raum eine identitäts-, konfessions- und konsensbildende Rolle.

Im letzten Abschnitt greift Thali die städtische Dimension mit Gemälden der Luzerner Patrizierhäuser aus dem 16. Jahrhundert auf, stellt das sakrale und weltliche Spiel in den Vordergrund und verdeutlicht, dass Luzern eine ausgesprochen reiche Theatertradition vorzuweisen hat. Diesbezüglich wirft sie die Frage auf, inwieweit im soziokulturellen Umfeld der Reformationsstadt, im Kontext der erworbenen Medien, sich Voraussetzungen gemäß den literarischen Ursprüngen der gewählten Bildthemen angeeignet wurden. Sie betont in diesem Zusammenhang, dass Malerei und Spiel keineswegs willkürlich sein können, da beide Medien dieselbe Intention aufgreifen: nämlich Tugenden zu lehren, das eigene Seelenheil sicherzustellen und die Kontrastierung zwischen Gut und Böse zu vermitteln. Auf diese Weise stehen Spiel und Malerei im Einklang mit der Obrigkeit, ganz im Zeichen der katholischen Reform, während das kirchliche und gesellschaftliche Leben zunehmend unter die Kontrolle und Regulierung der städtischen Autoritäten rückte. Dabei handelt es sich um eine kontrollierte Selbstdarstellung der städtischen Gesellschaft, um ein gemeinsames Verständnis von Akteuren und Zuschauern der christlichen Weltordnung und Moral des katholischen Glaubens. Dies verdeutlicht, dass beide Medien durch die Führungsschicht der Stadt auf die Disziplinierung des sozialen und kirchlichen Lebens abzielen und instrumentalisiert werden.

Die hier präsentierte Arbeit bietet im Umgang mit Text und Bild neue Dimensionen, gewährt faszinierende Einblicke und bringt interessante Forschungsobjekte ans Licht. Hervorzuheben ist, dass Thalis Analyse vielfältige Impulse für die zukünftige Forschung liefern wird. Zu loben ist nicht zuletzt auch die gelungene Konzeption des Buches und des Anhangs mit seinen hochwertigen Farbabbildungen, die zu weiteren Forschungen anregen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Johanna Thali: Schauliteratur. Formen und Funktionen literarischer Kommunikation in Text und Bild.
Chronos Verlag, Zürich 2019.
384 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783034010207

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